Zeitgenössische Musik, die man sich anhören kann

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TiNte

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Hallo,

ich will mich mit zeitgenössischer Musik befassen - und gleichzeitig diesen Thread damit befassen:

Welche zeitgenössische, moderne "ernste" Musik kann sich der gemeine Mensch anhören, ohne das Gefühl zu haben, der Komponist gehöre in eine geschlossene Anstalt? Ich meine Musik, die etwas ausdrückt und die wir mit unserem Musikverständnis und aus unserer Historie heraus verstehen und begreifen können. Nicht Musik, die nur ihrer Selbst willen besteht oder um das Musikinformierte Publikum zu schockieren und zu verwirren und damit anarchistisch etwas reaktionäres zu sein.

So möchte ich "zeitgenössisch komponierende", noch lebende Komponisten sammeln, die ihr persönlich mögt und eventuell gerne hört. Das besondere Augenmerk liegt natürlich auf Klaviermusik - anderes natürlich erlaubt.

Ich möchte den Anfang mit Arvo Pärt machen. Wikipedia und ich halten ihn für als "einer der bedeutendsten lebenden Komponisten zeitgenössischer klassischer Musik". Seine Musik klingt einfach: einfachste Harmonien, einfache Rhythmik, meistens Dreiklänge und einigermaßen tonal. So versteht man vorallem in seinen religiösen Werken, was er ausdrücken möchte und spürt die Spiritualität.

Als Beispiel für seinen Stil, aber sicherlich nicht repräsentativ:

http://www.youtube.com/watch?v=QtFPdBUl7XQ

Sehr schön ist zudem sein Credo, dass sich mit Bachs C-Dur Präludium (WTK 1) auseinandersetzt:

http://www.youtube.com/watch?v=KHt7MJ2miLo

Wikipedia nennt im Artikel genügend Beispiele, seine Johannespassion ist sehr interessant zu hören.


Ich freue mich, von euch von neuen zeitgenössischen Komponisten zu erfahren, sodass jeder vielleicht anfangs einen oder mehr vorstellen mag.
 
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Huhu,

Es gibt zwei Sachen über die ich bei dir stolpere:

Zum einen frage ich mich, wie weit du den Begriff "Zeitgenössische, moderne Musik" fasst. Wenn man den Begriff "Moderne" ganz weit fasst, dann kann selbst Debussy noch hineintun, normalerweise ist, grob gesagt, alles nach dem Impressionismus gemeint, die zweite Wiener Schule (Schönberg), Stravinsky und Bartok etc. Meinst du jetzt schon solche Komponisten (grob genommen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts)? Oder wirklich zeitgenössische Komponisten die hauptsächlich im späteren 20. und 21. Jahrhundert gewirkt haben / wirken?

Das andere wäre das "die man sich anhören kann". Mir ist schon bewusst, dass jemand, der sich viel mit Musik auseinandersetzt, ganz anders wahrnimmt und womöglich auch deutlich abstraktere Sachen hören kann. Aus der Historie heraus verstehen, bedeutet für mich tonal zu sein. Und darunter würden zum Beispiel ja auch in Teilen die modernen Russen Shostakovich oder Prokofiev fallen. Manche (Laien) finden das toll, andere wiederum nicht.

Wenn ich dich so interpretiere, dass du noch lebende, zugängliche Komponisten meinst, dann würde ich mir die Minimal Music (zu der Järvi im weitesten Sinne auch zählen könnte) anschauen, allen voran Philip Glass. Die Minimal Music war eine Gegenbewegung zur immer abstrakter werdenden modernen, insbesondere seriellen, Musik, mit vielen Einflüssen aus indischer und afrikanischer Musik, vor allen Dingen den Kernelementen Repitition und Meditation.

Philip Glass ist im Grunde genommen der Urvater der ganzen heutigen geliebten und gehassten Minimalisten wie Tiersen, Yiruma oder Einaudi. Es gibt einen Film, er heißt "Koyaanisqatsi", der nur aus Bildern und Musik von Philip Glass besteht, der ist wirklich empfehlenswert.

