Auch wenn Skrjabin ein Egomane mit Gottkomplex war, so stand er doch seinen Werken nicht unkritisch gegenüber. Von einigen distanzierte er sich nach einer Weile, wie dem Allegro de Concert op.18, andere spielte er erst gar nicht, wie die h-Moll-Fantasie op.28. Vor den Preludes aus den 90er-Jahren hatte er aber großen Respekt. Es gab kein Konzert, bei dem nicht eine Auswahl aus op.11 oder den folgenden 23 Preludes gespielt wurde. Dabei ging er recht undogmatisch mit den einzelnen Zyklen um und führte sie nur selten wirklich zyklisch auf, ebenso hatte er kein Problem damit, nur einzelne Sätze aus Sonaten im Konzert zu spielen. Wirklich komplett spielte er den Zyklus op.11 erst 1912 zum ersten mal im Konzert.
Entstanden sind die meisten Preludes zwischen 1894 und 1895. Das h-Moll-Prelude schrieb er bereits 1889, das e-Moll-Prelude schrieb er 1888 mit gerade mal 17 Jahren. Es geht auf ein Klavierstück zurück (eine Ballade), die er 1887 schrieb. Skrjabin schrieb über das Manuskript jedes einzelnen Prelude, wann und wo dieses geschrieben wurde, man hat also einen kleinen Reisebericht. Größtenteils sind sie in Moskau, Heidelberg, Paris und am Vierwaldstätter See entstanden.
Großes Vorbild für die Struktur des Zyklus scheint Chopins op.28 zu sein. Die 24 meist monothematischen Preludes gehen im Quintenzirkel durch alle Tonarten in derselben Reihenfolge, wie Chopins op.28. So könnte man den Zyklus als Hommage an Chopin interpretieren.
Die Wahrheit schaut etwas anders aus. Nicht Skrjabin drängte auf diese Struktur, sondern sein Verleger und Ersatzvaterfigur Beljajew. Ohne Beljajews Einwirken auf Skrjabin, hätte es diesen Zyklus in der Form sicher nicht gegeben. Damit wollte sich Beljajew aber nicht zufrieden geben. Angelehnt an das „Wohltemperierte Klavier“ wollte Beljajew unbedingt noch einen zweiten Zyklus gleichen Aufbaus. Beljajew setzte den stets unter Geldnot leidenden Skrjabin dabei sehr unter Druck. 1896 schrieb Skrjabin an Beljajew: „Ich bin keineswegs untätig im Komponieren! Ich tue alles, was ich kann. Ich sollte mich aber wirklich zurückhalten; wie Sie wissen, ist meine Konstitution nicht aus Erz. Ich bin wirklich müde! – Und weshalb solche Hast? Es ist doch wahrhaftig keine kleine oder leichte Aufgabe, 48 Stücke irgendeiner Art, ob kurz oder lang, zu schreiben.“ Skrjabin hasste es, auf Bestellung zu schreiben, also rebellierte er auf seine ganz eigene Art. Er machte sich daran, bis 1896 die Stücke zu schrieben und schaffte es – nur fasst, denn er schrieb genau 23 weitere Preludes (op.13, 15, 16, 17). Dabei hielt er sich an dieselbe tonartliche Systematik – aber nur fast. Op.13 folgt noch streng dem Schema, op.15 enthält die Tonart E-Dur doppelt, op.16 enthält Fis-Dur und Ges-Dur und ab op.17 wird das System ganz aufgegeben.
Die Vielfalt an Satztypen, Charakteren und Schwierigkeitsgraden machen op.11 unter anderem interessant. Der Leitstern Chopin ist zwar wahrnehmbar, beginnt aber hier bereits zu verblassen. Es steckt schon unglaublich viel Skrjabin in diesem frühen Zyklus. Die typisch weitgriffigen Bassfiguren treten bereits im ersten Prelude auf. Im zweiten Prelude wird das Septintervall thematisch verwendet und im Tritonusabstand verschoben, was bereits auf die Prometheus-Harmonik hindeutet.
Polyrhythmik kommt in vielen der Preludes vor. Triolen, wie hier zum Beispiel aus dem e-Moll-Prelude…
…sind geradezu charakteristisch für Skrjabin, ebenso wie die Quartsprünge der Nr.14, das Ineinandergreifen der Hände bei der Nr.6 oder Nr.24 oder das Verschieben von Melodie und Begleitung zueinander, wie in der Nr.19.
