Es gibt zwei Arten von Schülern, welche mit photographischen Gedächtnis, und welche mit akustischen Gedächtnis.
Ich weiß nicht (!) ob ich da in beide oder keine von beiden Gruppen gehöre!
Wenn ich "am Schreibtisch" (oder auf der Terrasse im Liegestuhl) Noten lese, dann kann ich innerlich hören, wie das klingt, was ich gerade lese. Und ich kann beim notenlesen auch eine sehr detaillierte "Bewegungschoreografie" erstellen (das hat den Vorteil, dass ich auf einen ersten Blick schon wahrnehme, wo es schwierig ist (und folglich Training nötig sein wird) und wo nicht). Ich behalte dann nach dem Notenlesen beides, den Notentext nebst Klang und die Bewegungsweisen im Gedächtnis*). (harmonische Analyse benötige ich nahezu nicht, das passiert von allein beim notenlesen)
=> ich halte das
für mich (andere mögen andere Vorlieben haben) für die einzig natürliche und richtige, sozusagen normale Weise des "Notenlesens" und daraus (Klang- und Bewegungsvorstellung) resultiert auch
bei mir die Fähigkeit des prima vista Spielens. Und damit bin ich nicht allein: die meisten meiner Kollegen machen das genauso, und genauso wie ich ohne sich darüber großartig Gedanken zu machen.
Die Frage
wie lernt man auswendig? stellt sich für mich gar nicht - das auswendige (notenfreie) beherrschen des Notentextes ergibt sich ganz von allein, nebenbei: ich übe nahezu nie mit Noten (!) Wenn ich schwierige Passagen üben muss, dann weiß ich schon längst die Bewegungsfolgen, die Tastenfolgen, den Klang - und alles, was nicht schwierig zu spielen ist, das ist schon längst im Gedächtnis und bedarf des Notentextes nicht mehr. Die Noten verwende ich nur zur Detailkontrolle.
Nein, ich habe kein "fotografisches" Bild der Noten vor Augen (ich könnte sowas "abrufen", d.h. ich finde jedes Detail im Notentext auf den ersten Blick (welcher Bogen? wo Akzente? usw. usf.)
Das war natürlich nicht immer so! Als Kind hatte ich noch nicht die Fähigkeit, "normale" barock-klassisch-romantisch-spätromantisch-frühmoderne Notentexte rasch zu erfassen: aber dank des Unterrichts, den ich hatte, lernte ich rasch, wie das funktioniert. Dafür bin ich ewig dankbar (also dafür, dass ich fantastischen Unterricht hatte)!! Ich hatte Prokovevs
Suggestion diabolique nie als Klavierschüler oder als Student gespielt. Vor ca. 10 Jahren hat mich das Stück zum selber spielen gereizt (Zugabensuche) - ich hatte zwei Stunden benötigt, um den Notentext 100% im Kopf zu haben, danach zwei Nachmittage an den Tasten, um das Stück im Tempo spielen zu können. (das ist jetzt kein großes Wunder, denn das kurze stacc.-Stück erfordert Spielweisen, die mir ohnehin liegen - für andere Sachen benötigte ich länger: Ornsteins
a la Chinoise hat eine Woche verbraucht, die Tannhäuser Ouvertüre ungefähr ein halbes Jahr (diese lange Zeit nicht für den Notentext, sondern für die fürchterliche "Gymnastik"))
aber ich kann nachvollziehen, wie das für Anfänger ist: denn ab und zu gerate ich an Sachen, die ich spielen soll oder spielen will, bei denen ich
nicht sofort den mir gewohnten Überblick habe! Ich hatte volle zwei Wochen zu je 8-10h täglich benötigt, um ca. 2 fiese Seiten Schoenberg (Pierrot lunaire "Kreuze") auswendig und in höherem Tempo als gefordert spielen zu können!!! Das ist verdammt lang für gerade mal knapp 2 Seiten... Aber diese sauschwere Stelle musste nunmal sicher sitzen für eine Aufführung des Pierrot.
Und genau hier kann ich
@Frank einen
relevanten Tipp geben:
analysiere/begreife einen kleinen/kurzen Abschnitt und spiele ihn so oft, bis er sich unvergeßlich eingebrannt hat. Ohne verstehen und begreifen mindestens eines kleinen Abschnitts geht gar nichts.
Je mehr Kenntnis (und zwar praktische! hören, fühlen, verstehen) der Harmonielehre vorhanden sind, umso eher gelingt es, abschnittweise Musik "ins spielerische Musikgedächtnis (klanglich, taktil)" zu bringen.
Eine Memorierweise a la "diese Taste plus dieser Finger" taugt gar nichts.
man kann nur sinnvoll und überzeugend spielen, was man begriffen hat (begriffen in jeglichem denkbaren Sinn)
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*) allerdings nur bei Sachen, die
mich interessieren - andere Sachen, die ich rasch erfasse (diverse Lieder, Kammermusik - wenn dergleichen mal akut ist) vergesse ich auch schnell wieder.