Absoluter Neuling, Autodidakt, ohne Klavier

@Mick

Ich muss dir leider schon wieder widersprechen. :-)

Das Wissen um Tempi, Phrasierung und Artikulation war zu Bachs Zeiten kein Allgemeingut. Es war Wissen, welches einem sehr exklusiven Kreise vorbehalten war. Der Bauernsohn hatte keine Ahnung, wo der Unterschied zwischen Jambus und Daktylus liegt, dem Kapellmeister am Hofe war es allgemein bekannt. Dass solche Themen heute den Musikstudenten allgemein bekannt sind, hoffe ich.

Dennoch zeigt deine wie auch Rolfs Argumentation die deutliche Schwäche der Notenschrift, stumpf übersetzt: "Der Kenner weiß halt, wie's gemeint ist".

Dass Bach vom Grundsatz her eine klare Schreibweise hatte, unterschreibe ich sofort. Aus deinen Beiträgen hier im Forum meine ich heraus gelesen zu haben, dass du relativ jung (zumindest im Vergleich zu mir) und ein ziemlich ambitionierter Musiker bist (korrigiere mich bitte, falls ich falsch liege). Also unterstelle ich mal, dass du eine musikalische Ausbildung genossen hast und auch zukünftig noch weiter genießen wirst. Dass du problemlos die verschiedenen Stimmen aus den Bachschen Fugen ablesen kannst, glaube ich dir ungesehen.

In Bezug auf die Notenschrift stellt sich mir jedoch die Frage, warum man diese Fähigkeit erst erlernen muss. Ich sehe keinen Grund, warum dies keine Syntax ist, also warum ich die Mehrstimmigkeit durch Verständnis des Notentextes erarbeiten muss. Es spricht bestimmt viel dafür, den Notentext und die Stimmen zu verstehen, das stelle ich gar nicht zur Diskussion. Es leuchtet mir nur nicht ein, warum dies notwendig sein muss.

Als Beispiel: Eine 3-stimmige Fuge von Bach mit verschiedenen Farben für die unterschiedlichen Stimmen. Ist das eher Hilfe oder Hindernis?

Für mich wäre es eine eine klare Hilfe, die keinerlei Schaden anrichtet, auch wenn das natürlich noch immer nicht bedeutet, dass ich eine solche Fuge jemals spielen könnte. :-)
 
Das Wissen um Tempi, Phrasierung und Artikulation war zu Bachs Zeiten kein Allgemeingut. Es war Wissen, welches einem sehr exklusiven Kreise vorbehalten war. Der Bauernsohn hatte keine Ahnung, wo der Unterschied zwischen Jambus und Daktylus liegt, dem Kapellmeister am Hofe war es allgemein bekannt.
die Mehrheit der Weltbevölkerung im 18. Jh. bestand aus Analphabeten, obwohl der Buchdruck seit ein paar Jahrhunderten und die Schrift(en) schon deutlich länger vorhanden waren - spricht das gegen die relativ geringe Mühe, Buchstaben mal zu lernen?
 
Eine Beethoven-Sonate ist jedesmal eine neue Offenbarung, wenn ein Pianist seine individuelle Sichtweise auf das Werk zum Ausdruck bringt.

oder ein Ärgernis, wenn wieder mal ein Pianist es nicht versteht, "Beethoven" in Verbindung mit schöner Musik und makelloser Technik zu zeigen. Solche Pianisten gibt's m.E. leider zuhauf. Auf manche zündenden "Referenz"-Einspielungen einiger großer Beethoven-Sonaten warte ich noch heute.

Es gibt natürlich auch Pianisten, die wenig bis nichts zu sagen haben und nur "schön" spielen (über einen davon gibt's hier einen langen Faden) - dann wird's halt langweilig.

Lang Lang hat die Klaviersonate Nr. 3 C-Dur op. 2 gespielt, wie es noch nie ein Pianist zuvor tat. Durch Lang Lang wurde diese Sonate überhaupt erst anhörbar, bzw. wunderschöne Klaviermusik. Ich hätte es gar nicht für möglich gehalten, daß ein Pianist dieses eher "graue Entlein" in einen Schwan zu verwandeln versteht (alternativ: nenn' mir einen. Ich höre ihn mir ggf. gern an ;)).

