Und ich verstehe auch nach wie vor nicht, wie und wieso sich Künstlertum und Pädagogentum (bzw. das Unterrichten) gegenseitig behindern oder gar ausschließen sollen, außer was den rein zeitlichen Umfang betrifft.
Achtung ... das ist nur meine private Ansicht und entbehrt der wissenschaftlichen Grundlage.
Es gibt noch den allgemeinen Unterschied zwischen "akademisch" und "praktisch". ich verorte mich selbst eher im akademischen Bereich ... ich bin Erziehungswissenschaftler, Mathematiker (mit Abschluss) bzw. Musiker (ohne Abschluss, aber scheinbar mit einer gewissen Begabung ... auch wenn ich an dieses Konzept nicht so recht glaube).
Mein Bruder ist zwar studierter Geologe (leider ohne Abschluss), arbeitet aber als reiner Praktiker in der Kinderbetreuung an einer OGS (offene Ganztagsschule).
Natürlich hat der bei seinem Nachdenken über seinen Beruf auch eine ganze Menge praktischer Notwendigkeiten im Kopf ... und wenn er mir davon erzählt, dass mal wieder irgendein Akademiker in der Einrichtung war, und Tipps gegeben hat, dann spüre ich an seinen Worten ganz klar, dass er Akademiker nicht ernst nehmen kann.
Der Grund ist einfach und meiner Meinung nach auch sehr gut nachzuvollziehen ... denn die reinen Akademiker haben oft genug nicht den blassesten Schimmer von der Praxis (traurig aber wahr, die consecutiven Studiengänge Bachelor und Master haben daran nichts geändert ... der Praxisbezug hat eher nachgelassen), aber den Kopf voller hochtrabender Ideen, deren Umsetzung in der Praxis aber oft einfach nicht klappt.
Aus der Sicht meines Bruders, "verdirbt" ein Studium die Menschen für die Praxis.
Aus Sicht eines Akademikers fehlt dem Praktiker dafür oft genug der "Sinn fürs Wesentliche" (Achtung Definitionsfalle) ... denn es geht nicht darum, dass der Schulalltag möglichst störungsfrei läuft ... es geht darum, Kinder zu bilden und zu erziehen.
Leider stehen dem die organisatorischen Gegebenheiten einer staatlichen Institution Letzterem oft im Wege ... und diese bilden eben das Arbeitsumfeld des Praktikers.
Beispiel Evaluation (wer's kennt, wrd es hassen).
Eigentlich ist es keine schlechte Idee (theoretisch), die Lernfortschritte unter verschiedenen Vorraussetzungen zu dokumentieren, um aus der Auswertung abzuleiten, wo noch etwas verbessert werden kann.
Im Alltag kostet das aber primär Zeit (davon ist grundsätzlich zu wenig da) und obendrein werden dabei Erkenntnisse generiert, die den Erziehern und Lehrern oft genug schon klar sind, an denen sie aber aus eben genannten Zeitgründen leider wenig ändern können (dafür reicht der Betreuungsschlüssel halt nicht aus).
Als der PISA-Schock durchs Land fegte, war ich noch mitten im Studium, aber auch da war mir schon klar, was einer der deutschen PISA-Forscher sehr kompakt zusammengefasst hat.
"Eine Sau wird doch nicht fetter, wenn man sie regelmäßig über eine Waage jagt. Die braucht das richtige Futter".
Dennoch war dieses "regelmäßig über die Waage jagen" genau das, was aufgrund politischer Initiativen im pädagogischen Alltag angekommen ist.
Wir sprachen damals von "Evaluitis" ... und ja, ein Screening zu irgendwas geht ja noch gut klar ... aber das zweite oder sogar dritte zu einem ähnlichen Thema (wegen "Kreuzvalidierung") sorgt dann dafür, dass der "pädagogsche Volkssturm" für die eigentliche Aufgabe (Bildung und Erziehung) NOCH weniger Zeit hat.
Ich denke, ein Teil des "Schulversagens" welches so oft beklagt wird, geht gerade auf diese schwere Evaluitis zurück, denn im Zuge der "Verarbeitung" des PISA-Schocks wurde nicht nur die Schulzeit verkürzt, es wurde den Bildungsarbeitern obendrein noch zusätzliche Aufgaben aufgebürstet.
Um also deine implizite Frage zu beantworten: Pädagogik muss nicht stören oder behindern ... Künstlertum auch nicht ... aber beides hat mMn im Unterricht wenig zu suchen. Es sind beides wichtige Eigenschaften eines Instrumentallehrers, die eigentlich eher in Vor- und Nachbereitung einer Unterrichtsstunde wichtig sind. Für viele Schüler (besonders jüngere) ist der Untrerricht die einzige Zeit in der Woche, wo sie überhaupt mal ihr Instrument anfassen.
Ich frage in fast jeder Stunde, ob der Schüler denn auch brav geübt hat ... und ich freue mich wie ein Kind zu Weihnachten, wenn dann ein "ja" zurück kommt.
Der Instrumentallehrer denkt sich "selbst schuld, dann üben wir halt jetzt".
Der Pädagoge fragt sich, wie er das ändern kann, weil der Schüler sich dadurch eigentlich ja nur selbst behindert.