Harmonielehre im Selbststudium (Krämer et al.)

Das ist ein Problem vieler Harmonielehren - sie lehren eine bunte Mixtur aus Regeln, die es historisch gesehen so nie gegeben hat.
kann ich nur bestätigen. Und vielleicht auch ein Grund, warum das Fach so unbeliebt ist. Die Studenten lernen keine brauchbaren Stilkopien zu schreiben und sehen in ihrer Spielliteratur immer wieder, daß die Regeln "gebrochen" werden und empfinden das ganze als trocken und "theoretisch".

Wenn ich irgendwann mal ein 2.000-seitiges Lehrbuch schreiben sollte*), dann beginnt das mit der Notre Dame-Schule und setzt sich dann chronologisch fort über Ars nova, die Vokalpolyphonie der Renaissance hin zum Generalbasszeitalter etc.
meinst Du, um mal beim homophonen Satz zu bleiben, ich sollte den Kantionalsatz vorziehen?
 
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Wenn ich irgendwann mal ein 2.000-seitiges Lehrbuch schreiben sollte*), dann beginnt das mit der Notre Dame-Schule und setzt sich dann chronologisch fort über Ars nova, die Vokalpolyphonie der Renaissance hin zum Generalbasszeitalter etc.
Das ist im Endeffekt ja fast der Ansatz, den Diether de la Motte verfolgt, also musst du das nicht schreiben. Nur arbeitet de la Motte eben nicht auf 2.000 Seiten und ist somit natürlich auch ziemlich unvollständig.

P.S.: Hat jemand mit dem Schönberg schon intensiv gearbeitet? Das Buch liegt bei mir seit zwei Jahren ungelesen irgendwo rum, aber falls ihr das empfehlen könnt, würde ich da auch mal reinschauen. Habe bisher, d.h. in den letzten paar Jahren, "nur" mit Dachs-Söhner (nicht schlecht, aber furztrocken), Krämer (siehe oben) und de la Motte (ebenfalls siehe oben) gearbeitet.
 
Das ist im Endeffekt ja fast der Ansatz, den Diether de la Motte verfolgt, also musst du das nicht schreiben.
De la Motte hat aber - soweit ich mich erinnere - eine starke Schlagseite hin zum Kantionalsatz. Für die komplexe Harmonik Wagners blieb beispielsweise nur ein halbes Kapitel, obwohl es dazu weit mehr zu sagen gäbe als zum gesamten Kantionalsatz...
 
Ja das stimmt. Aber wenn man den Kantionalsatz schon nicht versteht, dann wird man mit Wagner erst recht nicht klarkommen. Also ist es irgendwie schon sinnvoll, eher Wagner verkürzt darzustellen als den Kantionalsatz. Der mit Abstand größte Schwerpunkt liegt bei de la Motte auf Bach und Artgenossen.
 
Das ist ein Problem vieler Harmonielehren - sie lehren eine bunte Mixtur aus Regeln, die es historisch gesehen so nie gegeben hat. Bach hat ganz anders komponiert als Crüger, Schein oder auch Schütz. Trotzdem werden die Stile in Tonsatz-Lehrbüchern munter vermengt. Wenn ich irgendwann mal ein 2.000-seitiges Lehrbuch schreiben sollte*), dann beginnt das mit der Notre Dame-Schule und setzt sich dann chronologisch fort über Ars nova, die Vokalpolyphonie der Renaissance, Palestrina-Stil bis hin zum Generalbasszeitalter etc.

Hab den Krämer inzwischen widerwillig bestellt - und nun taugt er nichts? :016:

Diesen Verdacht, dass Harmonielehrbücher im Grunde ahistorisch sind und nur so tun, als gäbe es über die Jahrhunderte hinweg gesetzesartige Regeln der "Harmonie", hatte ich schon lange.

Statt irgendwelche ahistorischen Regeln aufzustellen und das Feld der Harmonielehre aus Vogelperspektive von oben zu betrachten, müsste man sich doch besser in die Wahrnehmungsposition eines Komponisten einer bestimmten Epoche versetzen und bestmöglich simulieren, wie der gedacht und empfunden hat.

Warum beispielsweise Bach im Kompositionsunterricht für seinen Sohn ausgerechnet diese zwei- und dreistimmigen Inventionen durchgepaukt hat. (Offenbar hielt er genau DAS für die Grundlage!)

Naja, aber anscheinend gibt es noch kein historisch vorgehendes Lehrbuch der Harmonielehre. Also werde ich morgen mal in den Krämer schauen und sehen, ob ich in diesem Faden mitmachen und noch den Anschluss finden kann.
 

