Peter, meine Schüler sind tatsächlich allesamt ganz reizende, intelligente Menschen, die ich jede Woche gerne wiedersehe. Ich will die keinesfalls rausschmeißen!
Es sind nur so einige in mancherlei Hinsicht verkorkst. Auch der Autor des Artikels hat ja geschrieben, dass die Stundenten in aller Regel sehr umgänglich sind, das ist nicht das Problem.
Ja, und damit es sich in die andere Richtung entwickelt, müssen ja erstmal genug Leute kundtun, dass sie ein Problem sehen und eine andere Richtung wollen. Wenn alle so drauf wären wie Du, würde sich ja nichts tun.
Auf der anderen Seite muss man aufpassen, dass man nicht alle Verhaltensweisen/Reaktionen von Schülern und anderen durch die selbst aufgesetzte Brille "heutzutage kann keiner Kritik vertragen, ist unselbstständig, trägt keine Verantwortung etc." sieht. Zu leicht sortiert man gern in die eigenen, im Laufe seines Lebens fröhlich zusammengeschusterten Schubladen und Vorurteile und das bringt herzlich wenig.
Warum ein Schüler zwei Wochen vor dem Vorspiel sein Stück noch nicht kann und eine Woche vorher auf Chorfreizeit ist, kann verschiedene Gründe haben. Es KANN sein, dass er den Ernst des Vorspiels nicht versteht oder nicht verstehen will, es KANN auch sein, dass private Gründe dafür verantwortlich sind, die der Lehrer nicht kennt. Vielleicht hat er auch keine Lust auf das Stück, das Vorspiel, Klavierunterricht überhaupt oder den Lehrer... . So gern interpretieren wir Dinge, wie sie gerade in unser Weltbild passen.... .
Ladenthin spekuliert überhaupt nicht, sondern benennt Dinge, die ihm auffallen und die er für besorgniserregend hält. Gerade das gefällt mir so gut an dem Artikel! Natürlich kann man sich in diesem Faden darüber unterhalten, was man gegen diese Entwicklung machen könnte, aber dabei sollte man aus meiner Sicht sehr vorsichtig agieren. Wir wissen oft zu wenig.
Um ein paar Punkte zu nennen:
a) seit einigen Jahren nimmt Deutsch als Zweitsprache/Fremdsprache besonders in den Bildungsplänen der Kindergärten und Grundschulen einen zentralen Platz ein, s. z.B.
hier. Dass gerade in Grundschulen noch Entwicklungsbedarf ist und leider nicht jede Grundschule so qualifiziert ist, wie sie sollte, hängt mit der Entwicklung der Flüchtlingspolitik der letzten drei Jahre zusammen. Es wird leider immer erst reagiert, wenn ein Problem auftaucht. Aber es ist schon allen klar, dass da großer Entwicklungsbedarf herrscht. Hier mal ein positives Beispiel einer Grundschule mit über 60% Anteil an Migranten:
http://gs-sued-west.eschborn.schule.hessen.de/wir_ueber_uns/schulgemeinde/index.html .
b) die persönlichen Erfahrungen mit dem Bildungssystem werden immer sehr unterschiedlich sein und hängen auch mit dem Standort und der dortigen Infrastruktur zusammen. Ich z.B. kann all das, was hier erwähnt wurde, gar nicht bestätigen. Klausuren im Multiple-Choice-Verfahren kenne ich auch nicht.
c) ich bin absolut gegen Notengebung in den ersten zwei Grundschuljahren. Barratt schreibt dazu sehr richtig:
Die Motivation darf sowieso nicht erfolgen, weil es Noten gibt. Noten sind das Ergebnis der Motivation. Motivation ist die Grundvoraussetzung für jeden Lernerfolg.
