Improvisation, warum wird es totgeschwiegen....

  • Ersteller des Themas amicusrarus
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In Den Haag ist Improvisation im Gegensatz zu den meisten Musikhochschulen von Beginn an fester Bestandteil der Instrumentalausbildung.
Du hast die Lehrpläne aller Hochschulen dahingehend angeschaut? Respekt. Ich hatte damals genug mit dem Lehrplan meiner eigenen Hochschule zu tun. Wir hatten übrigens Improvisation als Fach (instrumentenübergreifend, da waren nicht nur Tastenspieler). Aber wie es heute ist, weiß ich nicht, weil ich die Entwicklung nicht verfolgt habe.

@amicusrarus Dein Problem ist also "nur", dass Du eigentlich alles kannst und weißt und Dir nur nicht bewusst war, dass es auch Improvisation gibt? Oder weil Du nicht wusstest, dass Dir das Spaß macht?
 
Mir ist es auch schon aufgefallen, dass praktische Musiklehre stark auf Tradition ausgerichtet ist. Improvisation Kompositionsversuche von Anfängern kassieren auch hier auf Clavio schnell Naserümpfen, vor allem in Verbindung mit naiver Herangehensweise des/der Kreativen.

Das muss nicht sein. Im Deutschunterricht lernt mensch schließlich auch eigene Texte zu produzieren, wenn auch wohlgemerkt nach der Aneignung der Bewegungsabläufe des Schreibens. Es geht nicht darum, in schauspielerisch perfekter Prosodie und Aussprache Goethe vortragen zu können, idealerweise auswendig, während die sprachlichen Kompetenzen im Alltag zu Hause auf dem Niveau von "Mama, bitte Butter!" verharren können.

Zum Einen schade, dass in der praktischen Musiklehre so viel Wert auf Reproduktion und Wettbewerb gelegt wird. Zum anderen ist das wohl der Tatsache geschuldet, dass die Pianistik so viel Üben von Bewegungsabläufen erfordert, dass für eigentliche, originäre Kreativität kaum mehr Zeit bleibt.

Eben das ist der Unterschied zur ... ich nenn sie mal "theoretisch-kreativen" Musiklehre, die Harmonielehre, Komposition und Improvisation umfassend. Computerfreaks und Besitzer von Synthesizern und Sequencern hätten die Mittel, sich darauf zu fokussieren, die praktische Lehre gar ganz außen vor zu lassen, sich darauf zu beschränken, MIDI-Events perlenkettenartig zu konfektionieren und die Maschine den Rest machen lassen.
Die Musik, die daraus kommt, hat leider nicht viel mit den Hörgewohnheiten des Publikums zu tun. Das ist wieder die Domäne der praktischen Musiklehre: Mit einem Instrument solche Klänge und Musik hervorzubringen, die dem Publikum nicht zu beliebig und unbeholfen scheint.

Nun, so ist es nun mal. Glaube ich.
 
Es geht nicht darum, in schauspielerisch perfekter Prosodie und Aussprache Goethe vortragen zu können, idealerweise auswendig, während die sprachlichen Kompetenzen im Alltag zu Hause auf dem Niveau von "Mama, bitte Butter!" verharren können.
Aber die sprachlichen Kompetenzen zu Hause entstehen nicht im luftleeren Raum. Wenn ein Kind lernt, zu sprechen, dann dadurch, dass es die Sprache der Eltern nachahmt und (zunächst unbewusst) die Regeln der Sprache aufnimmt und verinnerlicht. Wenn man eine Fremdsprache lernt, dann passiert dasselbe - nur mit dem graduellen Unterschied, dass man die Vokabeln und Grammatik bewusst lernt. Man macht sich keine eigene Grammatik und erfindet auch keine Vokabeln, denn dann wäre man für Dritte unverständlich und könnte nicht kommunizieren. Warum sollte das in der Musik anders sein?

Improvisation ohne Rückgriff auf Traditionen ist nichts anderes als das Gebrabbel der Babysprache. Wenn kleine Kinder das machen, vielleicht noch irgendwie süß. Wenn es Erwachsene in der Öffentlichkeit machen, ist es zum Fremdschämen.
 
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Improvisation Kompositionsversuche von Anfängern kassieren auch hier auf Clavio schnell Naserümpfen, vor allem in Verbindung mit naiver Herangehensweise des/der Kreativen.
Ich würde nicht Improvisation und Kompositionsversuche in einen Topf werfen, auch wenn das, was manche hier als Komposition einstellen, eher eine ausnotierte Improvisation ist.
Gegen eine spielerische, meinetwegen auch "naive" Annäherung ans Thema ist zunächst nichts einzuwenden, im Gegenteil, wir "spielen" unsere Instrumente ja und dreschen nicht nur darauf herum (hoffentlich).

