Zum Teil werden die schon geschürt. Hör Dir doch nur mal die Reden von dem Höcke an.
Ich bin völlig fernsehabstinent, glaub's Dir gern, würde nur auf Verdacht hinzufügen, daß sich die Hetzer von rechts und links gegenseitig nichts schuldig bleiben. Eigentlich sind mir Diskussionen dieser Art nicht geheuer, weil in ihnen soviel durcheinandergerät oder gedanklich verkürzt/ausgeklammert wird. Ich versuche mal, ein wenig zu sortieren, und sei es nur in meinem Kopf - auf Kosten der armen Leser dieses Beitrags.
Wir reden von mehreren Konflikten, die sich hier überlappen; a) von der neuen Völkerwanderung, einer Fluchtbewegung, weg von Krieg und Armut, hin zu Frieden und Überfluß - mit dem vorhersehbaren Problem, daß sich das Ziel dieser Fluchtbewegung irgendwann selber in eine Krisenregion verwandelt; b) vom erstarkenden, aggressiven, politischen Islamismus (der mit der alten Volksreligion Islam wenig bis nichts gemeinsam hat) - und der abendländische Furcht vor einer Islamisierung; c) von der entfesselten McKinsey-Weltordnung (Danke für den Hinweis,
@Rastaman !), deren Feindbild der Sozialstaat und deren Wunschtraum ein Sklavenheer von Armutsverlierern ist, das für jede schlechtbezahlte Arbeit noch dankbar sein muß.
Dann reden wir von unterschiedlichen Gruppierungen in der Gesellschaft. Mal systematisch aufgeschlüsselt:
a) Es gibt tatsächlich (wieder) Leute, die von einem homogenen Volkskörper träumen und nicht nur die jüngste Flüchtlingswelle, sondern die letzten fünfzig Jahre Globalisierung in Europa rückgängig machen wollen. Ich weiß, wovon ich rede. Ich lese bei diesen Leuten mit, in Foren, auf Propagandaseiten. Sie sind rassistisch, revisionistisch, antisemitisch und äußern sich zum Holocaust nur deshalb zurückhaltend, weil ihnen sonst der §130 das Leben schwermacht. Sie halten mehr oder weniger die gesamte kontinentaleuropäische Nachkriegsgeschichte für eine von "den Juden" und den USA/Großbritannien gelenkte Fortsetzung des zweiten Weltkriegs mit anderen Mitteln, mit dem Ziel, Europa durch Umvolkung zu zerstören und eine neue Annäherung Frankreichs an Deutschland (nach Vichy) und eine neue Annäherung Deutschlands an Rußland (nach dem Stalin-Ribbentrop-Pakt) zu verhindern. So etwas kann man auf den einschlägigen Websites nachlesen, und ich habe mir diese Mühe gemacht - was nicht unbedingt nachahmenswert und für den Magen nicht bekömmlich ist, aber informativer als Fernsehen: Man hört den Originalton. Daneben ist Herr Höcke absolut harmlos.
b) Dann gibt es die radikale, zur Rechten in vieler Hinsicht komplementäre Linke, auf deren Websites ich auch mitlese, um die Spezies besser zu verstehen. Sie versteht sich als anarchistisch und bestätigt auf paradoxe Weise die rechten Angstvisionen, nur daß sie (also die Linke) dazu keinen Mossad und keinen CIA als Antriebskraft braucht, sondern aus freien Stücken Deutschlands Auslöschung herbeisehnt, wie schon erzählt. Ihr Antinationalismus ist vom Rassismus auch begrifflich nicht weit entfernt. Als Folge der untilgbaren Schuld, die Deutschland auf sich geladen hat, meint sie, sollte der letzte Rest an Deutschtum möglichst schnell in anderen Völkern aufgehen. Auf Gegendemonstrationen zu Nazi-Demonstrationen anläßlich der Bombardierung Dresdens tragen ihre Anhänger gern Transparente mit Parolen à la "Bomber-Harris, do it again". Ein paar Vertreter dieser radikalen Sicht findet man auch bei den Grünen und der Linkspartei.
a) + b) sind statistisch wohl (noch) zu vernachlässigen. Ich führe sie nur aus Gründen der Genauigkeit hier auf.