Gerade eingeschulte Kinder haben fast immer jede Menge Motivation. Sie sind stolz, in die Schule gehen zu dürfen und WOLLEN Rechnen, Schreiben, Lesen lernen. Diese natürliche intrinsische Motivation sollte auf keinen Fall durch extrinsische Motivation, wie es Noten sind, gestört werden. Wer aber oft Noten will, sind die Eltern.
d) Schreiben nach Gehör ist aus meiner Sicht eine hervorragende Methode, um Lesen und Schreiben zu lernen. Wie beim Klavierunterricht lernt das Kind erst einmal zu hören. Die Muttersprache spricht man einfach so, aber mal darauf zu hören, was das für Laute sind, wie sie klingen und wie sie in Schrift umgesetzt werden können, ist wie die audiomotorische Herangehensweise beim Klavierspielen sehr richtig! Es werden sofort alle Laute genommen wie beim Klavier alle Töne.
Leider folgt diesem ersten Herangehen an Sprache und Schrift oft, dass es dabei in den ersten Jahren bleibt. Nach ein paar Monaten muss unbedingt mit den Rechtschreibregeln begonnen werden, sonst gibt es das Desaster, was hier schon eindrücklich beschrieben wurde. Das liegt aber nicht an der Methode an sich, sondern an dem (weiteren) Umgang mit ihr.
e) Frustrationstoleranz: wenn Eltern Zeit für ihre Kinder haben und eine Beziehung zu ihnen entwickeln, die Platz hat für Achtsamkeit, Wertschätzung, Respekt und viel Liebe sowohl gegenüber den eigenen Bedürfnissen wie denen der Familienmitglieder/Kinder, ergibt sich Frustrationstoleranz von selbst. Gewaltfreie Kommunikation verhindert auf keinen Fall Frustrationstoleranz, lieber
@dilettant :), außer sie wird ganz falsch verstanden.
Wenn ich als Eltern mit meinen Kinder lebe, treten immer verschiedene Bedürfnisse auf. Immer müssen Kompromisse gefunden werden, mal zugunsten des einen, mal zugunsten des anderen. Das Kind lernt zu warten, weil ich gerade keine Zeit habe, mit ihm zu spielen. Oder mal eine Pause brauche. Das Kind lernt zu verlieren, wenn es beim "Mensch ärgere dich nicht" nur Einsen würfelt. Das ganz normale Familienleben bringt den Erwerb solcher Kompetenzen mit sich und ich finde es wichtig, dass es solch ein Familienleben gibt. Ich mache mir eher Sorgen, dass Kinder nicht mehr gemeinsam auf der Strasse spielen, dass schon Grundschulkinder erst ab 17 Uhr Klavierunterricht nehmen können, weil sie in der Ganztagsbetreuung sind. Ich sehe wie andere hier auch die zunehmende Digitalisierung und Ablenkbarkeit als Problem. Aber auch das sind meine ganz persönlichen Werte, die keine Allgemeingültigkeit haben.
Es kann ja auch sein, dass die Reise ganz woanders hingeht. Dass das humanistische Bildungsideal durch anderes ersetzt wird. Ich hoffe das nicht, aber wer weiß, wie sich alles entwickelt. Untergehen wird so schnell nichts, aber verändern sicherlich. Ich setze da durchaus auf die Fähigkeiten unserer Jugend! :)
Zum Schluss noch ein link von der Bundeszentrale für politische Bildung:
http://www.bpb.de/apuz/27610/bildungsmisere , darunter besonders der letzte Artikel von Ludger Wößmann
http://www.bpb.de/apuz/27626/famili...leistungen-im-internationalen-vergleich?p=all .
In der Bildung etwas zu verändern, dauert leider schrecklich lange, weil Bildung vor allem Ländersache ist und der Föderalismus (hihi, ich hatte schon Förderalismus geschrieben :D) dem Fortschritt ziemlich entgegensteht. Hoffen wir mal!
"Ein jeder, nur zehn Jahre früher oder später geboren, dürfte, was seine eigene Bildung und Wirkung nach außen betrifft, ein ganz anderer geworden sein." J.W. v. Goethe
Liebe Grüße
chiarina