So, nach elf Seiten Lektüre
fange ich erneut damit an, mich zu wiederholen...
bezogen auf den Zeitraum ca. 1830 (Chopin beginnt seine epochalen Etüden) bis 1854 (Liszt beendet seine epochale Sonate)
a) die unbestechlichen Noten :D
Die Bedeutung der Notenzeichen war zu Chopins Lebzeiten keine andere als heute: eine ganze Note war auch damals so lang wie vier Viertel. Notierte ein Komponist eine ganze Note, dann mit der Absicht, dass diese auch so lang wie notiert erklingt, egal ob auf der Trompete oder dem Klavier.
Und so bedeuten die Notationen von Chopins Etüden oder Liszts Berlioztranskription heute genau dasselbe, was sie damals bedeuteten, nämlich keine Lesefrüchte, sondern die ziemlich exakte Niederschrift des Klangverlaufs mit allen wesentlichen Details (Tondauer, Tonhöhe, Tonstärke, ggf. Klangfarbe)
- - an dieser Stelle lohnt sich ein Blick in diese Noten sehr...
b) das Problem der Originalinstrumente
und dieses Problem ist kein geringes, sondern ein sehr interessantes - und es sollte von Oberflächlichkeiten wie privaten Geschmacksurteilen verschont bleiben.
Das Phänomen Paganini euphorisierte die europäische Klavierwelt, die aufkommende Repetitionsmechanik bot Möglichkeiten - es hagelte Paganinietüden etc (die besten davon werden heute noch gespielt)
Dennoch wollte das sperrige Instrument nicht immer alles leisten, was die Komponisten ihm wie auch sich selbst als Spielern zumuteten: also musste man sich mit einigen Unzulänglichkeiten arrangieren. Daher auch Chopins Anweisung, lange Noten stärker anzuschlagen als ihre kürzeren Nachbarn.
- - es gab Instrumente, die schon schnell genug repetierten, aber noch nicht ideal lange nachklngen und deren Fortissimo noch ein wenig dünn war: an diesen Instrumenten wurde permanent weiter verbessert, auch was ihre Widerstandsfähigkeit betrifft (zerrissene Saiten und verstimmt nach einem Konzert: das gab es schon bei Beethoven)
Fazit: sie leisteten noch nicht alles, was die Instrumente ab 1857 (Bechstein) und 1875/76 (Steinway NY) konnten, aber sie waren auf dem Weg dahin.
c) wie original sind die "originalen Instrumente"?
und freilich will man wissen, worauf Chopin denn in seiner Pariser Zeit gespielt hat, worauf Liszt drei Sätze der Fantastique öffentlich gespielt hatte usw.
Es gibt Instrumente, kleinere und größere, aus diesem Zeitraum - fraglich ist natürlich, worauf Destenay hingewiesen hat, ob ein 170 Jahre altes Instrument selbst bei bester Pflege
heute noch genauso klingt wie
damals. Fraglich ist des weiteren, ob ein Nachbau
wirklich 100%ig original klingen kann: bekommt man exakt die Baumaterialien, die man damals verwendete (allein beim Filz stellen sich schon materialhistorisch interessante Fragen). Kurzum: sowohl originale alte als auch nachgebaute Instrumente leisten es nicht, den damaligen originalen Klang wirklich wiederauferstehen zu lassen (man lasse die Stradivari weg: Violinen sind keine Klaviere) - sie bieten aber eine ungefähre Richtung. Aus diesem Grund ist es richtig, sich mit möglichst vielen Instrumenten dieser Zeit zu befassen und dabei zu berücksichtigen, dass sich die Instrumente in besagtem Zeitraum permanent weiter entwickelten, veränderten (das spiegelt sich in etlichen Komponistenbriefen etc, wo allerlei Hersteller viel Lob erhielten)
d) originale Spielweise auf originalen Instrumenten?
ist das nächste heikle Thema... :D ...Tastentiefgang, Tastenwiderstand, sogar Tastenbreite differierten - Terzen, Sexten, Oktaven und Akkorde sind aber auf alten wie neuen Instrumenten Terzen, Sexten, Oktaven und Akkorde. Die Spieltechnik ist nicht anders. Lediglich die Belastung für das Instrument ist bei alten Klavieren eine höhere, wenn man ihnen die erwähnten Stücke zumutet (darum kann ich verstehen, wenn niemand auf seine Pleyel oder Erard von 1840 für Fantastic oder Norma zur Verfügung stellen mag...). Bzgl. der Tastenbreite: als Chopin Dezimen griff, waren die nicht anders als heute. Teilweise bedeutet geringerer Tastentiefgang eine spieltechnische Erleichterung, besonders bei schnellen Doppelgriffen (vielleicht waren Chopins op.25 Nr.6 und Nr.8 damals leichter als heute), teilweise erfordern die Fähigkeiten alter Instrumente Umstellungen: Bässe klingen auch mit Pedal nicht sehr lang nach, man ist sehr rasch an der dynamischen Obergrenze angelangt, vereinfacht gesagt fühlt sich hier cantables piano ähnlich an wie pianissimo auf einem heutigen Instrument.
Interessant und sicherlich noch lange nicht zu Ende diskutiert oder erforscht sind die alten Instrumente und sie leisten einen gewissermaßen experimentellen Beitrag - aber sie definieren nicht, was damals Realität oder Wahrheit war, sie geben darüber Fingerzeige, liefern Ideen (und manches machen sie auch plausibel: einige heute ungewohnte Pedalangaben Chopins funktionieren dort - aber das ist noch kein totaler "Originalklang/Spielweise-Beweis", es ist aber ein interessantes Detail. Man realisiert solche Stellen heute ebenso mit Pedal, nur ist der Pedaleinsatz ein wenig differierend)