Wie vielleicht einige von euch wissen, versuche ich derzeit mich der historisch „korrekten“ barocken Spielweise mit vorsichtigen Schritten anzunähern und mich theoretisch mit dessen „Regeln“ auseinanderzusetzen.
Ich habe mir jetzt erstmal oberflächlich einen Überblick beider Epochen verschafft (Barock/Romantik) und die wichtigsten dynamischen Schwerpunkte davon aufgelistet.
Einen Punkt davon habe ich allerdings nicht ganz verstanden und da ich nicht extra einen neuen Thread erstellen möchte und es auch in diesen hier ganz gut rein passt, (ansonsten möge man es mir sagen), dachte ich, meine Frage hier rein zu setzen.
Folgendes (immer auf die Orgel bezogen):
Ich hab neulich nachgelesen, dass es im Barock wohl üblich war, „wenig“ zu registrieren, soll heißen, mit möglichst einer Klangfarbe auszukommen, um das Wesentliche im Stück hervorzuheben und die Gleichwertigkeit der Stimmen darzustellen.
Kann man also allgemein sagen, dass man im Barock, wenn es darum ging, den Charakter (bzw. das Klangbild) eines Stückes zu unterstützen, eher versucht war, dies durch die entsprechende Artikulation und Phrasierung zu tun, als durch einen Registerwechsel, zB?
Bei Karl Richter ist es ja so, dass er weniger artikulativ gearbeitet hat (viel legato zB.), aber dann entsprechende musikalische Abschnitte (Höhepunkte, führende Stimme, spannungsauflösende Momente usw) mit der passenden Registrierung noch zusätzlich hervorgehoben hat. Wäre das demnach aus barocker Sichtweise eine eher ungünstige Herangehensweise?
…und heißt das in letzter Konsequenz:
Alle Dynamik passiert im Barock hauptsächlich über die Artikulation (also auf welche Weise ich anschlage und betone und wie ich einzelne Töne zueinander in Zusammenhang bringe, bzw. miteinander verbinde, oder eben trenne), während man bei einer romantischen Interpretation (immer auf Bach bezogen) diese, also die Artikulation, nicht ganz so im Detail aus“spielt“, dafür aber Klangbilder (spannungsreiche, oder sich auflösende Momente, Töne, die zu "Gruppen" zusammengefasst oder voneinander abgegrenzt werden usw.usf.) über Register- und Tempowechsel noch zusätzlich unterstützt/hervorhebt oder eben in den Hintergrund rückt.
Es soll jetzt nicht um eine Wertung der jeweiligen Interpretationsmöglichkeiten gehen, da hat ja jeder bereits seinen Standpunkt, was auch absolut okay ist. Ich wollte nur mal bei euch nachfragen, ob ich’s inhaltlich richtig verstanden habe, da ich ja versucht bin, irgendwann beides zu können
...ich dachte nämlich immer, oder nein, mir persönlich ist das sehr wichtig, bei Bach eben nicht (!) alle Stimmen gleichwertig zu führen. Also äußerlich schon, von der Artikulation her. Aber innerlich nicht... und dafür brauche ich die passende Registrierung, wenn ich zB. bei irgendeinem Stück die Pedalstimme von Takt x bis Takt y hervorgehoben haben will. Ich dachte immer, dass es genau darum geht: zwar äußerlich alle Stimmen gleichwertig zu führen, von der technisch-artikulativen Komponente her, aber innerlich (!) immer eine Stimme führend zu betonen, bzw. sich alle drei Stimmen anzuschauen, und den Schwerpunkt immer auf diejenige Stimme zu setzen (das kann man mit nem Register- oder Tempowechsel erreichen zB.), die grade führend, also "leitend" ist.
Wäre diese, meine Sichtweise, aus "barockem" Gesichtspunkt heraus, demnach falsch und würde eher in die Ecke der "romantischen Interpretation" ihren Platz finden?
Vielen Dank schon’mal im Voraus für jede Hilfe,
Lg, eine interessierte Deva, die stundenlang über sowas reden könnte