Moin, Christoph!
Wenn wir uns unterhalten, könnten wir uns doch begrüßen - oder?
Die akkustischen umstände in Kirchen sind so unterschiedlich wie die Architektur der Gotteshäuser.
Gefährlich wird's erst, wenn der Akku leer ist.
Ich verstehe nicht, wieso du die Klanggegebenheiten von Kirchen generalisierst
und daraus ein Transkriptionsverbot herzuleiten versuchst.
Dein erster Einwand ist berechtigt: Nicht nur sind die Klanggegebenheiten unterschiedlich,
sondern in ein- und derselben Kirche ändert sich die Akustik -
je nachdem, ob das Ding menschenleer oder proppenvoll ist.
Dein zweiter Einwand ist falsch: Die Macht, Transkriptionen zu verbieten, habe ich nicht.
Wenn die Macht mit mir wäre, würde ich es gerne einigen verbieten, nicht aus Mißgunst,
sondern aufgrund des sicheren Wissens, daß nicht jeder dazu befähigt ist -
und weil es mir lieber wäre, wenn aus schöpferischen Impulsen, die ein Organist verspürt,
statt einer Transkription etwas Neues entstünde.
Im Übrigen ist es unnötig zu erwähnen, dass große Orgeln auch in Konzerthäusern stehen.
Das zu erwähnen ist nicht nur nicht unnötig, sondern ein weiterer Punkt für Dich:
Den Aspekt habe ich nicht bedacht - ein Teil meiner Argumentation wird dadurch hinfällig.
Hat Liszt Beethovensymphonien aus Mangel an Klavierliteratur,
oder weil er nicht komponieren konnte, für's Klavier transkribiert?
Die Transkriptionsflut des 19.Jahrhunderts hatte vorallem
einen Grund:
Sich in einem Zeitalter, das noch kein Grammophon kannte, Musik zu vergegenwärtigen.
Von Ludwig Finscher stammt die Charaktersierung des vierhändigen Klavierauszugs
als "Schallplatte des neunzehnten Jahrhunderts".
Liszt ist wie immer ein Sonderfall. Seine Klaviertranskriptionen erfüllten mehrere Funktionen:
- die schon erwähnte Möglichkeit zur Vergegenwärtigung von Musik,
- der schöpferische Nachvollzug kompositionstechnischer Details in Werken,
die ihn interessierten (Beispiel: Berlioz' "Symphonie fantastique"),
- die quasi-nachschöpferische Huldigung an komponierende Kollegen,
- die Möglichkeit zur pianistischen Selbstdarstellung.
Aber auch Liszt stößt dabei an Grenzen, weder schöpferisch noch pianistisch,
sondern an Grenzen, die das Instrument ihm setzt. Beispiel: Das al fresco-Gegröle
der Finalsätze von Beethovens dritter und fünfter Symphonie ist schon orchestral
kaum erträglich, aber im wahrsten Sinne des Wortes stimmig.
Auf dem Flügel klingt das Geballer nur noch unfreiwillig komisch.
Dass zwischen Orgel und Symphonieorchester feucht-fröhlich hin- und hertranskribiert wird,
sollte doch auf die Klangverwandschaft der beiden Klangkörper hindeuten.
Oder es weist auf einen Mangel an Unterscheidungsvermögen hin.
Auf die Spezifika einer für den modernen Konzertsaal berechneten Klangfarbendifferenzierung
habe ich hingewiesen, desgleichen auf die Strukturierung des von Musik erfüllten Raums
durch Klangflächen, Klangfarbenwechsel innerhalb der Klangflächen etc.
Mein Kronzeuge: Anton Bruckner, dem als Organist tout Paris und ganz London zu Füßen lagen -
wegen seiner Spieltechnik und seiner offenbar ungeheuerlichen Improvisationskunst.
Von den Orchestermessen und dem Streichquintett (einem Auftragswerk) abgesehen,
hat er sich die klangliche Realisierung seiner musikalischen Ideen offensichtlich nur
durch ein großes Orchester vorstellen können, dessen Holz- und Blechbläseranteil
er beträchtlich erweitert hat. Es gibt von ihm nicht nur kein relevantes Orgelwerk,
sondern er hat auch keine seiner Symphonien für die Orgel transkribiert -
und wem hätte diese Idee näherliegen müssen als Bruckner selbst?
Gute Musik, ansich ja geistig abstraktes Material, verliert nach meiner Ansicht
auch unter Veränderung der Klangverhältnisse nicht ihren Zauber.
Man kann Musik nicht gegen die Klangfarbe ausspielen, die ein Komponist
zu ihrer Realisierung erdacht hat. Die Klangfarbe ist kein schmückender
und beliebig auszutauschender Zusatz, sondern sinntragender Bestandteil der Musik.
Zwei Ausnahmen gibt es von dieser Regel:
- Musik, die keine klangliche Realisierung vorschreibt (wie z.B. die "Kunst der Fuge")
oder deren Besetzung frei gewählt werden kann, wie in manchen Avantgarde-Stücken,
in denen der Tonsatz nicht auf eine bestimmte klangliche Realisierung hin komponiert worden ist;
- Bearbeiter, die sich der Problematik ihres Tuns bewußt sind, um die Spezifika
der jeweiligen Klangkörper wissen: des originalen, von dem sie ausgehen,
und des neuen, für den sie transkribieren.
Wenn Du mir "Ideologie" unterstellst, hast Du womöglich sogar recht: In dieser Frage
bin ich oligarchisch gesonnen - oder wäre meritokratisch der bessere Ausdruck?
Ich würde das Transkribieren gerne denen verbieten, die ihr Metier nicht beherrschen.
Eine Transkription ist keine wortgetreue Umsetzung, sondern muß in den Tonsatz eingreifen,
wenn sie plausibel sein soll: Man sehe sich an, welche Metamorphosen Paganinis berühmtes Thema
durchmacht, auf dem Weg von der Violine zum Klavier und von dort zum vollen Orchester.
Man sehe sich bei Ravel den Orchestertonsatz im Vergleich zu seinen Klavierstücken an -
oder den Unterschied zwischen Klavier- und Orchesterversion in den "Schildern einer Baustelle".
Solche Freiheiten wie den Eingriff in den vom Komponisten festgelegten Stimmenverlauf,
wie das Herstellen eines Stimmenverlaufs aus einer rein harmonisch erfundenen Akkordfolge etc.
sind nun mal nicht jedermanns Sache: sowohl beim Transkribieren als auch beim Spielen
oder Anhören(müssen) einer solchen Transkription.
Gruß, Gomez
.