Ansonsten ein paar Beispiele:

http://www.youtube.com/watch?v=imbwn6iVryQ&feature=related

http://www.youtube.com/watch?v=3FniHgiyaTY

Natürlich gibt's auch noch andere Minimalisten, die beiden anderen wichtigen aus der ersten Generation wären Terry Riley und Steve Reich, die sind allerdings lange nicht so zugänglich.

http://www.youtube.com/watch?v=xU23LqQ6LY4

http://www.youtube.com/watch?v=wYnAQ-lK74A

http://www.youtube.com/watch?v=qy42bYyQNAg


Alles Liebe
 
Wolfang Rihms Walzer für Klavier, überhaupt seine Klaviersachen, zählen zu den "anhörbaren" zeitgenössischen Kompositionen.
Gruß, Rolf
 
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Man darf nicht Einfallslosigkeit und mangelndes kompositorisches Handwerk, die dazu führen, daß man kleine Motive oder Akkordfolgen und Begleitfguren ständig wiederholt, um irgendwie ein paar Minuten Stücklänge vollzukriegen (Tiersen etc.) mit Minimalismus verwechseln, der dann doch eine Ecke anspruchsvoller und vielschichtiger zu sein pflegt!
 
Minimalismus ist aber auch keine qualitative sondern eine deskriptive Bezeichnung. Und auch wenn Tiersen nicht mit dem 60er und 70er-Minimalismus, der noch deutlich extremer war, sehr viel zu tun hat, würde ich ihn in die Kategorie einordnen.
 
Von einer Musikgeschichtsvorlesung vor kurzer Zeit habe ich zwei Dinge genauestens im Kopf:
Der Dozent sagte einerseits, er möchte nicht derjenige sein, der in 100 Jahren seinen Job übernehmen wird und über die Musik des späten 20. Und frühen 21. Jahrhunderts mit seinen unterschiedlichsten „Kategorien“ referieren muss. An anderer Stelle sagte er, die Filmmusik in unserer Zeit sei in etwa wie Opernmusik. So ermutigte er uns, Filmmusik anzuhören oder sogar zu schreiben – denn das ist genau die „klassische“ Musik, die heutzutage noch Millionen Menschen erreichen kann.
Sehr verfrüht und ohne groß nachzudenken, habe ich die These in den Raum geworfen, zeitgenössische Musik, die etwas Größerem dient, sei es nun dem Lob Gottes oder zur Untermalung von Filmszenen, „kann man sich immer anhören“. Musik, die frei jedes Dienstes ist, ist immer auch frei komponiert. Frei heißt dann hier so viel wie, ich distanziere mich bewusst von allen anderen Komponisten und versuche, anders als andere zu sein.

Ich verstehe noch nicht ganz, wie es geschichtlich zu solch einer Entwicklung kommen konnte: Haben doch Komponisten früher sowohl in Auftragswerken als auch in freien Werken immer ihre Tonsprache, die sie so aus der Geschichte und von ihren Vorfahren gelernt haben, beibehalten. In dieser „Tonsprache“ komponierten alle Komponisten dieser Zeit – denn sie wollten ja verstanden werden und das konnten Sie nur, wenn sie ihre Werke in ihrer Sprache niederschrieben.

Könnte man mit dodekaphonischer Musik einen Film unterlegen und die Musik würde Gefühle transportieren? Will diese Musik verstanden werden?

Aus genau diesen Überlegungen startete ich diesen Faden: Denn ich hoffe, mit meiner These falsch zu liegen und Komponisten zu finden, die auch in freien Werken mir etwas sagen wollen und nicht Musik aneinanderreihen, um frei zu sein.

Vielen Dank schon einmal für die ersten Beispiele, „die man sich anhören“ konnte und besonders auch silversliv3r für den beeindruckenden Tipp mit Phillip Glass Film "Koyaanisqatsi", der ganz auf Google Video zu sehen und hören ist!

P.S.: Man könnte "die man sich anhören kann" auch durch "die verstanden werden will ersetzen"!

P.P.S.: Es gibt kein post post scriptum!
 
