Macht Tonleiter üben Sinn?

Das ist eine Wunschvorstellung. Man hat ein Musikgedächtnis oder Gefühl und Gehör oder nicht. Es ist leider so.
 
Falsch. Das ist einer dieser Mythen aus dem 18./19. Jahrhundert. Mittlerweile ist längst erwiesen, dass Musikalisierung dynamisch erfolgt. Jeder Mensch (bis auf sehr wenige Ausnahmen) bringt eine Grund-Musikalität mit. Oft ist sie in unterschiedlichen musikalischen Bereichen verschieden ausgeprägt. Und natürlich gibt es auch musikalische Hochbegabungen und sowieso Leute, denen alles zufliegt.

Übrigens wusste auch schon Robert Schumann, dass sich Musikalität entwickeln lässt:
„Wie wird man aber musikalisch? Liebes Kind, die Hauptsache, ein scharfes Ohr, schnelle Auffassungskraft, kommt, wie in allen Dingen, von Oben. Aber es läßt sich die Anlage bilden und erhöhen. […]“ (aus den musikalischen Haus- und Lebensregeln)
Schumann sagt eindeutig: "Die Hauptsache....kommt von oben". Natürlich muss man, wenn man ein gewisses professionelles Niveau oder noch mehr erreichen will, das, was einem gegeben ist, mit Ausdauer und auch grenzenloser Mühe pflegen. Diese Mühe auf sich zu nehmen, was letztlich heißt, sein ganzes Leben danach auszurichten, ist natürlich nicht jeder bereit oder fähig.

Nur ohne Begabung, die eben nicht jedem in jedem Gebiet mehr oder weniger gleich gegeben ist, wird man nicht sehr weit kommen.
Diese eigentlich banale Einsicht scheint seit einiger Zeitin der Pädagogik etwas in Vergessenheit geraten zu sein, vorsichtig formuliert.
 
Nur ohne Begabung, die eben nicht jedem in jedem Gebiet mehr oder weniger gleich gegeben ist, wird man nicht sehr weit kommen.
Diese eigentlich banale Einsicht scheint seit einiger Zeitin der Pädagogik etwas in Vergessenheit geraten zu sein, vorsichtig formuliert.
Es ist in der Musikpädagogik aber schon lange Konsens, dass fast jeder Mensch erstmal mit einer Grundmusikalität geboren wird. Diese wird nur leider durch widrige Umstände im Laufe des Lebens bei vielen verschüttet. Und diese Erkenntnis ist keine neumodische Pädagogik, sondern eine alte Gewissheit, die der Musiker und Begabungsforscher Heinrich Jacoby schon vor ca. 100 Jahren formuliert hat.

„Jacoby erkannte aufgrund eigener Beobachtungen bei Jugendlichen und Erwachsenen, dass es (musikalische) Begabung im eigentlichen Sinne nicht gibt, sondern nur eine mehr oder weniger gelungene Entfaltung der eigenen Entwicklungsmöglichkeiten entsprechend der Einflussnahme von Erziehern, Lehrern und der Umwelt. Durch Vorschriften, ungeeignete Fragestellungen, voreilige Hilfestellungen und Problemlösungen wird die eigene Entfaltung gestört, der Mensch verliert die Fähigkeit und den Mut, selber auszuprobieren, zu improvisieren und spontan eigene Äußerungen zuzulassen, sei das nun im Bereich der Musik, der Bewegung oder des (sprachlichen) Ausdrucks.

In seinen Kursen versuchte Jacoby, die Teilnehmer zu animieren, sich der durch äußere Einflüsse bedingten Fehlentwicklungen bewusst zu werden, das eigene Verhalten zu überdenken und ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten zu mobilisieren und neu zu entdecken. Ziel war nicht die Selbstverwirklichung der Erwachsenen, sondern eine Erziehung der Erzieher. Jacoby war der Überzeugung, dass die Erzieher dank der eigenen Nachentfaltung weniger behindernd auf ihre Schützlinge einwirken würden und letztere sich damit kreativer und ungestörter entwickeln könnten.“
(Quelle: wikipedia)