Allein schon deswegen halte ich op.11 für einen idealen Einstieg in die Werke Skrjabins.
Heute vor genau 100 Jahren ist Skrjabin gestorben. Ich hoffe sehr, dass ich mit diesem Projekt euch diesen genialen Komponisten etwas näher bringen konnte und dass ihr genauso viel Spaß an diesem Projekt hattet, wie ich. Denn was bei diesem Projekt rausgekommen ist, hat alle meine Erwartungen übertroffen. Ihr habt euch hier so unglaublich viel Mühe gegeben, dass ich mich nur tief verneigen kann. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht in die tollen Aufnahmen hineinhöre.
In diesem Sinne bedanke ich mich recht herzlich bei
@Joh ,
@poco a poco,
@Fips7,
@Lustknabe,
@Gernot,
@Curby,
@dilettant,
@pianochris66,
@KrautundRueben,
@pianovirus,
@Herzton,
@french-lesson,
@mick,
@Digedag,
@DonBos,
@klaviermacher,
@Snow,
@Herzton,
@dooodii und
@cwtoons für die schönen Aufnahmen.
Hier sind die Links aller bis jetzt eingetroffenen Einspielungen.
Nr.1 C-Dur Vivace:
Joh
Nr.2 a-Moll Allegretto:
poco a poco
Nr.3 G-Dur Vivo:
Fips7
Nr.4 e-Moll Lento:
Lustknabe
Nr.5 D-Dur Andante cantabile:
Lustknabe;
Gernot
Nr.6 h-Moll Allegro:
Troubadix
Nr.8 fis-Moll Allegro agitato:
dilettant
Nr.9 E-Dur Andantino:
pianochris66;
KrautundRueben
Nr.10 cis-Moll Andante:
pianovirus
Nr.11 H-Dur Allegro assai:
Herzton
Nr.12 gis-Moll Andante:
Fips7
Nr.13 Ges-Dur Lento:
french-lesson;
Nr.14 es-Moll Presto:
mick
Nr.15 Des-Dur Lento:
Digedag
Nr.16 b-Moll Misterioso:
DonBos
Nr.17 As-Dur Allegretto:
klaviermacher
Nr.18 f-Moll Allegro agitato:
Snow
Nr.19 Es-Dur Affettuoso:
Herzton
Nr.20 c-Moll Appassionata:
dooodii
Nr.21 B-Dur Andante:
Curby
Nr.22 g-Moll Lento:
cwtoons
Nr.23 F-Dur Vivo:
mick
Nr.24 d-Moll Presto:
mick
Ich bin sehr zuversichtlich, dass das letzte fehlende Prelude demnächst hier reingestellt wird und es mir nicht wie Beljajew ergeht. Wenn ich noch einen Wunsch frei hätte, so würde ich mir von Snow noch eine Aufnahme in besserer Qualität wünschen. Von Rudl würde ich mich auch über eine Einspielung der Nummer 2 freuen. Lieber
@Rudl, ich hoffe, du bist dem Forum nicht auf Dauer abhandengekommen. Natürlich darf auch jederzeit weiterhin jeder jedes Prelude hier reinstellen, das er gerne möchte.
Da wäre noch eine Kleinigkeit…
Ihr habt euch hier alle so unglaublich viel Mühe gegeben, teilweise Stücke an eurer Leistungsgrenze gespielt oder sogar mehrere Stücke eingespielt. Jeder, der schon mal ein Stück eingespielt hat weiß, wie nervenaufreibend das sein kann und wie viel Arbeit es ist, bis man selber mit der Aufnahme zufrieden ist. Dazu braucht man auch immer etwas Mut, um eine Aufnahme zu veröffentlichen.
Ich dagegen habe es mir relativ leicht gemacht, da ich mein Prelude im Großen und Ganzen zu Projektbeginn schon konnte. Vor einem guten Monat habe ich daher beschlossen, dass ich so einfach nicht davon kommen darf und mich noch mal einer Herausforderung stellen sollte. Daher habe ich mir das d-Moll-Prelude geschnappt und angefangen zu üben.
Das war sicher eine der schwersten knappen Minuten, die ich je gelernt habe, um ehrlich zu sein liegt das Stück weit über meinem Level und treibt nicht nur mich, sondern auch mein Instrument hart an die Grenzen und darüber hinaus, was man natürlich auch hört. Davon lasse ich mich aber nicht abhalten.
Skrjabin - op.11 Nr.24 in d-Moll
Viele Grüße!
Sebastian