Ausgangspunkt der Diskussion hier war ja eher die Kommunikation in der Schule, aber dort setzt sich ja nur fort, was allgemein in der Gesellschaft heute als "Kommunikations-Etikette" gilt: Dass man auf gar keinen Fall jemanden beleidigen darf. Das klingt ja erstmal wie eine Selbstverständlichkeit und sollte es eigentlich auch sein. Die Frage ist nur: Was genau ist eine Beleidigung? Und die ist in Zeiten der Identitätenpolitik eben nicht mehr durch einen gesellschaftlichen Konsens bestimmt, sondern dadurch, dass der Empfänger sie subjektiv als Beleidigung wahrnimmt. Das ist jedenfalls meine Interpretation des Konzepts der "Microaggressions".
Lieber dilettant,
ich glaube, ich verstehe deinen Punkt. Du meinst, dass bestimmte Äußerungen jemanden in eine Ecke stellen, wo er gar nicht hin will und auch gar nicht ist. Wenn dieser Jemand, also z.B. du aber seine Meinung sagen will, wird die sofort als beleidigend wahrgenommen und man hat keine Chance, sich aus diesem Urteil zu befreien. Oder?
Ich sehe das auch als Problem, besonders im politischen Bereich. Mir sagte neulich eine Freundin, dass man sich ja kaum noch traut, selbst im Freundeskreis über gesellschaftliche Probleme und Zustände zu reden, weil man sofort in Schubladen wie "rechts, links, gegen AfD, für AfD, rassistisch etc." gesteckt wird, aus denen man kaum wieder raus kommt.
Ich für mich habe die Haltung (und bemühe mich darum immer wieder), dass es o.k. ist, wenn jemand beleidigt ist. Persönliche Gefühle sind immer subjektiv und jeder hat das Recht, beleidigt zu sein. Ich auch! :D Ich finde es auch völlig normal und ehrlich nicht schlimm, wenn ich jemanden unwissentlich beleidige. :D Manchmal sogar wissentlich. :D Es hat immer einen Grund, warum jemand beleidigt ist und mich interessiert, welcher das ist und was ich ggf. dazu beigetragen habe.
100 Menschen, 100 Perspektiven, 100 verschiedene Emotionen und Ansichten - ich glaube daran, dass der Austausch über unsere Befürchtungen, Wünsche und Bedürfnisse Verständnis füreinander weckt und einem besseren Miteinander dient. Ich vertrete dabei klar meine Werte und Positionen, möchte aber auch wissen, was andere denken und fühlen.
Dabei entscheide ich aber selbst, wie weit ich dabei gehen möchte. Ich habe ein klares Gefühl für meine Grenzen und wenn es mir zuviel wird, reagiere ich und ziehe mich zurück. Das ist aber nicht Schuld des anderen, sondern meine Entscheidung.
Wenn ich z.B. zu jemandem sage "du sprichst aber gut deutsch" und das als ehrliches Kompliment meine, der andere aber abwehrend und vielleicht in scharfem Ton reagiert, wertet das doch nicht meine Intention ab! Ich weiß ja, dass ich es auf keinen Fall irgendwie rassistisch gemeint habe - es ist halt anders angekommen. Und da interessiert mich, warum? Habe ich einen wunden Punkt getroffen, welche Beweggründe hat der andere, das krumm zu nehmen, was sind seine Wünsche?
Wenn mich seine Reaktion sehr getroffen hat, kann ich auch ganz anders reagieren und ihm sagen, dass ich es anders gemeint habe und dass mich seine Reaktion kränkt.
Ich finde solche Konflikte ganz normal - wenn man sie akzeptiert und auch akzeptiert, dass man selber und andere dabei gekränkt sein können, dass das aber nichts Schlimmes ist, kann man sich näher kommen und plötzlich wird eine gemeinsame Ebene deutlich, die man sich vorher gar nicht vorstellen konnte.
Dadurch wird Kommunikation unmöglich gemacht.
Ich meine also, dass dadurch auf keinen Fall Kommunikation unmöglich gemacht wird, sondern nur schwieriger. Dass die Situation aber auch Chancen bietet, die man nutzen kann, wenn man will. Dabei kann ich nichts Falsches sagen, es kann aber sein, dass das, was ich sage, beim Gegenüber ganz anders ankommt, als ich es gemeint habe.
Mir würde es schon reichen, wenn man meine Handlungs- (respektive Ausdrucks-)möglichkeiten nicht beschränken würde.
Ich lasse sie mir nicht beschränken. :)
Schöne Beispiele sind "Mohren-Apotheken". Geschichtliche Hintergründe des Namens spielen keine Rolle, wenn jemand erstmal geäußert hat, dass er den Namen diskriminierend findet, hilft nur noch Umbenennen. Wer traut sich denn zu sagen: Jetzt krieg Dich mal wieder ein, mit anderen Worten, Frustrationstoleranz einzufordern.
Das würde ich natürlich nie sagen. :D Damit würde ich ja von anderen verlangen, sich so zu entscheiden, wie ich es für richtig halte! Da könnten die genauso sagen, "jetzt krieg dich mal wieder ein und üb mal Frustrationstoleranz in Bezug auf unsere Ansichten." :D Und schon ist der Krach da.
Ich würde lieber deutlich sagen, wie ich zu der ganzen Sache stehe, wie ich eine Umbenennung finde etc. Damit beziehe ich klare Position, lasse aber offen, was andere damit machen und welche Entscheidungen sie treffen. Wenn ich das Gefühl habe, in Schubladen gesteckt zu werden, kann ich das sagen - ich kann ganz authentisch sein und brauche mich nicht verbiegen.
Liebe Grüße
chiarina
P.S.: In Foren und im virtuellen Raum ist Kommunikation wegen der fehlenden persönlichen Begegnung ungleich schwieriger!