Musikalität hat eben so viele Facetten, dass bei einer Diagnose immer das Kriterium, wie Musikalität überhaupt definiert wird, entscheidend ist. Ich habe mal von einer Kollegin einen zwölfjährigen Klavierschüler übernommen, der bei seiner Lehrerin als äußerst „unmusikalisch“ galt: Er habe kein Gefühl für Phrasierung, kein Gefühl für Klangbalance usw. Er spielte mir das venezianische Gondellied in g-moll von Mendelssohn vor, und ich stellte fest, dass Phrasierung, Klangbalance usw. tatsächlich nicht gut gestaltet waren. Auch mein methodisches Vorgehen brachte keine Besserung. Dann probierte ich andere Musikstile mit ihm aus. Und landete mit ihm beim Boogie Woogie. Siehe da, das war sein Stil, der Zugang dazu gelang ihm intuitiv. Der Junge hatte ein nahezu perfektes Rhythmusgefühl und beherrschte großartig den Groove. Auch Improvisation fiel ihm viel leichter als klassisches Klavierspiel nach Noten.

Man sollte mit dem Urteil über Musikalität also sehr vorsichtig sein,
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich übe regelmäßig Tonleitern, aber manchmal frage ich mich, ob ich alle Übe-Varianten auch beidhändig spielen soll.
Zum Beispiel die Terztonleitern - beidhändig sind sie für mich sehr schwer und ich müsste sehr viel Zeit und Konzentration (das Letztere ist eine sehr beschränkte Ressource in meinem Fall :001: ) aufbringen, um sie schnell spielen zu lernen. Lohnt sich der Aufwand überhaupt? Ich könnte die gleiche Zeit z.B. nur mit den einhändigen Varianten verbringen und dort richtig gut werden. Dass es einhändige Terztonleiterläufe in Stücken gibt, ist klar, aber beidhändig - ist das nicht eher theoretischer Natur? Wenn es nur um die Hände Synchronisation geht, kann man dann nicht auch direkt polyphone Musik spielen?
 
Infoschnipsel von einer befreundeten KL, jetzt gerade vor paar Tagen gelernt: Tonleitern nur einhändig, die aber sehr gleichmäßig spielen.

Natürlich ist Synchronizität wichtig, aber bei Tonleitern erst als zweites denken/üben/lernen.

Ach so: von sich aus schimpfte sie auf Hanon: "völliger Schwachsinn - nur weiße Tasten" :-D
 
Ach so: von sich aus schimpfte sie auf Hanon: "völliger Schwachsinn - nur weiße Tasten" :-D
Unsinn, Hanon spielt man durch alle Tonleitern. Es sind nur nicht alle ausnotiert, außer bei den Tonleitern selber in der Mitte des Buches soweit ich mich erinnere. Wäre auch Papierverschwendung die Übungen in allen Tonleitern aufzuschreiben.
Die Übungen sind genauso sinnvoll wie die Tonleitern selbst.
Besonders für improvisierte Musik sind Tonleiterübungen und hanonartige Übungen sehr hilfreich. Man lernt gleich ein „Vokabular“ und bekommt gute Übersicht.
 
Das wäre politisch unkorrekt. Belassen wir es bei den Diatonischen Leitern. Oder wie es in dem Buch heißt durch alle 12 Tonarten.
Achso, man soll es selbst auf andere Tonleitern übertragen.
Das ist nicht so schwer, entweder immer einen Ton höher anfangen oder dem Quintenzirkel folgen. Hat man gleich noch etwas dazugelernt.
 

Jacoby erkannte aufgrund eigener Beobachtungen bei Jugendlichen und Erwachsenen, dass es (musikalische) Begabung im eigentlichen Sinne nicht gibt, sondern nur eine mehr oder weniger gelungene Entfaltung der eigenen Entwicklungsmöglichkeiten entsprechend der Einflussnahme von Erziehern, Lehrern und der Umwelt. Durch Vorschriften, ungeeignete Fragestellungen, voreilige Hilfestellungen und Problemlösungen wird die eigene Entfaltung gestört, der Mensch verliert die Fähigkeit und den Mut, selber auszuprobieren, zu improvisieren und spontan eigene Äußerungen zuzulassen, sei das nun im Bereich der Musik, der Bewegung oder des (sprachlichen) Ausdrucks.
Was mir nicht gefällt, ist, dass es immer die anderen sein sollen, die verhindern, dass ein Mensch sich voll entfalten kann.
Meine Meinung und Erfahrung dazu ist, dass ich absolut finde, dass jeder Mensch musikalisch ist - in unterschiedlichen Begabungen, die nicht mal unbedingt in der Musikalität liegen müssen, sondern oft durch andere Faktoren bestimmt werden - , und dass es oft unsere Persönlichkeiten sind, die uns daran hindern, Musikempfindung auszudrücken.
Es gibt introvertierte Typen, die sich mit Gefühlsäußerungen nicht so verschwenderisch verhalten, wie z.B. die lebenslustigen Kölner, die sehr stark, möchte ich mal frech behaupten, durch die Römer geprägt worden sind, mit ihrer südländischen Mentalität ;-)