Lang Lang's Appassionata allerdings ist keiner weiterer Erwähnung wert (so etwas kann bei Pianisten schon mal vorkommen).
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
die Mehrheit der Weltbevölkerung im 18. Jh. bestand aus Analphabeten, obwohl der Buchdruck seit ein paar Jahrhunderten und die Schrift(en) schon deutlich länger vorhanden waren - spricht das gegen die relativ geringe Mühe, Buchstaben mal zu lernen?

Gewiss nicht, und doch gibt es zwischen Allgemeingut und Spezialwissen einen klitzekleinen Unterschied. Auf dieses dünne Eis möchtest du dich doch nicht begeben, wenn es um die Verständlichkeit und Eindeutigkeit einer Notation geht, oder?
 
Gewiss nicht, und doch gibt es zwischen Allgemeingut und Spezialwissen einen klitzekleinen Unterschied. Auf dieses dünne Eis möchtest du dich doch nicht begeben, wenn es um die Verständlichkeit und Eindeutigkeit einer Notation geht, oder?
du meinst also, dass die harmlose und recht rasch erlernbare Notenschrift ein "Spezialwissen" ist? ...du weißt, sogar Kinderlieder werden in Notenschrift aufgeschrieben ;)

bzgl. farbiger Markierungen in polyphoner Musik: klar kann man sich, wenn man will und es für hilfreich hält, eine vierstimmige Fuge rot-gelb-grün-blau anmalen - ob es zwingend nötig ist, weil der Notation die Überschaubarkeit fehlt, daran hab ich Zweifel.
 
...Verständlichkeit und Eindeutigkeit....
Ich finde, keine andere Schrift dieser Welt ist so verständlich und -hinsichtlich ihrer Anwendungsbreite- so eindeutig wie die Notenschrift.
Sie ist visuell angelegt und dadurch unglaublich schnell zu lernen, schneller als alle anderen Schriften.
Sie ist auf den meisten Instrumenten anwendbar.
Sie ist weltweit gleich und gleichermaßen gut verständlich.
Sie ist auf ein Minimum an Informationen beschränkt und dadurch sehr effizient.

Man wäre dumm, freiwillig darauf zu verzichten.

.....................................
Oops, Überschneidung...Rolf war schneller

bzgl. farbiger Markierungen in polyphoner Musik...
Bloß nicht. Die Schrift wäre nur noch halb so effizient, und das pro Farbe (Lesen, Schreiben/Drucken, und Übermitteln)
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Du hast vor einigen Stunden selbst geschrieben, dass Wissen über Versmaß etc. nötig ist um Bachs Notenschrift richtig zu deuten. Im Klartext bedeutet dies: Wenn ich weiß, was gemeint ist, kann ich auch lesen, was dort geschrieben steht. Klingt für mich nach Expertenwissen. :-)
 
Ist es ja auch. Das betrifft aber nicht die Notenschrift.
Du verstehst ja auch nicht jeden geschriebenen Text, egal, wie eindeutig die Schrift ist.
 
Du hast vor einigen Stunden selbst geschrieben, dass Wissen über Versmaß etc. nötig ist um Bachs Notenschrift richtig zu deuten. Im Klartext bedeutet dies: Wenn ich weiß, was gemeint ist, kann ich auch lesen, was dort geschrieben steht. Klingt für mich nach Expertenwissen. :-)
nun gräme dich mal nicht darüber, dass die Uhren in der ersten Hälfte des 18. Jh. etwas anders tickten als heute ;) damals brauchte die Notation von Musik oft genug keine zusätzlichen Zeichen bzgl. der Phrasen - später legte man Wert darauf, abgesehen von allgemeinen Regeln der Aufführungspraxis noch etwas mehr als nur Tempo, Tondauer und Tonhöhe zu fixieren, nämlich Artikulation und von gewohnten Regeln abweichende Phrasierung. -- aber das betrifft lediglich die Geschichte der Notationspraxis, es enthält keinerlei Grundlage für eine Beurteilung der Notenschrift selber.
 
bzgl. farbiger Markierungen in polyphoner Musik: klar kann man sich, wenn man will und es für hilfreich hält, eine vierstimmige Fuge rot-gelb-grün-blau anmalen - ob es zwingend nötig ist, weil der Notation die Überschaubarkeit fehlt, daran hab ich Zweifel.

