Hanons Übungsstück: worauf muss man bei den Fingern besonders achten?

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Ich erkläre gleich ein letzes mal warum.
Lieber Alex,

ich schätze sehr, dass du hier argumentierst, auf Gegenargumente antwortest und deinen Standpunkt zu vermitteln suchst! Vielleicht hilft ein Blick von weiter weg, warum Profis wie Amateure hier in großer Einigkeit Hanon ganz besonders als technischen Einstieg bei Anfängern für ein No-Go halten.

Ich habe u.a. fortgeschrittene Wiedereinsteiger als Schüler. Manche von ihnen kommen sehr gern als Erstes mit Hanon an, weil sie den früher geübt haben und nun nach der langjährigen Pause meinen, etwas für ihre Technik tun zu müssen. Groß ist die Verwunderung dann, wenn ich ihnen im Letzteren zustimme, aber das, was sie bisher unter Technik verstanden haben, nun auf den Kopf stelle.

Denn meine Erfahrung ist, dass der, der früher Hanon gespielt hat, schlecht hört. Die meisten davon sind auch noch mit der berühmten Münze auf dem Handgelenk beglückt worden. Die Folge ist, dass, wenn in irgendeinem Stück schnelle Sechzehntel notiert sind, diese Sechzehntel immer gleich klingen. Keine Intervalle, keine Phrasierung ist zu hören, der Arm wird viel zu wenig eingesetzt, der Klang ist hart und laut.

Dafür können die Schüler nichts - sie sind leider ein Opfer eines damals sehr auf mechanistische Dinge getrimmten Klavierunterrichts. Ich erinnere mich mit Grauen an mein Praktikum an einer Musikschule, wo die Schüler nach Metronom Tonleitern spielen sollten. Keine Perlen, keine glitzernden Girlanden, sondern stumpfe, harte, gleichlaute Töne.

Das ist für mich wirklich Gruselfaktor 5. Mittlerweile hat sich in der Klavierpädagogik viel getan, Gott sei Dank! Dem Primat des Ohrs wird Raum gegeben. Technische Übungen sind auch am Anfang durchaus nötig, aber oft werden dabei Bewegungsmuster (Armführung!) in Beziehung mit dem Klang initiiert, die auch im Stück vorhanden sind, teilweise individuell auf den Schüler zugeschnitten.

Hanon steht nun für diese alte, z.T. leider immer noch vorhandene, sehr mechanistische Herangehensweise, die dem Ohr und der Technik des Schülers sehr schadet. Weil der Schüler als Anfänger sich in sehr vielen Fällen falsche Bewegungen angewöhnt. Es ist zum Beispiel sehr wichtig, nach dem Anschlag Hand und Arm sehr leicht zu machen. Es ist wichtig, nicht zu drücken. Es ist wichtig, den Arm dabei einzusetzen. Das alles hört man am Klang. Das muss ein Anfänger erst mal lernen. Dazu lieber in der Chopin-Lage, der von Chopin für Anfänger präferierten Lage e,fis,gis,ais,c. In C-Dur zu spielen wie es Hanon vorschlägt, ist sehr ungünstig für Anfänger.

Der Schüler sollte seinen Körper als Einheit begreifen. Die Armführung ist eines der wichtigsten technischen Elemente, das für mich erst mal Priorität haben sollte im Unterricht für Anfänger. Hanon führt gern zu isolierten Fingerbewegungen, zu viel Druck und keinen schönen Ton, den man nur mit Beteiligung des Arms erzeugen kann.

Liebe Grüße

chiarina
 
Zum Thema Hanon und ähnlichem "Übungsmaterial" mal ein paar Fragen an die Profis der Klavierpädagogik.
Wird denn im Studium über die Wertigkeit z. B. von Hanon referiert? Wird dem angehenden KL heutzutage der von euch oben beschriebene Pädagogikansatz über "Hörerfahrung" und "Klangvorstellung" über das Studium so mitgegeben? Oder habt ihr euch euren pädagogischen Ansatz selbst erarbeitet? Gibt es für den Klavierunterricht ein aktuelles anerkanntes pädagogisches Konzept?

Hintergrund meiner Frage ist die Erfahrung mit meiner neuen KL. Sie ist relativ jung und hat somit ihr Klavierpädagogikstudium vor nicht allzu langer Zeit abgeschlossen. Nach ein paar Unterrichtsstunden schlug sie vor, dass wir Hanon einsetzen. Naja, den hatte ich ja nun zwischenzeitlich weggeschmissen. Das konnte sie nicht nachvollziehen, da man damit die Technik doch gut üben kann. Ich war über ihren Ansatz überrascht. Sie schlug dann auch vor, dass ich Tonleitern mit Metronom üben soll. Auf meine Frage hin, wozu das gut sein soll, erklärte sie, dass man dadurch gut lernt, gleichmäßig zu spielen. :denken:
 
Du hast also keine Argumente und wirst der gründlich argumentierenden Gegenseite vor, dass sie im Unrecht ist?