Naja, aber anscheinend gibt es noch kein historisch vorgehendes Lehrbuch der Harmonielehre.
Es gibt Beispiele für einzelne Aspekte, aber wohl noch kein durchgehendes Werk, wie @mick es schreiben will. ;-)

Was mir einfällt ist:

- Thomas Daniel, Choralsatz, Kontrapunkt

- Knud Jeppesen, Vokalpolyphonie (wobei auch schon wieder etwas überholt, soweit ich weiß)

- Zsolt Gardonyi, Harmonik - versch. Stile.

- die von mir oben genannten.

All das nützt aber erst richtig, wenn man auch KORREKTUREN für seine Übungen hat. Ich kenne einige Dozenten für Harmonielehre hier an der Uni, die an der Musikschule sowieso, und KEINER beherrscht Stilkopien. Meistens kommen sie mit ihren selbstgebastelten Arbeitsblättern um die Ecke, wo man Funktionssymbole eintragen soll oder eben vorgegebene Funktionen aussetzen. Das ist malen nach Zahlen und für Interessierte wie mich völlig nutzlos.
Mal davon abgesehen, daß es zu Zeiten des Kantionalsatzes und auch noch bei bei Bach keine Funktionstheorie gab.
 
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Hab den Krämer inzwischen widerwillig bestellt - und nun taugt er nichts?

Ich glaube, es kommt darauf an, welches Vorwissen man mitbringt und was man erwartet.

Wenn Krämer mir etwas von Choralsätzen und Kantionalsätzen erzählen würde, ehe ich überhaupt bestimmte Funktionen identifizieren, benennen und verwenden kann, würde ich irre werden.

Was er toll macht: Dinge, die ich sonst gelesen und abgenickt hätte, kann ich bei ihm üben und feststellen, dass Lesen und Machen zwei verschiedene Dinge sind.

Andererseits finde ich es großartig, dass die Themen hier im Faden schon angerissen werden, da weiß ich, womit ich weitermachen kann, wenn ich die wesentlichen Grundlagen halbwegs verstehe.

Ist wie in jedem Wissensgebiet: Irgendwo muss man mit den Grundlagen anfangen und dann vertieft man so weit, wie man will/muss.

Motte und Schönberg weisen ja beide darauf hin, dass es in der Harmonielehre um Ästhetik geht und die nicht in allgemein gültige Regeln gepresst, sondern nur erforscht werden kann anhand von gelungenen Beispielen.

Wenn man gelungene vierstimmige Sätze schreiben will, reicht Krämer alleine vermutlich nicht aus. Wenn man wissen will, wieso unter bestimmten Melodienoten bestimmte Akkorde stehen, klappt das didaktische Konzept bei mir zumindest ganz gut.

(Ich spiele aber auch "Wilder Reiter", "Altfranzösisches Lied", entsprechende Bachmenuette und solche Sachen. Der "holde Abendstern" von Wagner entzieht sich dem Krämer bisher. :-D)
 
Hab den Krämer inzwischen widerwillig bestellt - und nun taugt er nichts?
Doch, der ist schon gut, jedenfalls betrachte ich den für mein bisheriges Verständnis als eines der besseren Bücher, die ich zu liegen habe. Ob man dann jede Aufgabe zu lösen versucht, ist eine andere Angelegenheit. Das halte ich bisher nicht für unbedingt erforderlich. Zusammen mit meinen bisherigen Notizen von Webseiten und aus Büchern, rundet der aber vieles ab, würde ich bisher meinen.
 

Ich habe (hier neulich im Forum?) ein Video von einer Pianistin gesehen, die ganz locker Stilkopien von Mozart, Haydn und Beethoven gespielt hat. Warum bist du so sicher, dass die Dozenten das nicht können? Didaktische Fähigkeiten haben ja nichts mit fachlichem Können zu tun.

Ich kenne einige Dozenten für Harmonielehre hier an der Uni,

Studierst du inzwischen? Darf ich fragen, welches Fach?
 
Was mir noch einfiel, unter "OpenBooks für Musikschulen" ist eine "Harmonielehre #reloaded" zu finden und noch eine zweite, doch die Harmonielehre #reloaded hatte ich mir einmal angesehen und wieder zugeklappt. Aufgaben waren da ebenfalls enthalten. Doch insgesamt nicht zu vergleichen mit dem Buch von Krämer.

https://kaiser-ulrich.de/publikationen/openbooks
 
Antworten auf entsprechende Fragen hätten.

Ich bin sicher, einige hier im Forum könnten einige meiner Fragen beantworten, aber ob ich diese Antworten verstehen würde und ob es sich daher aus Sicht der Befragten lohnen würde, es überhaupt zu versuchen, ist höchst zweifelhaft. :-D

Hat nichts mit dem Fachwissen der Befragten, sondern mit meinem zu tun.

Zwischen dem Level der Aufgaben von Krämer und dem Wissen für Stilkopien liegen doch bestimmt Welten. :schweigen:
 

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