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Tut mir leid, Tinte. Du liegst vollkommen verkehrt.

Daß Du mit bestimmter Musik nichts anfangen kannst, darf Dich nicht dazu verleiten, ihr zu unterstellen, sie sei ohne Kommunikationsbedürfnis oder Gefühl geschrieben worden oder könne keine Emotionen transportieren.

Bestimmte Musik erfordert nur, genauso wie beispielsweise bestimmte Literatur, eine größere Offenheit und größere Beschäftigung mit ihr, um sie genießen zu können!

Und von Musikgeschichte (und dem Platz Neuer Musik in dieser) scheinst Du nicht die geringste Ahnung zu haben, sonst hättest Du diesen haarsträubenden Absatz hier nicht geschrieben:
Haben doch Komponisten früher sowohl in Auftragswerken als auch in freien Werken immer ihre Tonsprache, die sie so aus der Geschichte und von ihren Vorfahren gelernt haben, beibehalten. In dieser „Tonsprache“ komponierten alle Komponisten dieser Zeit – denn sie wollten ja verstanden werden und das konnten Sie nur, wenn sie ihre Werke in ihrer Sprache niederschrieben.

Große Komponisten zeichnen sich gerade dadurch aus, daß sie die Tonsprache erweitern bzw. über sie hinausgehen!

Debussy z.B. (ein Komponist, den heutzutage viele gerne hören) hat stark mit musikalischen Konventionen und Traditionen gebrochen! Es wäre nicht allzu übertrieben, ihn als Revolutionär zu bezeichnen!

******************

Viele Werke von z.B. Strawinsky, Bartok, Schönberg, Berg, Messiaen, Ligeti, Henze, Dutilleux etc. können auch von sog. "Laien" problemlos genossen werden und offenbaren eine überaus reiche Palette an Farben und Emotionen - aber dafür muß man natürlich ein offener Mensch sein und nicht in seinen kleinen, von Massenmedien zugenagelten Vorstellungen verweilen, wie sich Musik gefälligst anzuhören habe!

Ungebildete Kinder und Jugendliche aus Problemvierteln Berlins hatten jedenfalls vor Jahren nicht die geringsten Probleme damit, eine Tanzaufführung von Strawinskys "Sacre Du Printemps" (kein Easy Listening!) auf die Beine zu stellen, wie der Film "Rhythm Is It" eindrucksvoll zeigt.

Und zuletzt sei Dir verraten, daß in vielen Filmen atonale bis zwölftönige Musik zum Einsatz kommt und noch niemand (!) sich über die zu schräge Musik beschwert hat - im Gegenteil, die Musik paßt in der Regel hervorragend zum angestrebten Stimmungsgehalt.

Also mal einfach etwas musikalische Allgemeinbildung aufbauen, dann erschließt sich Dir auch der gewaltige, farbige Kosmos der Kunstmusik!

Es ist nicht so, daß die Komponisten nicht das Bedürfnis zu Kommunikation und Verstandenwerden hätten - nein, es gibt in der heutigen Welt der durch Massenmedien und Rock/Pop-Einheitssoße kaputtkonditionierten Hirne einfach zu wenige Menschen, die wirklich zuhören wollen!!

LG,
Hasenbein
 
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Also mal einfach etwas musikalische Allgemeinbildung aufbauen, dann erschließt sich Dir auch der gewaltige, farbige Kosmos der Kunstmusik!

Genau das versuche ich ja mit Hilfe dieses Thread - ich weiß genau, dass ich mit meiner Meinung und These falsch liege und keine Ahnung habe: Ich möchte lernen - von dir und allen anderen, die mehr wissen.

edit: hätte ich nicht "provoziert", hätten wir nur weiter diskutiert, in welche Kategorie Tiersen soll und das bringt meiner musikalischen Allgemeinbildung herzlich wenig ;)
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
P.S.: Man könnte "die man sich anhören kann" auch durch "die verstanden werden will ersetzen"!

P.P.S.: Es gibt kein post post scriptum!

