So schaut die Praxis aus und es herrscht ja auch hier offensichtlich große Unsicherheit wie man richtig übt. Das wurde einfach (viel) zu wenig reflektiert.
Und das müßte man auch fächerübergreifend mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Hirnforschung/Neurowissenschaft verschränken. Und da hat man in den letzten Jahren viel dazu gelernt, insofern müssen alte Methoden hinterfragt und neu bewertet werden.
Da ist wohl noch ein (sehr) weiter Weg zu gehen, ohne das es vielen auffällt!
Lieber lexel,
wenn du übst, unterrichtest du dich selbst. Du bist Lehrer und Schüler in einer Person. Du übst, um etwas zu verbessern, in diesem Fall dein Klavierspiel und deine musikalischen Fähigkeiten. Nebenbei übst du sogar dich selbst als Person.
Wenn du dein Klavierspiel beim Üben verbessern möchtest, musst du deine Stärken und Schwächen kennen, deinem Spiel gut zuhören und ein gewisses Grundwissen an Übemethoden, musikalischem Verständnis, Klangsinn und technischem Können mitbringen. Zahlreiche Übemethoden haben sich u.a. daraus entwickelt, wie wir Menschen lernen.
Da totale Anfänger das alles noch nicht können, ist das Ziel des Anfangsunterrichts u.a. die Entwicklung dieser Fähigkeiten. Außerdem übt man mit ihnen im Unterricht, so dass sie lernen, wie sie sich selbst lehren können. Nach und nach werden sie immer selbständiger - ihr eigenes Üben zu Hause wird immer effektiver. Denn das Üben muss man lernen! :D
Dazu gehören zunächst einfache Grundlagen, die hier im Forum schon oft genannt worden sind (möglichst fehlerfrei üben; sich nicht zuviel aufladen/Prinzip der rotierenden Aufmerksamkeit; Stellen herausgreifen und rückwärts additiv üben, wiederholen; variabel üben; Töne weglassen; langsam üben; bei allem noch Kapazität frei haben zum Zuhören und eine gelöste und durchlässige Körperwahrnehmung u.v.a.m.). Diese Übestrategien basieren alle darauf, wie wir Menschen lernen.
Das wissen Lehrer schon sehr lange und zwar durch
Empirie. In den letzten Jahren wurden einige Erkenntnisse von den Neurowissenschaften belegt, allerdings hinkt der wissenschaftliche Nachweis vom Lernen und der Funktionsweise unseres Gehirns den empirischen Erfahrungen weit hinterher.
Beispielsweise weiß jeder Lehrer, dass das "Vormachen" eine sehr sinnvolle Sache ist. Der Schüler hört und guckt sich das quasi ab und schwuppdiwupp ist Klang und damit auch die Bewegungsfindung erheblich besser. Die Neurowissenschaft hat dann irgendwann herausgefunden, dass es beim Menschen
Spiegelneuronen gibt, die genau dazu befähigen.
Wir freuen uns, wenn die Wissenschaft uns bestätigt, aber unseren Unterricht verändert das nicht, denn wir wussten den Nutzen für den Unterricht ja auch schon vorher, auch wenn wir von der Existenz der Spiegelneuronen nichts ahnten. :D
Ich finde es also interessant und sehr gewinnbringend, die Erkenntnisse der Neurowissenschaft zu kennen, aber eher als Vertiefung denn als Änderung. Vielleicht gibt es ja irgendwann mal ganz neue Erkenntnisse, aber im Moment ist der empirische Erfahrungsschatz der Klavierpädagogik weitaus höher.
Jeder Unterricht mit einem Schüler vertieft diesen Erfahrungsschatz, denn jeder Schüler bringt ganz eigene Fähigkeiten und Anlagen mit, so dass jede Unterrichtsstunde ganz individuell verläuft und individuelle Lösungen und Herangehensweisen braucht.
Wie also mit einem Schüler im Unterricht geübt wird, ist bei ein und der gleichen Stelle ganz unterschiedlich: der eine hat flinke Finger, spielt aber eher mechanisch - also wird der Lehrer Gehörschulung machen und eher fragen, "was hörst du hier".... .. Der andere hört gut, hat aber ein Problem mit der Motorik - also werden Lehrer und Schüler an der Bewegungsfindung arbeiten. Wieder ein anderer kann die Stelle sofort und wieder ein anderer muss erst mal einzeln/stimmenweise üben oder ganz gezielt eine Stelle herausgreifen.
Auch bei der Bewegungsfindung ist die Lösung immer sehr individell: wenn du Pianisten beobachtest, bewegen die sich durchaus unterschiedlich, auch wenn es viele Gemeinsamkeiten gibt. Der eine macht die Ellipse so rum, der andere lieber andersherum, weil es bei ihm so besser funktioniert. Der eine nimmt den Fingersatz, weil er seinen physiologischen Gewohnheiten mehr entspricht, der andere nimmt einen ganz anderen Fingersatz.
Wenn es für alle das Gleiche oder das Eine gäbe, könnten wir hier mit Lösungen nur um uns werfen, aber das Gegenteil ist der Fall. Problemlösungen können nur im Unterricht in der gemeinsamen Arbeit und Interaktion gefunden werden.
Um nun auf dein Üben zurückzukommen, brauchst du als Lehrer und Schüler in einer Person ebenso individuelle Lösungen. Grundsätze gibt es jede Menge, aber welche du wie und wann anwendest, musst du (mit Unterstützung deines Lehrers) selbst rauskriegen und lernst dich und dein Klavierspiel mit jedem Üben ein bisschen besser kennen. WIR können das aber nicht hier über das Internet, wie hoffentlich aus den genannten Gründen hervorgeht.
Liebe Grüße
chiarina