Ich halte Improvisation allerdings nicht für ein theoretisches Thema, wie Du es beschreibst, sondern für etwas durchweg Praktisches - das durch ein Theoriefundament aber sehr bereichert wird.
Dauerhaft kommt man um die Theorie nicht herum (so meine Meinung) und sollte das auch gar nicht als Fremdkörper begreifen, sondern als Teil des Ganzen.

Erst einmal etwas auszuprobieren, Klänge zu entdecken, zu experimentieren, zu spielen, das sollte Teil jedes Unterrichts sein, und zwar von Anfang an. Und darauf kann man dann entsprechend aufbauen, mit den ersten Kadenzen, mit einfachen Formen (ABA), und so weiter.

Mag sein, dass das sowohl in der Ausbildung als auch in der Ausübung des Musiklehrertums "zu kurz" kommt. Das kann ich nicht umfassend beurteilen. In meinem Studium kam es jedenfalls dran.
 
Mag sein, dass das sowohl in der Ausbildung als auch in der Ausübung des Musiklehrertums "zu kurz" kommt. Das kann ich nicht umfassend beurteilen. In meinem Studium kam es jedenfalls dran.
In meinem schnöden Klavierunterricht auch.

Bei meinem jetzigen Lehrer von Anfang an. Wobei es nicht meins ist. Ich gerate bei der Ausgestaltung von Trillern oder dem sinnvollen Variieren in Wiederholungen schon an meine kreativen Grenzen. Erst gestern habe ich meinem KL noch (halb) scherzhaft gesagt: "Hätte ich Improvisieren lernen wollen, wäre ich zu einem Jazz-Lehrer gegangen."
 
Zum anderen ist das wohl der Tatsache geschuldet, dass die Pianistik so viel Üben von Bewegungsabläufen erfordert, dass für eigentliche, originäre Kreativität kaum mehr Zeit bleibt.
Ich denke, ein wichtiger Teil ist, dass in der Klassik vorrangig Interpreten ausgebildet werden, und nicht allgemein Musiker. Nach Rachmaninoff spielen die Pianisten vorrangig in ihrer Funktion als Interpreten die Werke anderer Musiker. Ja, es ist zeitaufwändig, die Bewegungsabläufe zu lernen, aber es ist auch eine geänderte Ausrichtung der Ausbildung.
ZB Yuja Wang ist jetzt 35 und konnte auch schon vor 10 Jahren so ziemlich alles spielen (im Sinn von "hatte die Fähigkeit, jedes beliebige Stücki in ihr Repertoire aufzunehmen"), was sie wollte. Wenn man mit 25 ein so hohes Niveau erreichen kann, sind auch Kapazitäten für Kreativität frei - wenn man das will.
Wenn man hingegen auf einem Gebiet absolute Weltspitze sein will, muss man sich darauf konzentrieren und spezialisieren. Das ist halt eine persönliche Entscheidung.
 
Aber die sprachlichen Kompetenzen zu Hause entstehen nicht im luftleeren Raum.
Es ging mir hier auch nicht um sprachliche Kompetenzen allgemein, sondern um da Erstellen literarischer Werke, und das lernen wir in der Schule. Genauso könnte ich erwidern, dass ein Kind gern singt, ohne zu wissen, dass das Musik ist, dass es das gar nicht dürfe, bevor es keine praktische Ausbildung genossen hat.
 
Der Vergleich mit dem Singen hinkt insofern, dass Menschen, die sprechen können, im Allgemeinen auch singen können - vielleicht nicht "tonrein" oder gar "vom Blatt" oder so, dass es für die letzte Reihe im Theater auch noch angenehm zu hören ist.

Ich glaube, dass jeder Mensch Kapazität für Kreativität hat. Viele stellen sich darunter halt einen Musenkuss oder einen Geistesblitz oder einen anderen plötzlichen Geniestreich vor und "warten" darauf, anstatt aktiv an und für Ideen und Einfälle zu arbeiten und das entsprechende Handwerkszeug zu lernen.
 
Nein, manche Menschen sind nicht kreativ. Und das ist auch OK so. Was soll immer dieser Druck, der ausgeübt wird durch "auch Du kannst kreativ sein"? Schafft derjenige es dann nicht, ist das einzige Ergebnis, dass er sich nun schlecht fühlt, weil er sich für "zu doof" hält.