Rück' doch mal ein paar Argumente raus!
Nur ein Beispiel aus meinem Erfahrungsschatz:

Vor einigen Jahren übte ich relativ lange die Goldberg-Variationen. Bei diversen Passagen waren die Leiterläufe und Figuren um den rechten und linken Ringfinger ungleichmäßig und verwaschen. Ich übte und übte und alle Versuche und Ansätze meiner damaligen KL ( keine KKL sondern Konzertpianistin mit Lehrauftrag an der Uni) die Stellen zu einem Klassenvorspiel klar und sauber hinzukriegen brachten keinen Erfolg. Daraufhin wurde ich von ihr zu Hanon und Pischna verdonnert. Nach 2 Wochen hatte sich das Problem erledigt. Der Vierer lief beidseits einwandfrei beweglich und gleichmäßig. Tut mir leid aber so war es halt. :-D
 

Ich habe die letzten 17 Jahre (mein Gott, so lange schon!) ausgezeichneten Unterricht genossen, viele Jahre davon bei sehr berühmten, international konzertierenden Pianisten. Hanon hat kein einziger davon auch nur erwähnt. Und ans Metronom hat mich auch niemand gezwungen.

Das lässt mich befürchten, dass die Ablehnung von Hanons mechanistischer Herangehensweise keine Neuentwicklung moderner Pädagogik ist, sondern lediglich eine Sache, die sehr guten von mittelmäßigem Unterricht schon immer unterschieden hat. Bereits Heinrich Neuhaus (einer der Lehrer meiner früheren Münchener KL) hat Hanon strikt abgelehnt - vor mehr als 60 Jahren. Ein paar ganz gute Schüler hatte er dennoch...
 
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Nur ein Beispiel aus meinem Erfahrungsschatz:

Vor einigen Jahren übte ich relativ lange die Goldberg-Variationen. Bei diversen Passagen waren die Leiterläufe und Figuren um den rechten und linken Ringfinger ungleichmäßig und verwaschen. Ich übte und übte und alle Versuche und Ansätze meiner damaligen KL ( keine KKL sondern Konzertpianistin mit Lehrauftrag an der Uni) die Stellen zu einem Klassenvorspiel klar und sauber hinzukriegen brachten keinen Erfolg. Daraufhin wurde ich von ihr zu Hanon und Pischna verdonnert. Nach 2 Wochen hatte sich das Problem erledigt. Der Vierer lief beidseits einwandfrei beweglich und gleichmäßig. Tut mir leid aber so war es halt. :-D
Witzig, aber eine ähnliche Erfahrung habe ich auch einmal gemacht: nachdem ich bei einem bestimmten Stück irgendwie doch ein hartnäckiges Problem mit der Koordination von viertem und fünftem Finger - eine schnelles Hin und Her, idealerweise noch mit Spannungsbogen - hatte, bekam ich von meinem KL zum ersten und bisher einzigen Mal den Tip, es zusätzlich mal mit einer Hanon-Übung zu probieren (auch wenn er den Begriff "Hanon" dabei allerdings tunlichst vermied :003:). Hat tatsächlich geholfen! Gut, aber war natürlich auch keine isolierte Übung der Technik um der Technik willen, sondern eingebettet in einen musikalischen Kontext, so wie bei Dir offenbar ja auch, und macht die Einwände und Bedenken deswegen sicher auch nicht falsch. Man sollte vielleicht nur keine Ideologie draus machen.
 
Jedenfalls war meine KL mit ihrem Konzept erfolgreich.
Wenn Figuren um den Ringfinger herum verwaschen klingen, hat das einen konkreten Grund, der in der Regel mit schlechter Armführung zusammenhängt. Und wenn man das klar analysieren kann (und ein wirklich guter KL kann das!), dann sind zum Abstellen des Problems ganz gewiss keine isolierten Fingerübungen à la Hanon das Mittel der Wahl.

Hanon geben Klavierlehrer offensichtlich dann auf, wenn sie mit ihrem Latein am Ende sind. Wenn es bei dir dennoch zu einer Verbesserung geführt hat, sei froh - ich halte das für puren Zufall. Genauso gut hätte Hanon das Problem erheblich verschlimmern können. Es sei denn, deine KL hat dir minutiös erklärt, wie du eine Hanon-Übung machen must. Aber in dem Fall hätte es Hanon ja gar nicht gebraucht - dann hätte sie dir auch am Stück zeigen können, wie du es richtig üben musst.
 
