Ja, das ist ein sehr komplexes Stück, sehr introvertiert - also die Komposition -.
Zunächst: Ich finde es berückend, mit welchem Atem Du spielst, welch Sinn für das Nachhören, Zeitnehmen, Genießen des Klangs. Das ist wunderbar und wird Chopin sehr gerecht und auch diesem Stück. Gleichwohl ist genau das auch die Crux.
Haben wir einen langen Ton als Melodieton auf dem Klavier, sind wir in der Klemme. Dieser Ton macht immer, ohne Ausnahme ein diminuendo. Das liegt daran, daß das Klavier ein Schlaginstrument ist (gruseliges Wort in dem Zusammenhang...).
Damit die Melodie trotzdem klingen kann, müssen wir ihr alles opfern. Bei Chopin sind das schonmal ausschweifige Achtel - oder Sechzehntelbewegungen der linken Hand. Sie dürfen wie ein glimmender Zauber unter der Melodie liegen. Man weiß gar nicht genau, was geschieht, aber die Linke trägt die Rechte.
Bei Dir ist das anders. Du opferst zuviel der linken Hand. Soll heißen, Du artikulierst die Linke sehr genau, auch Dein Fokus liegt sehr auf der Linken, Du läßt sie nicht gehen. Dabei erstickt die Rechte.
Auch passiert es Dir, das kann man im gleichen Zusammenhang sehen, daß Du am Ende eines Taktes Dich neu sammelst und es entsteht ein Bruch (damit meine ich nicht die bewußt spät gesetzten Momente, die ich wunderschön bei Dir finde). Daraus resultiert, daß die Melodie selber nicht atmen kann, sich nicht steigern kann, nicht erzählen kann. Die Phrasen wirken kurzatmig.
Was tun?
Die Linke nicht so beachten. Schauen, welche Töne links zu einer neuen Harmonie führen, die sind wichtig, die resultierende Harmonie ist nicht wichtig, die erwartet man dann. Hast Du also z.B. gebrochene cis-moll Akkorde, so ist nicht der einzelne Ton wichtig, sondern der Rausch, den die Harmonie bewirkt. Also mit den Fingern leichter sein, mehr vorwärts denken, opfere der Melodie.
Deine Spielweise wird bei den chromatischen Geschichten auf der dritten Seite besonders auffällig. Sie befinden sich noch im Übemodus, jeder Ton wird herausgearbeitet. Nein, lass es gehen und es wird blühen und unter Deinen Händen wunderbar klingen, da bin ich sicher

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Das muß man üben wie verrückt

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