Ich vergleiche uns gerne mit anderen Säugetieren, weil jene nicht durch die Gabe der extremen Intelligenz verbogen werden:
Ein Nordlandpferd hat kleine Ohren und Nüstern, damit der kalte Wind und ebensolche Temperaturen im Winter nicht zur Auskühlung des Körpers beitragen können. Nüstern und Ohren sind wichtig für den Wärmeaustausch (die großen Ohren der Esel schützen vor Hitze). Gleichfalls bewegen sie sich ruhiger, damit sie ihre Energie nicht verlieren.
Ein feuriger Araber wäre am Südpol schnell hin - siehe das Desaster bei der Eroberung desselben : Scott hatte nur Ponies und Motorschlitten. Amundsen setzte auf Hunde...und überlebte -
Man kann sicher sagen, dass die Evolution im Laufe der Zeit herauskristallisiert, was für den jeweiligen Typ Lebewesen am Besten funktioniert.

Und bei uns ist es nicht anders. Und so kann es sein, dass das "Zurschaustellen" von Gefühlen, was bei der Ausübung von Musik passiert, durchaus bei der einen oder dem anderen tiefer verborgen liegt und damit zunächst nicht möglich scheint.
Es gibt natürlich Rhythmuslegastheniker, ebensolche in Bezug auf Notenverständnis, es gibt Menschen, die Tonvorstellung nicht mit der Spannung der Stimmbänder in Einklang bringen können. Aber fördern kann man es immer. Auch scheinbar grunzende Tontreffnegierer können den richtigen Ton singen, wenn sie es lernen wollen und Geduld haben.
Die Prioritäten liegen aber bei vielen Menschen anders.
Und das ist nicht immer die Umwelt schuld. Dagegen wehre ich mich heftig.
 
@Tastatula
Ja, volle Zustimmung. Wenn jemand kein Interesse an Musik hat, verschüttet die angeborene Musikalität auch, und das liegt dann nicht unbedingt an der Umwelt, sondern an einem selbst. Das ist im Sport ja ähnlich. In der Regel wird jedes Baby gelenkig und beweglich geboren. Wird das gefördert und besteht das persönliche Interesse, dann stehen die Chancen gut, dass aus dem Baby, das gute Voraussetzungen mitbringt, ein sportlicher Mensch wird.
 
hat die seit neuestem auffällige Terzen?? du meinst sicher die Coda der vierten Ballade.
Nebenbei: simultane parallele Terzenskalen in beiden Händen sind mir bei Chopin nirgendwo aufgefallen, nicht einmal in seiner Terzenorgie op.25,6
Ich habe das so verstanden, dass es um "normale" Tonleitern im Terz- (bzw. Dezimen-) Abstand geht, nicht um Doppelgriffe in einer Hand. Und die kommen in den von mir genannten Werken vor, im Brahms-Konzert auch parallele Skalen in Doppelgriff-Terzen. Aufklären müsste das allerdings @Granados.
 
Zuletzt bearbeitet:
Man kann sich sicher der Annahme hingeben, alle Menschen besäßen eine gewisse Musikbegabung, doch das erklärt nicht, warum manche eben Musikgedächtnis besitzen und andere nicht mal einen Tonartwechsel unterscheiden können.
Es ist wahr, dass jeder Mensch an sich musikalisch ist, aber es gibt eben Unterschiede, die bis hin zum absoluten Gehör reichen. Zu behaupten, alle Menschen hätte die gleiche Chance, ein Instrument zu erlernen, trifft definitiv nicht zu. Manchen fehlt einfach die Fähigkeit, ihre Musikalität zu entwickeln. Begabung ist also mehr als Veranlagung.
 

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