Den Kaffee hast Du aufgewärmt und die Mär vom Steinway, der als Kawai umgelabelt wurde, noch dazu auf einer Musikmesse, das ist der Schimmelbefall. Was da angeblich ein Mitarbeiter eines Musikverlages von sich gegeben hat, ist kompletter, totaler Blödsinn.
So, also ich hab mal ansatzweise versucht vielleicht was dazu zu finden - wenn meine Zeitangabe schon auf die 90er verweist, dann wird es in den Tiefen des Internets natürlich immer schwieriger dazu was zu finden, denn zahlreiche Magazine/Zeitschriften entfernen Schritt für Schritt ihre Archive, erst kürzlich telepolis hat fast alles gelöscht. Zumal das damals auch kein echter Skandal war, sondern das wurde beiläufig von gleich 2 Mitarbeitern (höherrangigen) erzählt.
Aber: Ich bin tatsächlich dazu auf Sachen gestoßen, die das Gesagte in etwa stützen können:
Der erste - ziemlich passende Artikel - der meine Aussagen im Grunde schon aufgreift, wäre der hier:
Tong Zhicheng hat in kaum 20 Jahren den größten Klavier-Hersteller der Welt geschaffen. Nun will er nach Europa
www.welt.de
Quelle: WELT.
Tenoraussagen:
- Pearl River Pianofabrik aus Kanton, China
- war in den 80ern/90ern ganz klein, bot keine Innovation, stellte Schrott-Produkte aus
Zitat:
"Tong sitzt im Büro seiner langgestreckten Fabrik am Stadtrand Kantons und schlürft heißes Wasser (weißen Tee nennt er das), während er die Anekdote von 1985 erzählt. Sein Pearl River-Imperium, unter dessen Logo er die Worte "Bekannte Marke" drucken ließ, hat Kooperationen mit Yamaha und mit Steinway geschlossen."
"Tongs größter Coup kam dieses Jahr zustande. Nach 18 Monate währenden Verhandlungen gaben Pearl River und Steinway Asia den Beginn einer Zusammenarbeit bekannt. ... Pearl River baute im ersten Schritt unter Aufsicht von acht Steinway-Experten ein Muster und schickte es nach New York. Steinway war mit der Qualität zufrieden. "Im nächsten Jahr wollen wir rund 100 Klaviere herstellen.""
--> Dass Pearl River - wenn sie es genauso gemacht haben - nicht so blöde ist und einen Steinway im Laden kauft, in den Transporter rollt und dann kurz in die Werkstatt zur Überarbeitung und dann zur Musikmesse als Ausstellungsstück bringt, liegt ja auf der Hand.
Wenn die denselben Move gemacht haben, dann scheint das eher so zu funktionieren, dass es eine offizielle Kooperation zur Fertigung von einzelnen Bauteilen gab oder vielleicht sogar der ganze Korpus, der in Hamburg/New York designt wurde und die zwacken dann für ihre eigenen Produkte eben den Ausschuss ab oder produzieren auf eigene Rechnung zusätzlich.
Das ist nichts ungewöhnliches. Macht Amazon mit FBA-Ware heute ständig. Wenn da ein kleiner Betrieb ein schön designtes Kuscheltier, eine stylische Handtasche, eine tolle Nachttischlampe oder einen anderen gutlaufenden Artikel hat, dann hat Amazon oft nur wenige Monate später dasselbe Produkt im Sortiment auf eigene Rechnung, meist vom gleichen asiatischen Hersteller und der originale Hersteller guckt in die Röhre.
Immer wieder wurde der Verdacht geäußert, Amazon kopiere beliebte Produkte, um sie selbst anbieten zu können. Nun sollen Dokumente aus Indien beweisen, dass das tatsächlich geschehen ist.
www.stern.de
Dass Pearl River von Steinway abkupfern könnte, weil sie gleich direkten Zugriff auf von Steinway gelieferte Muster und Designs haben, liegt nach dem WELT-Artikel, der im übrigen extrem interessant ist, auf der Hand.
Aber in der Aussage von den Verlags-Managern ging es ja um Kawai.
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www.pianobook.io
Zitat:
"Im Jahr 2002 ging Kawai eine Zusammenarbeit mit der legendären Klaviermarke Steinway & Sons ein. Die Zusammenarbeit ermöglichte es Kawai, das Klavierdesign und die Technologie von Steinway zu nutzen, um Klaviere herzustellen, die das Beste beider Marken vereinen."
--> So wird am ehesten ein Schuh draus; vielleicht hatten die schon vorher für bestimmte Teile Auftragsproduktion und bedienten sich dann bei elementaren Bauteilen aus der Fertigung. Ab 2002 gab es dann sogar offizielle Kooperation. Kann ja sein, dass die die Bauteile von Steinway für eigene Instrumente nutzten und am Schluss quasi vielleicht nur noch den Gussrahmen in Eigenherstellung gemacht haben. Weiß man nicht.
Es zeigt auf jeden Fall, dass die Hersteller im Hintergrund vor allem in der erwähnten Zeit 90er Jahre/2000 enger zusammenarbeiteten.
Also völliger Blödsinn und abwegig ist das nicht.
Wie gesagt, es wird wohl niemand mit der Spachtel bei einem gekauften Steinway das Label abgeschabt haben und hat dann Pearl River oder KAWAI drüber geklebt. So plumpen Quatsch halte ich auch für abwegig.
Aber Abkupferung von Designs oder evtl. gar Selbstbedienung auf Basis der in Kooperation gefertigten Bauteile - das halte ich hingegen für sehr denkbar. Und bevor es zu Kooperationen kam, ist auch denkbar, dass Steinways auf dem Markt gekauft und dann mit eigenen Bauteilen wie z.B. Gussrahmen versehen hat. Was da im Hintergrund passiert, weiß ja niemand, aber Branchenleute haben da ja andere Einblicke.
Und hochinteressanter Fakt aus der o.g. Quelle:
"Das Ergebnis war das Shigeru Kawai Klavier, das als eines der besten Klaviere der Welt gilt."
--> Wusste ich bis eben auch nicht, ich dachte, das sei eine völlige eigenständige Entwicklung von Shigeru gewesen, der sich damit in langjähriger Manufakturarbeit einen Lebenstraum erfüllte. Es ist also in Kooperation mit Steinway entstanden.
Egal, wo High-End im Pianobereich erreicht wird, anscheinend hat da der Rolls-Royce unter den Flügeln doch irgendwo seine Finger mit drin.