Hallo,
eine Frage, die mir immer schon auf der Zunge lag, an die Jazz Musiker, die improvisieren können: Womit habt ihr eigentlich angefangen?
Als ich meine ersten Jazzpiano-Stunden hatte, fühlte ich zunächst ein Brett vorm Kopf. Da spielte man doch Debussy, Bach und Chopin und alles klang so perfekt. Nun sollte man, beschränkt auf ein paar Töne, aus dem Stehgreif eigenes Schaffen.
Obwohl ich damals schon Erfahrungen mit Blues- und Rockbands hatte, war der Frust groß.
Es war einfach diese Ohnmacht. Dieselbe Person, die vorher noch das Klavier mit perfekt durchkomponierter Musik zum klingen brachte, saß nun da und brachte keinen vernünftigen musikalischen Satz zustande.
Was geschah?
Nun gut, das Ohr war verwöhnt, das war das eine. Das eigentliche Problem aber war, dass ich zunächst gar nicht wußte was ich spielen sollte - wie jemand der immer alles vorgekaut bekam und jetzt auf einmal selber kauen soll.
Dazu kam, dass beim kreativen Spielen verschiedene Faktoren gleichzeitig zu beherrschen/berücksichtigen sind. Wenn nun schon allein einer dieser Faktoren die ganze Aufmerksamkeit beansprucht, wie soll das dann gehen?
Die Höransprüche sind zunächst einmal drastisch zu reduzieren. Das zu verwendende Tonmaterial ebenso. Auch rhythmisch muss eingeschränkt werden. Harmonisch kann man sich auf ein harmonisches Pendel beschränken.
Es ist also notwendig die Sachen so zu reduzieren, dass es möglich ist in einen Spielfluss zu kommen. Das Erlebniss des Spielflusses durch Eigenes gibt dann die erforderliche Ausdauer beim Durchstehen der ersten Hungerphase - Hunger auf schönen Klang
. Diese Phase kann dauern, aber sie ist unabdingbar.
Jazz ist Bewegung. Timing und Rhythmus stehen unverhältnissmäßig stark im Vordergrund, verglichen mit klassischer Musik. Man sollte sich angewöhnen zunächst prinzipiell alles in Time zu spielen. Auch wenn ich Akkordprogressionen drücke, mache ich das in einen gleichmäßigen Puls.
Das Moment Zeit ist so immens entscheidend für das Umsetzen einer Idee, dass auch super langsame Tempi oft Schwierigkeiten bereiten werden.
Das Problem dabei ist das Denken an das was kommen wird. Man muss sich ja, beim Üben zumindest, immerzu vorstellen was man als nächstes melodisch spielen will. Dabei wird die Zeit knapp, man fängt an sich zu überschlagen, kommt mit der Harmoniefolge ins Schleudern etc. etc..
Deshalb ist es so ungemein wichtig sich gerade am Anfang zu beschränken.
Eine Limitierung könnte z.B. außer bei den Akkorden auch in der Tonauswahl für die Melodie gemacht werden in dem man sich zunächst auf 3 Töne beschränkt. Wenn man die 3 dann noch so auswählt dass sie mit den beiden pendelnden Akkorden nicht kollidieren, hat man ein Problem weniger.
Und immer daran denken: es soll ein Spielfluß entstehen, ein natürliches Gebilde. Somit muss man mit diesen 3 Tönen sprechen, d.h. Frage - Antwort Spiele betreiben, Atempausen beachten und einiges mehr.
Sinn macht gerade in der Anfangsphase das Spielen mit Metronom, wobei das Metronom intelligenterweise durch ein Sequenzerprogramm ersetzt werden sollte. Ein Tempo von 80 bpm pro Viertel ist angebracht. Das Programm muss nicht unbedingt nur den Klick spielen. Mehr Spass macht die an sich schon trockene Aufgabe mit einem Swingrhythmus und eventuell einer Basslinie, so dass der linken Hand die natürliche Rolle der Akkord zu fällt.
Habt ihr Tonleiter rauf und runter geübt?
Tonleitern sollten auf jeden Fall beherrscht werden. Man muss sie aber nicht willkürlich hoch und runter spielen, vielmehr sollte man sich in sie hineinhören und die in ihnen enthaltene Leittönigkeit erkennen.
Wenn man heptatonische Tonleitern über einen Ambitus von 2 Oktaven übt, bietet es sich an diese um einen Durchgangston zu erweitern, um die Wertigkeitszuordnung von Takt und Melodieton zu wahren.
Habt ihr Jazz Akkorde gelernt?
Das hat mich persönlich immer am meisten fasziniert - die Klangvielfalt der im Jazz gebräulichen Akkorde.
Am Anfang wird man sich wohl auf die verschiedenen Septakkordformen beschränken oder noch besser, in der linken Hand mit 2 stimmigen Voicings, dem Grundton und einem Guidetone, arbeiten.
Wenn ihr improvisiert, denkt ihr euch da etwas spontan neues aus, oder beruht es auf alten Ideen, die ihr vorher gelernt habt?
Es ist eine Mischung aus Beidem. Am Anfang sicherlich öfter das Letztere. Später dann immer mehr das Erstere.