Domenico Scarlatti - zur Spielweise seiner Musik

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Liebe Clavios,

lässt sich eigentlich das, was bei Bach an Interpretationsmöglichkeiten besteht (z.B. die Regeln zur Artikulation) auch auf Scarlatti übertragen? Zwar lebten beide zur gleichen Zeit, aber Scarlattis Stil ist ja in vielen seiner Sonaten ganz anders: leichter, luftiger als Bach.

Kennt sich da jemand genauer aus?
 
Bach-Händel-Scarlatti sind die 3 Komponisten des Bandes "Urtext Primo 1". Die Spiel- und Übetipps im Anhang des Heftes unterscheiden zwischen den dreien nicht weiter.
Aber Urtext Primo ist "Anfängerliteratur".
 
Danke, @Bernhard Hiller. Das ist schon mal ein guter Hinweis. Und die Wiener Urtext Edition ist ja seriös und verlässlich.
 
Es gibt 3 Bände von Peters, mit je 50 Sonaten. Sie sind ungefähr so geordnet:

Band I : Leichtere,
Band II : Mittelschwere
Band III : Schwierigere.

Zu jeder Sonate gibt's hinten ein paar Zeilen mit interessanten Anmerkungen zur Geschichte, oder / und Spielweise, usw.

Professionell beschäftigt mit dem Thema Scarlatti hat sich Esther Jacqueline Ogeil u.a. in ihrer Arbeit von 2006:

"DOMENICO SCARLATTI: A CONTRIBUTION TO OUR UNDERSTANDING OF HIS SONATAS THROUGH PERFORMANCE AND RESEARCH", aber wie ich früher schonmal schrieb, müsst Ihr gucken im Web, ob es noch frei als pdf zu bekommen ist. ( Zumindest hier liegt sie vor, ist allerdings 6.7 MB ungefähr. )

Vom Inhalt her geht es um Folgendes: Zitat aus Arbeit:



Zu den "Großen" Ausgaben: Die von Longo's Ideen beeinflussten sind unter Profis wohl nicht mehr soo angesagt, seit es eine NEUE Gesamtausgabe gibt, anscheinend, mir persönlich ist das egal, als Amateur. Zu den Sachverhalten evtl. Suchfunktion "Longo / Ricordi / Scarlatti / " usw. hier im Forum, Scarlatti ist beliebt und taucht immer mal wieder auf...;-)

LG, Olli!
 
Longo ist wirklich sehr verfälscht und durch die unnötigen Ergänzungen auch sehr unübersichtlich.
Selbst bei IMSLP gibt es inzwischen weitaus bessere Ausgaben!
 
lässt sich eigentlich das, was bei Bach an Interpretationsmöglichkeiten besteht (z.B. die Regeln zur Artikulation) auch auf Scarlatti übertragen?

Ganz sicher nicht 1:1. Scarlatti hat viel "moderner" komponiert als Bach; seine Sonaten sind dem empfindsam Stil der Bach-Söhne näher als dem kontrapunktischen Stil des alten Bach. Wobei Scarlatti schon eine sehr singuläre Erscheinung ist - die Kombination des italienischen Konzertstils mit spanischer Volksmusik und Flamenco-Elementen hat weder Vorbilder noch bedeutende Nachfolger.

Ich würde mich - was die Artikulation angeht - deshalb eher an der barocken italienischen Violinmusik anlehnen als an der französisch geprägten Cembalomusik dieser Epoche. Auf einem modernen Flügel muss man ohnehin sehr individuelle Lösungen finden - z.B., wie man mit den zahlreichen Acciaccaturen bei Scarlatti umgeht. Die machen einen Mordseffekt auf dem Cembalo, klingen aber auf dem Steinway - gerade in tieferer Lage - einfach nur plump und brutal.
 
Zuletzt bearbeitet:

vorne in den vier Bänden von Gyorgy Balla ("200 Sonatas") bei Edition Musica (die schönen blauen Bände) steht ein bisschen was zu Ausführungen von Verzierungen usw. Ist soetwas gemeint?
 
womöglich findet sich hierin etwas: ISBN 3-89564-018-2. von 1998. 183 Seiten.upload_2020-6-4_16-46-51.png
 
Danke für den Hinweis, aber eher geht es um Artikulation, Phrasierung, Dynamik usw.

Zu "Dynamik" beispielsweise schreibt Balla "Da die Sonaten für Cembalo gedacht sind, verlangt ihre Ausführung im allgemeinen eine Terrassendynamik. Innerhalb einer dynamischen Terrasse sind jedoch, hauptsächlich bei Kantilenen, die durch das Klavier gebotenen Möglichkeiten der dynamischen Gestaltung auszunutzen - beim Cembalo können diese fehlenden Möglichkeiten durch gesteigerte Agogik ersetzt werden."
 
@mberghoefer
Laut der Beschreibung scheint dieses Buch für stolze 64,60€ tatsächlich wertvolle Hinweise zu enthalten.
 
Zu "Dynamik" beispielsweise schreibt Balla "Da die Sonaten für Cembalo gedacht sind, verlangt ihre Ausführung im allgemeinen eine Terrassendynamik. Innerhalb einer dynamischen Terrasse sind jedoch, hauptsächlich bei Kantilenen, die durch das Klavier gebotenen Möglichkeiten der dynamischen Gestaltung auszunutzen - beim Cembalo können diese fehlenden Möglichkeiten durch gesteigerte Agogik ersetzt werden."
Das entspricht ja exakt der „beseelten Linie“ bei Bach.
 
@mberghoefer
Laut der Beschreibung scheint dieses Buch für stolze 64,60€ tatsächlich wertvolle Hinweise zu enthalten.
wenn man bei google books nach scarlatti und dynamik such dann findet man zB auch Walter Gerstenberg: Die Klavierkompositionen Domenico Scarlattis, von 1931, 158s.

Anscheinend ist das dort auch ziemlich komplett gescanned (wenn man nach verschiedenen Begriffen sucht, dann findet man unterschiedliche Seiten), aber ich hab keine Ahnung, wie man es denn lesen könnte über google books.
 
verlangt ihre Ausführung im allgemeinen eine Terrassendynamik

Das halte ich sowohl bei Bach als auch bei Scarlatti für wenig angemessen. Aus welchem Grund sollte man sich auf dem modernen Instrument in der Dynamik selbst einengen? Ein solcher Gedanke wäre dem barocken Musikverständnis völlig fremd. Wenn ein Geiger des 18. Jahrhunderts eine Flötensonate für sich adaptiert hat (was gängige Praxis war), hat er doch niemals versucht, wie ein Flötist zu klingen. Ganz im Gegenteil - er wird die Musik an sein Instrument angepasst haben und keine Scheu davor gehabt haben, auch violinspezifische Dinge wie Doppelgriffe, Bariolagen etc. anzubringen, um die Musik auf seinem Instrument bestmöglich zur Geltung zu bringen.

Ich weiß nicht, woher dieses Konzept der dynamischen Selbstkasteiung bei der Interpretation barocker Werke eigentlich stammt. Das wäre mal eine Untersuchung wert! Im späten 19. Jahrhundert (Busoni!) war das jedenfalls noch kein Thema, und ich halte es für einen groben Unfug.
 
Zuletzt bearbeitet:
In Bibliotheken findet man diese Bücher auch, wobei das von Abbassian-Milani anscheinend überall (an Musikhochschulen?) ausgeliehen zu sein scheint. Da kennt sich @Revenge doch super aus, der kann bestimmt rausfinden, wo man sowas ausgeliehen bekäme.
 

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