Es geht ja auch nicht um farbige Markierungen, sondern um den Informationsverlust bzgl. der Stimmen. Nehmen wir mal Schuberts op. 90 no. 4. Ein wunderschönes Stück. Ich vermag die Noten syntaktisch zu lesen, auch wenn ich es nicht spielen kann. Aber so ganz naiv gefragt: Wie viele Stimmen finde ich im Allegretto am Anfang? Diese Frage zu beantworten geht weit über die reine Kenntnis der Syntax hinaus.
 

Ist es ja auch. Das betrifft aber nicht die Notenschrift.
Du verstehst ja auch nicht jeden geschriebenen Text, egal, wie eindeutig die Schrift ist.

Stimmt, tue ich nicht. Wenn jedoch die Schrift schon mehrdeutig ist - was wir ja gerade festgestellt haben - dann macht sie das Leben viel schwieriger als irgend nötig. Und wenn es sich, wie bei der Notenschrift, um eine Sprache handelt deren Sinn und Zweck nichts anderes als der reine Informationstransport ist, dann behaupte ich: Diesen Zweck erfüllt sie nicht, zumindest nicht nach heutigen Maßstäben. Unglaublich viel wird verschwiegen, wodurch die Sprache unlogisch wird: Zwei gleiche Notationen bedeuten u.U. zwei unterschiedliche Dinge.

Nicht, dass ich eine bessere Lösung hätte. :-)
 
??? da kann ich dir nicht folgen, denn mir sind bislang noch keine informationsverlustigen polyphonen Klaviernoten über den Weg gelaufen

Weil du in jahrelanger Ausbildung gelernt hast, die Noten "richtig" zu interpretieren. Was du über die Stimmen in einem Stück an Wissen weißt, ergibt sich nur zum Teil aus dem geschriebenen Notentext. Das Gros deines Wissens über einen speziellen Notentext beziehst du durch deine Bildung in Musiktheorie, die dir quasi diktiert, wie du einen Notentext richtig zu deuten hast. Ohne diese Ausbildung gibt es eine Vielzahl an möglichen Deutungen des gleichen Notentextes, logisch folgend aus dessen Syntax.

Sprich: Wir sind wieder wo wir vor ein paar Beiträgen waren. Wenn du beim Lesen/Verstehen des Notentextes von Bach nicht weißt, ob jetzt jambisch oder was auch immer gemeint ist, bist du aufgeschmissen.
 
Und wenn es sich, wie bei der Notenschrift, um eine Sprache handelt deren Sinn und Zweck nichts anderes als der reine Informationstransport ist
wieso eine Sprache? ein Zeichensystem zur Notation von Klangfolgen.
meinetwegen kann metaphorisch Musik als eine Art Sprache bezeichnet werden, aber die Notenschrift ist ebensowenig eine Sprache wie lateinische Buchstaben oder Runen eine Sprache sind
 
Das Gros deines Wissens über einen speziellen Notentext beziehst du durch deine Bildung in Musiktheorie, die dir quasi diktiert, wie du einen Notentext richtig zu deuten hast. Ohne diese Ausbildung gibt es eine Vielzahl an möglichen Deutungen des gleichen Notentextes
dasselbe gilt für unsere Buchstaben, ohne dass deswegen jemand heult :):D denn schau: den Buchstaben im Infinitiv gehen ist nicht anzusehen, dass die darin enthaltenen beiden e verschieden ausgesprochen werden (überhaupt sieht man einem e nicht die vielen Möglichkeiten der Aussprache an)
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Überdenkenswert / Reformbedürftig (?) ist die Notenschrift allemal. Enstanden in Zeiten, als Papier kostbar war und ein farbiger Druck undenkbar schien, könnten z.B. heute leicht die Erhöhungen und "Erniedrigungen" ;-) durch farbige Noten abgelöst werden. Gäbe es in der Musik nur Tastisten, so fände ich auch eine vertikale Notierung durchaus einstiegserleichternd ...

Hi Fisherman,

@ Schwarzgedrucktes: ich glaube, solche Versuche gab es / gibt es, ich meine, es gab sogar mal hier irgendwo einenThread dazu. Aber es setzt sich nicht durch.