Ligetis Musik, darunter auch "atmospheres", wurde schon als Filmmusik verwendet, der russische Komponist Alfred Schnittke hat die großartige Filmmusik zur Verfilmung des Romans Abschied von Matjora komponiert - Filmmusik haben einige moderne und zeitgenössische Komponisten geschrieben, nebenbei unter Verwendung verschiedener kompositorischer Techniken.

Verstanden werden will vermutlich die meiste Musik.
 

Ein Werk, das sich mir erst mit der Zeit erschlossen hat:

http://www.youtube.com/watch?v=x_KeybhGDDU

Den Sacre von Strawinsky kann ich wärmstens empfehlen. Es gibt (gab?) bei Youtube mehrere Videos einer Probe mit Bernstein und einer Art Jugendorchester. Das war hochspannend.

lg marcus
 
Vielen Dank euch beiden für die lehrreichen Links.

Kleine Anregung: Weil bei zu vielen Links schnell der Überblick verloren geht und Leser, die nicht von Anfang an dabei sind und alle Links verfolgen mitkommen, würde ich anregen, dass beim Posten von neuen Stücken und Komponisten vielleicht ein zwei Sätze gesagt werden, inwiefern der Komponist die Tonsprache weiterentwickelt hat, was besonders an ihm und dem vorgestellten Werk ist, oder warum man einfach gerade dieses Komponisten gepostet hat. Denkt dran: Im Moment des Posten seid ihr die Experten - gebt euer Wissen weiter!

So lernt man vielleicht mehr draus, da vielleicht auch nicht jeder die Zeit hat, richtig zuzuhören, aber trotzdem mitdiskutieren möchte!
 
So lernt man vielleicht mehr draus, da vielleicht auch nicht jeder die Zeit hat, richtig zuzuhören, aber trotzdem mitdiskutieren möchte!

gerade in diesem Stück http://www.youtube.com/watch?v=lziu5-MHHtQ, Arvo Pärts "fratres" (1977), empfehle ich aber sehr, sich die Zeit zu nehmen, es gleich mehrmals zu hören!
der Grund für diese Empfehlung ist die anrührende Schönheit dieser Musik, die eigentlich jeder wahrnehmen und mitempfinden kann - weitschweifige Theorien und Erläuterungen braucht dieses Stück in der Version für Klavier und Violine nicht.
 
Und hier mal richtig fröhliche moderne Musik - der letzte Satz von Bartoks großartiger Komposition mit dem langweiligen Titel "Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta".

http://www.youtube.com/watch?v=bexzEce6UZU&feature=related

Die anderen Sätze sind mindestens genauso hörenswert und alle von ganz unterschiedlichem Charakter. Wohl mit Bartoks bestes Stück!

LG,
Hasenbein
 
Die anderen Sätze sind mindestens genauso hörenswert und alle von ganz unterschiedlichem Charakter. Wohl mit Bartoks bestes Stück!

zweifelsohne ein fantastisches Werk - ich finde freilich, dass es noch andere gibt, die man als wohl mit Bartoks bestes Stück bezeichnen kann.

Wenn unter "zeitgenössischer Musik" auch die großen Kompositionen der ersten Hälfte des 20. Jh. verstanden werden, wie z.B. Strawinskis Sacre, so wird die Auswahl riesig und damit unüberschaubar. Vielleicht wäre es sinnvoll, sich auf Kompositionen zu konzentrieren, die erst in der 2. Hälfte des 20. Jh. komponiert wurden?

Wie auch immer: ich plädiere sehr dafür, sich zunächst ohne alle Regeln und Theoreme die Musik von Arvo Pärt anzuhören, am besten mit "fratres" in der Version für Violine und Klavier beginnen; danach vielleicht das wunderschöne Klavierstück "für Alina".
 
Für zeitgenössische Musik hat mir "fratres" von Arvo Pärt erstaunlich gut gefallen. (aber erst beim 2ten Mal :))

Das "hammermäßige Stück" finde ich als Grundidee auch nicht schlecht, für meinen Geschmack sind da aber zuviele plumpe Wiederholungen drin (auch noch gegen Ende), jammerschade...
 

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