c) gehört eigentlich auf Platz eins: der zur Zeit dominierende nach 68er-Typus, dem ich mich - zumindest infolge Schul-Milieuschädigung - selber zurechnen muß: zu jung, um bei der Zäsur von 1968 noch selbst mitgewirkt zu haben, um so mehr gebeutelt von den ersten Mitläufern und Institutionsmarschierern aus dem 68er-Soziotop, deren Versuchskarnickel zu sein ich die Ehre hatte - wie man sieht, eine sehr westliche, bundesrepublikanische Karriere. Dieser Typus ist, nach den ideologischen Grabenkämpfen der 70er Jahre, im Großen und Ganzen eher unpolitisch. Seine entpolitiserte Restethik besteht darin, gut sein zu wollen (da ist endlich das Reizwort). Das ist der Religionsersatz dieser überwiegend Religionslosen: gut zu sein, zur Verwirklichung des Guten oder Besseren in der Welt beizutragen, durch Bekämpfung sozialer Ungleichheit, Kampf gegen Diskriminierung und für Gleichstellung, für den Weltfrieden, Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung, gegen Aus- und für Einbeutung, Friede, Freude, Eierkuchen - sorry, ich hör schon auf; man merkt bei mir eine gewisse Galligkeit, wenn ich von diesem Typus rede. Vielleicht sollte man noch erwähnen, daß er gerne prüfend zum Nachbarn rüberschielt, ob der es mit der Weltverbesserung genauso ernstmeint. Politisch ist dieser Typ unterschiedslos in der christdemokratisierten SPD wie auch der sozialdemokratisierten Union und bei den Grünen zu finden; er dominiert Presse, Funk und Fernsehen, Jurys, Preisverleihungen, sonstwas.
d) Abzugrenzen davon ein völlig neuer Menschentyp, den zu charakterisieren mir schwerfällt: jünger, im Osten teilweise noch von einer Spät-DDR- oder frühen Nach-Wende-Sozialisation und im Westen auch nicht mehr von der alten BRD-Mentalität geprägt, sehr straight, sehr materialistisch, aufs Geldverdienen und zum Ausgleich dafür auf irgendwelchen party-artigen Spaß fixiert, mit Computer und Internet großgeworden, weniger intellektuell und vor allem gegenüber dem Weltverbesserungs- und Betroffenheitspathos der Nach-68er völlig indifferent, wenn nicht ablehnend, mit sehr geringen oder nur einseitigen zeitgeschichtlichen Kenntnissen, dafür ohne jede Berührungsangst vor Begriffen wie Nation, Ordnung etc. Ich schmeiße hier vermutlich zuviel in einen Topf. Aber ich bin kein Soziologe. Sie leben in irgendwelchen Paralleluniversen: gehen auf Gothic- und Mittelerde-Festivals, spielen ausgeklügelte Rollenspiele (Germanen, Highlander), pflegen zum Teil neuheidnische Rituale, tanzen zu Electronic Underground, wobei man in Sachen Musik die erstaunlichsten Dinge erlebt: Unlängst, in einem Nahverkehrszug, saß ich im selben Waggon mit ein paar jüngeren Leuten, normal gekleidet, äußerlich unauffällig, die sich während der Unterhaltung von ihrem Ghettoblaster beschallen ließen. Tja, und was zogen sich die jungen Leute rein? Marschmusik, den Badenweiler etc., wie zu Diederich Heßlings Zeiten. Ich traute meinen Ohren nicht.
Jedenfalls tobt zwischen c) und Teilen von d) eine Art Kulturkampf, den wir auch in dieser Diskussion erleben. Für einen Teil dieser jüngeren Generation sind Begriffe wie 'Nation' nicht mehr historisch belastet (für c) schon nicht zu verkraften). Die Selbstschwächung der EU- bzw. NATO-Staaten durch Anbindung an europäisches/übernationales Recht empfinden sie als Makel. Brüssel ist für sie ein demokratisch nicht legitimiertes Monster, gegen dessen Nivellierungswahn sie einen neuen Regionalismus (sie haben große Sympathien für die Autonomiebestrebungen von Schotten und Katalanen) oder Nationalismus propagieren. Sie erleben ihre berufliche Zukunft als unsicher. Die gescheiterte Integration gewisser Bevölkerungsgruppen, als Folge davon das Entstehen rechtsfreier Räume, in die sich die Polizei kaum noch hineintraut, nehmen sie mit großer Erbitterung zur Kenntnis, die zum Teil auf eigene negative Erfahrungen zurückgeht. Sie fordern eine restriktive Einwanderungspolitik, die rigorose Ausweisung straffällig gewordener Ausländer, keine religiösen Sonderrechte für Muslime (Tierquälerei am Opferfest etc.). Ich rede hier auch wieder aus eigener Erfahrung. Ich habe Kontakt zu ein paar von diesen Marsmännnchen aufgenommen. Und die für mich selbst überraschende und für c) nur schwer verdauliche Pointe: Es gibt eine konservative bis neu-rechte Szene, d.h. nach eigenem Verständnis irgendwo rechts von der CDU anzusiedeln, etwas spinnert, aber ohne ******-Nostalgie, ohne prinzipielle Fremdenfeindlichkeit, ohne Wahnideen von der Überlegenheit der eigenen Rasse, ohne Antisemitismus (von Holocaust-Leugnung ganz zu schweigen). Allerdings erlebt diese Szene, daß sie im öffentlichen Diskurs, und das heißt: von c) prinzipiell als nichtseriöser Gesprächspartner hingestellt und reflexartig in die Faschisten-Schmuddelecke abgeschoben wird, und mit dieser permanenten Stigmatisierung durch c) wird d) tatsächlich radikalisiert. Darauf hinzuweisen, ist der eigentliche Anlaß meines überlangen Beitrags.