Lieber playitagain,
es scheint dir sehr wichtig zu sein, dass man nach deiner These mit genügend Einsatz alles erreichen kann, sei es im Sport oder beim Klavierspielen.
Gleichzeitig scheinst du dir aber doch nicht ganz sicher zu sein, weil du in diesem Faden ja die Frage danach stellst.
Die motorischen Dinge kann man doch lernen. Jeder Sportler wird dies bestätigen.
Wenn du meinst, dass man motorische Dinge lernen kann, hast du recht. Aber die Frage ist, in welchem Umfang. Du stellst an den "passablen Klavierspieler" ja enorme Ansprüche: er soll sehr schwere Werke passabel vorspielen können und befindet sich damit auf Profiniveau.
Motorische Dinge (neben den musikalischen ) auf Profiniveau erlernen zu wollen, benötigt aber noch andere Voraussetzungen als Motivation und entsprechendes Übepensum!
Im Sport ist das z.B. die körperliche Disposition. Länge, Größe, Verhältnis der Hebel (Arme, beine, Rumpf....) zueinander, Kraft, Koordinationsfähgkeit etc.. Um auf Profiniveau turnen zu wollen, muss man klein sein (s. Fabian Hambüchen u.a.).
Die Nachwuchsförderung beim Sport sieht natürlich auch auf das Talent.
Hier mal ein Bericht über die DDR, daraus dieses Zitat:
"Talentsuche im Schulsport
Auch in den Schulen fanden Sichtungen statt: 1973 wurde die Einheitliche Sichtung und Auswahl für die Trainingszentren und Trainingsstützpunkte des DTSB – kurz ESA – eingeführt. Fortan wurden nahezu alle Schüler eines Jahrgangs erfasst. Anhand standardisierter Tests wurde die individuelle Eignung für verschiedene Sportarten geprüft. Basierend auf den Ergebnissen und weiteren Werten, wie beispielsweise den Körpermaßen, sprachen die Auswahlkommissionen eine Empfehlung für die weitere Förderung der jungen Athleten aus.
Der Skispringer Hans-Georg Aschenbach erinnert sich 2010 im MDR-Interview: "Das war einmalig in der Welt, dieses Talentsichtungssystem. Und hier lag das ganz große Plus der DDR – mit diesem System überall in der Republik talentierte Kinder zu entdecken und zu erfassen, sie auf die Kinder- und Jugendsportschulen zu delegieren und dort, wie es damals hieß, 'allseitig' zu entwickeln. Es gab dort hervorragende Trainer und das war eindeutig die Grundlage für die Erfolge der DDR-Sportler."
Talent gibt es nun einmal in sehr unterschiedlicher Ausprägung und nicht jeder ist dafür geeignet, alles zu können.
Beim Klavierspielen haben wir das Glück, dass die motorischen Fähigkeiten keine bestimmte körperliche Disposition erfordern, mal sehr kleine Hände, die noch nicht einmal eine Oktave greifen können, u.ä. ausgenommen.
Dafür benötigt man aber eine große Koordinationsfähigkeit, wie ich schon in meinem letzten Beitrag schrieb.
Ja einen gesunden Spieler setze ich voraus
Auch bei gesunden Spielern gibt es sehr, sehr große Unterschiede in der Koordinationsfähigkeit, in der Fähigkeit zur sofortigen Entspannung, im Loslassen, im Leichtmachen. Sehr oft ist das kongruent zur Persönlichkeit: jemand, der eher kontrollieren will und angespannt durchs Leben geht, tut sich auch beim Klavierspielen schwerer.
Die Begabungen, auch motorischer Art, sind nun mal sehr unterschiedlich. Der eine lernt schon mit einem Jahr laufen, der andere braucht 1,5 Jahre. Der Eine hat beim Schreiben von Natur aus eine gute Stifthaltung, beim Anderen sieht es immer verkrampft aus. Der eine hat gleich ein gutes Gefühl fürs Klavierspielen und findet instinktiv zweckmäßige und fließende Bewegungen, der andere drückt beim Klavier auf den Tasten herum und hat viel zu viel Anspannung in seinem Körper.
Gerade bei Kindern gilt: wer sich grobmotorisch schwer tut, tut sich auch feinmotorisch schwer.
Du sagst nun, dann haben die eben einen schlechten Lehrer und müssten das mit guter Anleitung doch lernen.
Lernen sie auch. Aber nur bis zu einem gewissen Grad. Profis werden sie nicht. Dann kann es ein Erfolg sein, dass jemand nach drei Jahren leichte Stücke schön spielen kann.
Guter Unterricht bringt einen natürlich sehr weiter, das sehe ich wie du. Aber um ein Profiniveau zu erreichen, müssen noch ganz andere Dinge vorhanden sein.
Konzentrationsfähigkeit z.B. lässt sich nicht ohne Weiteres erlernen, da kann der Lehrer noch so gut sein. Noch schwieriger ist es bei der Intelligenz.
Der Schwierigkeitsgrad spielt meiner Meinung sogar sicher eine Rolle, da man musikalisch aus sehr einfachen Stücken weniger holen kann als Komplexen, deshalb sind diese leichter und daher auch leichter also früher zu erlernen.
Auf gar keinen Fall! Profis spielen in Konzerten bisweilen lieber den Carnaval als die Kinderszenen
, Mozart kann erheblich schwieriger sein als Liszt ... . Auch der Zusammenhang schwieriger = komplexer erschließt sich mir nicht.
Du legst den Fokus hier sehr auf den Schwierigkeitsgrad. Aus meiner Sicht steht genau das dem Fortschritt entgegen. Denn es geht dir darum, schwere Stücke passabel vorspielen zu können. Da fehlt mir die Leidenschaft für die Musik. Der ist es ganz egal, wie schwer sie ist und ob man sie vorspielt oder nicht. Wer wirklich gut werden will, muss ein inneres Glück empfinden bei den einfachsten Tönen und sei es das "Stückchen" aus dem Jugendalbum!
Liebe Grüße
chiarina