Und ich schätze, es setzt sich deswegen nicht durch, weil bei uns Pianofortisten...;) ... die Tasten horizontal angelegt sind, und die auf die Tasten umzusetzenden Noten somit auch horizontal recht gut zu verarbeiten sind. Einzelne Dinge wie "übereinander angeordnete Noten" ( Akkorde ) und "Stimmen" gibts nat. auch, wie wir wissen, aber das "Lesen und Umsetzen" sollte so gut klappen, dass die "vertikal" zu erfassenden Dinge sich dennoch - innerhalb der von links nach rechts als EINHEIT gelesenen weitläufig im Voraus erfassten Konstrukte - , in unsere beliebte und gewohnte Leserichtung einfügen:

Von links nach rechts. Vielleicht haben deshalb auch Kulturen, deren Mitglieder bisher NUR von rechts nach links oder NUR von oben nach unten lesen, oder deren Leserichtung gar variabel sein kann ( z.B. bei ägypt. Hieroglyphen, wo ja, wie wir wissen, die Blickrichtung diverser Tiere, oder die Neigung der Binsen usw. anzeigt, aus welcher Richtung man beginnen muss mit Lesen ) zunächst "gemischte Gefühle" beim Klavierspielen und Notenumsetzen gemäß den in unseren kulturellen Breiten nunmal übermittelten und Bestand habenden Gewohnheiten, und haben deshalb bisher noch keine Horowitze hervorgebracht ??

Jedenfalls: Ich lese Sätze innerhalb Zeilen in Büchern ja auch meist von links nach rechts, nicht von oben nach unten. ( Es sei denn, mir fällt einer dieser Japanischen Comics in die Hände, wo man verkehrtrum blättern muss, auch wenn Text Englisch oder Deutsch. )

Würden in Bach-Fugen z.B. in einer Notenausgabe Stimmen farblich hervorgehoben werden, fände ich das übrigens NICHT so toll, denn das würde viel Spaß an der Sache wegnehmen, diese Dinge SELBST herauszufinden.

Und auch mit "elitär" hat das Umsetzen von Noten meines Erachtens nichts zu tun, denn jeder, der es möchte, kann es sich sogar selbst beibringen. Und somit JEDE in einer für das herkömmliche Klavier / Flügel in hinreichender Form ( also: unsere normale aus unseren Ausgaben bekannte Notenschrift ) GEDRUCKTE NOTENSEQUENZ spielen - auch wenn es, wenn mans schnell versucht und Werk schwierig, noch viele Fehler und Aussetzer geben mag, und es daher vielleicht lange dauert, bis
man sich an das Idealbild, das man sich vorstellt, nach Ermessen angenähert hat oder es gar erreicht hat.

LG, Olli !
 
wieso eine Sprache? ein Zeichensystem zur Notation von Klangfolgen.

Entschuldige, da ist der Informatiker in mir durchgekommen.

Eine Notation mit einer Folge von Konstruktionsregeln ist in meiner Welt eine (formale) Sprache. Eine Sprache ist zunächst einmal nichts anderes als eine syntaktische Aneinanderreihung von Zeichen nach einem gewissen Schema, der Grammatik. Interessant wird es, wenn man der Sprache eine Bedeutung zuordnet, sprich, genau bei demjenigen Punkt, über den wir gerade diskutieren.
 
dasselbe gilt für unsere Buchstaben, ohne dass deswegen jemand heult :):D den schau: den Buchstaben im Infinitiv gehen ist nicht anzusehen, dass die darin enthaltenen beiden e verschieden ausgesprochen werden (überhaupt sieht man einem e nicht die vielen Möglichkeiten der Aussprache an)

Und deswegen (bzw. aus ähnlichen Gründen) geht ja auch in der schriftlichen Kommunikation so unglaublich viel schief. :-)
 
Und deswegen (bzw. aus ähnlichen Gründen) geht ja auch in der schriftlichen Kommunikation so unglaublich viel schief. :-)
in der schriftlichen Kommunikation geht wegen der Aussprachevarianten so unglaublich viel schief? :D:D ja da loben wir uns doch die eher schweigsamen Einzelkämpfer wie einen Filmboxer, dessen Name dir sicher nicht ganz unbekannt ist :)
 

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