Hanon geben Klavierlehrer offensichtlich dann auf, wenn sie mit ihrem Latein am Ende sind.
Ganz genau.
Oder wenn sie, wie Du auch schon erwähntest, sich einen ruhigen Schuh im Unterricht machen wollen.

Jedenfalls soll gegenüber dem Schüler (bzw. oft auch den Eltern) suggeriert werden, dass "trainiert wird" bzw. dass "Abhilfe geschaffen wird", der Lehrer also die Sache unter Kontrolle hat, Bescheid weiß und sein Geld wert ist.
 
Hat tatsächlich geholfen! Gut, aber war natürlich auch keine isolierte Übung der Technik um der Technik willen, sondern eingebettet in einen musikalischen Kontext, so wie bei Dir offenbar ja auch, und macht die Einwände und Bedenken deswegen sicher auch nicht falsch. Man sollte vielleicht nur keine Ideologie draus machen.

Genialer Satz, den ich sowas von unterschreibe, und der sich auf so viele verschiedene Themen und Ansichten ausweiten lässt.
 
Genialer Satz, den ich sowas von unterschreibe, und der sich auf so viele verschiedene Themen und Ansichten ausweiten lässt.
Na aber eine Meinung zu Hanon sollte man sich schon bilden. Schließlich wird das Werk teilweise zum regelmäßigen (täglichen) Üben angedient. Ob die Zeit gut oder schlecht investiert ist, kann man nur in eine Richtung beantworten. Mit dem Motto „ich übe das mal lieber, weil einige es für sinnvoll halten und so falsch kann es nicht sein“ vergeudet man eventuell Zeit, die man sinnvoll nutzen könnte.

Wobei ich mich wirklich frage:
Bei wem hat Hanon selber gelernt, was hat er selber mit seinen Übungen zustande gebracht und wer waren seine Schüler, die er zum Erfolg geführt hat? Wie kann es sein, dass seine Fingerübungen eine solche Verbreitung gefunden haben? Bauernfängerei im Amateurbereich?
 
Na aber eine Meinung zu Hanon sollte man sich schon bilden.

Wobei ich mich wirklich frage:
Bei wem hat Hanon selber gelernt, was hat er selber mit seinen Übungen zustande gebracht und wer waren seine Schüler, die er zum Erfolg geführt hat? Wie kann es sein, dass seine Fingerübungen eine solche Verbreitung gefunden haben? Bauernfängerei im Amateurbereich?

Ich habe das Gefühl, dass dieser Hanon in beiden Hinsichten (nämlich in Bezug auf seinen Sinn als auch auf seinen Schaden) schlicht überbewertet wird. Ewig und überall wird über den Sinn und Unsinn dieser Übungen diskutiert und es gibt wunderbare Pianisten, die mit und ohne Hanon-Übungen zu solchen geworden sind. Das Ganze wirkt für mich wie ein Ideologieproblem, deswegen fand ich den zitierten Satz von Perdita auch so treffend.

Vom Amateurbereich würde ich da gar nicht sprechen, denn ein Amateur bzw. Hobbyspieler braucht den Hanon ganz gewiss nicht. Auf der anderen Seite ist es nicht nur der Hanon, den man unmusikalisch, mechanisch und ohne jedes Gefühl in die Tasten hämmern kann. Und förderlich ist das nie! Ich persönlich mag Czerny, aber auch den muss ich richtig anwenden, wenn er Erfolg haben soll.
 
Weder im Amateurbereich noch im Profibereich braucht man Hanon. Das sollte doch nun allmählich klar geworden sein. Und es gibt wohl nichts innerhalb der Klavierliteratur, was so nutzlos ist wie diese stupiden Abläufe. Die Begründung dafür möchte ich nicht nochmal ausführen.
 
Ich habe das Gefühl, dass dieser Hanon in beiden Hinsichten (nämlich in Bezug auf seinen Sinn als auch auf seinen Schaden) schlicht überbewertet wird.
Mein Lehrer meinte damals nur, dass er selbst von seinem Lehrer bei einem ähnlichen Problem diese Übung gezeigt bekommen habe - offenbar auch mit Erfolg, sonst hätte er sie mir wohl kaum empfohlen. Vermutlich verhält es sich mit solchen Übungen ähnlich wie bei dem berühmten Satz des Paracelsus: die Dosis (und natürlich auch die Art der Anwendung) macht das Gift. Dass sich darum solche Kontroversen entspinnen können ist allerdings überraschend :005: .
 
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