Ich ringe nun einige Tage mit mir, diese Geschichte noch einmal zu erzählen. Letztendlich habe ich mich dafür entschieden, da diese Geschichte eine weiteres Mal und insbesondere sehr eindrucksvoll mitteilt, was für einen besonderen Menschen wir verloren haben.
Ich hatte seinerzeit dieses Klavier von meiner Großmutter geerbt. Ich erinnere mich an meine früheste Kindheit, die mittlerweile 40 Jahre zurück liegt, in der ich an diesem Klavier Hänschenklein lernte. Dies unter der strengen Aufsicht meiner Großmutter. Dieses Klavier stand nun in meinem Wohnzimmer und animierte mich, Unterricht zu nehmen und das Klavierspielen zu beginnen. Die zweite Stimmung nach dem Umzug übernahm nun ein ansässiger Klavierbauer, der -gekürzte und irrelevante Version- bei der Gelegenheit ca. 20 Hammerköpfe herausBRACH (bitte hierzu keine weiteren Nachfragen, da es nicht relevant ist. Ich werde nicht darauf antworten). Sie müssten getauscht werden, obwohl sich im Nachhinein herausstellte, dass sie im Prinzip brandneu waren.
Um dieses Klavier wieder einsatzfähig zu machen, holte ich mir verschiedene Angebote ein. Sämtliche Angebote bewegten sich zwischen 2000 und 4000 Euro, da möglicherweise die Mechanik zu Ibach hätte eingeschickt werden müssen. Dies hätte den eigentlichen Wert des Klaviers überstiegen. Der Gedanke, dass das vom Munde abgesparte Instrument meiner verstorbenen Großmutter zerstört war, hat mich lange Zeit wirklich zerfressen.
Ich entschied mich zunächst aus finanziellen Gründen gegen eine Reparatur und kaufte ein Yamaha Klavier, damit ich wieder spielen kann. Weiterhin gefiel mir der Sound von Yamaha besser, was nicht darüber hinweg tröstete, dass das Erbstück meiner Oma im Klamottenzimmer vor sich hin "gammelt".
Ich beauftragte Michael bei seiner kommenden Tour mein Yamaha Klavier zu stimmen. Geplant war, dass Michael vorbei kommt, das Yamaha stimmt und weiter fährt. Mal davon abgesehen, dass das Yamaha durch die erste Stimmung nach Lieferung furchtbar schlecht gestimmt war, wollte Michael nun mein zerstörtes Ibach Klavier begutachten. Er kannte die Geschichte hier aus dem Forum. Mit Entsetzen, haarraufend sah er sich die herausgebrochenen, funkelnagelneuen Renner-Hammerköpfe an. Jeweils von rechts und links ca. 10 Stück.
Ich erinnere mich exakt an seine Worte: "Nils, wenn du ein Bett für mich hast, klebe ich dir jeden einzelnen Hammerkopf sauber wieder ein (für 500 Euro)." Michael stimmte also zunächst am Nachmittag das Yamaha und begann am späten Nachmittag bis spät in den Abend feinst säuberlich die abgebrochenen Hammerköpfe vom Ibach wieder einzuleimen. Am folgenden Mittag war er dann fertig.
Das Klavier spielt sich seitdem wieder traumhaft schön und klingt besser als jemals zuvor. Intoniert und meinem Geschmack angepasst, hat er es bei der Gelegenheit auch. Diese Geschichte wollte ich erzählen, weil sie noch einmal verdeutlicht, wie filigran, liebevoll und Leidenschaftlich Michael gearbeitet hat. Jeder andere Klavierbauer hat dieses Instrument als wirtschaftlichen Totalschaden abgetan und ihm keine finanziell vertretbare Chance eingeräumt. Geschweige denn, die durch unsaubere Bruchstellen herausgetrennten Hammerköpfe wieder einzuleimen, schien faktisch unmöglich.
Nicht für Michael! Und bei jedem täglichen Besuch im Klamottenzimmer, schweifte mein Blick für eine Sekunde über mein Ibach Klavier und der Funke eines dankbaren Gedanken ging nach Dornbirn, oder wo auch immer Michael gerade unterwegs war. Dieses und vermutlich sehr viele andere Instrumente werden Michael für ewig dankbar sein, aus dem Koma zum Leben erweckt worden zu sein. Das wichtigste an der Geschichte ist die deutlich zu erkennende Freude bei Michael, dieses Instrument zu retten und ebenso dem Besitzer etwas Gutes zu tun. In beidem lag Michaels tiefste Leidenschaft. Aus diesen Gründen entschied ich seinerzeit, nie wieder jemanden anderes an meine Klaviere zu lassen. Und so wird es auch nach Michaels Tod bleiben. Eher werde ich das verstimmteste Instrument der Welt spielen, bevor ich Michael ersetze. Es müsste ein Wunder geschehen, jemanden anderes an meine Klaviere zu lassen. Michael ist für mich unersetzbar. Eher höre ich mit dem Klavier spielen auf, insofern es die Stimmung nicht anders möglich macht. Ich weiß, das hätte Michael ganz und gar nicht gewollt. Dass ich auf einem mies gestimmten Klavier spiele, hätte er jedoch auch nicht gewollt.