"Kreativität" ist ein überstrapazierter, inflationärer Begriff.
 
@amicusrarus Dein Problem ist also "nur", dass Du eigentlich alles kannst und weißt und Dir nur nicht bewusst war, dass es auch Improvisation gibt? Oder weil Du nicht wusstest, dass Dir das Spaß macht?
Eigentlich alles kann und weiß ist gut..das wäre schön.....sagen wir lieber, ich bin auf dem Weg es zu lernen..zumindest das Grundprinzip.....es zu wissen langt nicht, das erfordert noch zusätzlich jahrelanges Üben..und die habe ich mit 70 wohl nicht mehr, aber es war mir tatsächlich nicht bewußt, gespielt habe ich es ja, aber nach Noten, bis es klick sagte und ich es erkannt habe, und dachte, das kannst du auch....und es hat mir Spaß gemacht....und dann kam der Gedanke, ja, Musik besteht nicht nur aus dem Nachspielen von dem was 1000 andere auch schon gespielt haben...sondern sie bietet auch eine Freiheit und Kreativität von der ich vorher nichts ahnte, und damit ist auch dieser Knoten geplatzt, wo ich dachte, ich stecke fest, ich kommte nicht weiter, komme über das simple Nachspielen von Noten nicht raus.
Es ist ein solides Handwerk, welches man lernen kann, ich habe es nur falsch verstanden und bin es falsch angegangen...
Das ich dazu fähig bin, weiß ich, als ich anfing zu tanzen sagte mein Tanzlehrer.. sie tanzen...lach lach...jahre später war ich sein Vorzeigeobjekt. Als ich meine Umschulung zum Feinmechaniker anfing sagte mein Meister...hören sie auf...gehen sie nach Hause...sie werden nie ein Handwerker....nach 3 Jahre hieß es nur...hätte ich nicht gedacht...
Aber wie ich sagte, wo andere Jahrelang an Musikhochschulen für studieren kann ich mir nicht als alter Mann in ein paar Jahren aneignen, es werden ewig stümperhafte Versuche bleiben.
Mir dreht es sich um die Freude an der Musik und das Wissen, dass ich auch im Alter noch was neues lernen kann,


dass die Pianistik so viel Üben von Bewegungsabläufen erfordert.......da liegt eher die Schwiergkeit
 

Ich bin nur kreativ wenn es um Vereinfachung und Effizienz geht.
Was heißt hier "nur", das ist doch prima.

Mag sein, dass Kreativität ein strapazierter Begriff ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen Kreativitätstechniken lernen können. Ja, da gibt es auch Begabungen und Leute, die sich schwer tun, und meine Anmerkung, dass die Kapazität dafür grundsätzlich vorhanden ist, war nicht so gemeint, dass man sich dadurch unter Druck gesetzt fühlen soll. Wenn das so angekommen ist, werde ich beim nächsten Mal versuchen, es anders zu formulieren.
 
Nein, manche Menschen sind nicht kreativ. Und das ist auch OK so. Was soll immer dieser Druck, der ausgeübt wird durch "auch Du kannst kreativ sein"? Schafft derjenige es dann nicht, ist das einzige Ergebnis, dass er sich nun schlecht fühlt, weil er sich für "zu doof" hält.

Kreativ kann schon jeder sein, nur nicht auf eine Weise, der irgendeine Anerkennung irgendeiner Leistung gebührt. Eine gewisse Alltagskreativität, die natürlich überhaupt nichts Besonderes ist, hat jeder. Das nicht jeder besonders ist oder Besonderes leistet ist allerdings meiner Meinung nach Teil der Bedeutung vom Adjektiv "besonders". Und einfache Kreativität wird natürlich heute gerne überhypet, weil ja - sowidersprüchlich das in sich ist - fast jeder besonders zu sein glaubt.
 
Um nochmal auf das eigentliche Thema zurückzukommen, ich würde auch gerne improvisieren können, aber ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen sollte.
 


Das ist zwar nicht Klavier, aber zeigt die allerersten Schritte.

Eine andere Möglichkeit ist Pentatonik. Du kannst einmal probieren, nur schwarze Tasten zu verwenden. Das entspricht der Fis-Dur (bzw. Dis-Moll) Pentatonik. Die haben zwar 6 Kreuze, sind aber in diesem Zusammenhang sehr einfach.
 
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