ZEIT ONLINE: Egal, ob Fritzi flennt

Ich arbeite bei Tinder ausschließlich mit Symbolbildern.

Immerhin sammle ich auf diese Weise viele erste Dates.
 
Das Kind im Symbolbild hat jedenfalls schonmal eine vorbildliche Fingerhaltung und ein Spitzeninstrument.

Und ich hatte vor dem Lesen des Artikels einen Steinway und ein Musterkind erwartet. :004:

Was ich immer wieder betrüblich finde: viele denken, es gäbe nur zwei Möglichkeiten in der Erziehung. Entweder autoritär und machtorientiert (s. Frau Smesny) oder antiautoritär und passiv/kuschelig/nachgebend.

Es ist sehr wohl möglich, von Kindern viel zu fordern und ihnen gleichzeitig mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen!

Peter Heilbut, dessen sehr empfehlenswertes Buch "Klavier spielen (Frühinstrumentalunterricht)" ich gerade lese, gibt in Gruppen (meist zu zweit) einen anspruchsvollen Unterricht mit entsprechend sehr guten Ergebnissen, nimmt aber immer Grenzen und Gefühle seiner Schüler ernst und richtet seinen Unterricht danach aus. Das schließt sich nicht aus!

Wer Respekt haben will, sollte Respekt säen bzw. respektvoll mit Schülern umgehen. Wer seine Schüler zu Selbstverantwortung und Selbstkritik erziehen will, sollte ermöglichen, dass sie im Unterricht dazu Gelegenheit bekommen und sich mit Unterrichtsinhalten, sich selbst und dem Lehrer auseinandersetzen dürfen.

Wenn Kinder so autoritär behandelt werden wie im Artikel beschrieben, lernen sie Gehorsam. Sie lernen, ihre Gefühle zu unterdrücken und schließlich nicht mehr wahrzunehmen. Sie lernen keine Auseinandersetzung, sie lernen nicht, Fragen zu stellen. Sie lernen nicht, ihrer selbst bewusst zu werden, denn ihr Selbst hat im Unterricht nur dann etwas zu suchen, wenn es der Lehrerin passt. Gefühle und der Lehrerin nicht passende Handlungen werden ignoriert. Die große Chance des Gruppenunterrichts, gemeinsam an etwas zu arbeiten und verschiedene Herangehensweisen und Persönlichkeiten kennen zu lernen, wird zunichte gemacht. Beschämung und Ignoranz (von Weinen, Fragen etc.) lösen sehr unangenehme Gefühle aus, denen kein Raum gegeben wird. Auch zu Hause nicht, denn die Eltern sollen der verlängerte Arm der Lehrerin sein.

Was man rein tut, kommt am anderen Ende auch raus und wie sollen aus solchen Kindern verantwortungsvolle, Dinge hinterfragende, selbstbewusste (!), kritische und selbstkritische Menschen werden? Wie sollen sie sich zurechtfinden in der heutigen reizüberfluteten Welt, in der es sehr wichtig ist, sich kritisch mit den vielen verschiedenen Meinungen und Strömungen auseinanderzusetzen?

Warum Frau Smesny überhaupt Erfolg hat, liegt an der Verunsicherung vieler Eltern. Sie wollen nicht mehr in die Zeiten der schwarze Pädagogik zurück. Deshalb haben viele lange Jahre das Gegenteil gewählt und dabei ihre eigenen Grenzen vernachlässigt. Das wollen sie nun auch nicht mehr.

Für Kinder ist es wichtig, dass Eltern ihre persönlichen Grenzen artikulieren und konfliktbereit sind. Aber wie sollen Eltern, die nur gelernt haben, gehorsam zu sein, plötzlich konfliktfähig sein? Daher schwanken sie zwischen den Extremen hin und her und daher gibt es auch die Flut an Erziehungsratgebern sowohl für die eine wie die andere Richtung.

Eltern sollten ein Gefühl für sich selbst bekommen und ihre Grenzen auch vertreten. Im Unterricht ist es ähnlich. Das, was Frau Smesny macht, ist ein Armutszeugnis für unsere Kultur und das, was wir schon erreicht und gewonnen haben an pädagogischem Wissen! Es ist außerdem zutiefst inhuman, Kinder so behandeln.

Ich kenne Musiker, die so aufgewachsen sind. Viele haben bleibende psychische Schäden und ihre Liebe zum Instrument und der Musik haben sehr gelitten.

Liebe Grüße

chiarina
 
Schon das habe ich bei meinem Kind 2 als heikel empfunden. Egal wie kuschelig man alles gestaltet – die Kinder werden sich vergleichen. Sind nun die Leistungen unterschiedlich, wird sich ein Kind langweilen, es könnte auch überheblich werden, und das andere wird Misserfolg spüren und die Lust verlieren.

Man kann das sicher umgehen, indem man die Gruppen entsprechend gestaltet. Aber zu Anfang kennt man die Kinder nicht, später was umstellen ist auch doof (das "schlechtere" Kinde wird sehr wohl merken, warum es verschoben wird). Nicht so einfach, das alles.
 
Schon das habe ich bei meinem Kind 2 als heikel empfunden. Egal wie kuschelig man alles gestaltet – die Kinder werden sich vergleichen. Sind nun die Leistungen unterschiedlich, wird sich ein Kind langweilen, es könnte auch überheblich werden, und das andere wird Misserfolg spüren und die Lust verlieren.

Man kann das sicher umgehen, indem man die Gruppen entsprechend gestaltet. Aber zu Anfang kennt man die Kinder nicht, später was umstellen ist auch doof (das "schlechtere" Kinde wird sehr wohl merken, warum es verschoben wird). Nicht so einfach, das alles.

Lieber dilettant,

es kommt immer auf das Kind an. Für manche ist der Einzelunterricht sinnvoller. Aber der Wettbewerbsgedanke ist nicht automatisch schlecht. Kinder wollen sich vergleichen und erfinden Wettspiele u.v.a., um sich spielerisch miteinander zu messen.

Wenn aber der Wettbewerbsgedanke bestimmend und allumfassend ist (liegt oft am Lehrer oder der Erziehung durch die Eltern), kann das ein sehr ungesundes Klima erzeugen. Auch wenn der Unterricht nicht so gestaltet wird, dass jeder seine Stärken einbringen kann.

Es passt auch nicht jeder zueinander, ganz im Gegenteil. Wenn die Begabungen sehr auseinanderdriften, klappt es normalerweise nicht. Insofern hast du Recht: nicht so einfach, das alles. :)

Liebe Grüße

chiarina
 
...schon Spiele (sic!) können zu Tränen führen, denn es schmeckt nicht jedem Kind, wenn es nicht gewinnt - mit anderen Worten: ohne etwas Frustrationstoleranz geht ohnehin nichts, egal ob im Gruppen- oder Einzelunterricht. Kindergarten, Grundschule: alles "Gruppen".
 

...schon Spiele (sic!) können zu Tränen führen, denn es schmeckt nicht jedem Kind, wenn es nicht gewinnt - mit anderen Worten: ohne etwas Frustrationstoleranz geht ohnehin nichts, egal ob im Gruppen- oder Einzelunterricht. Kindergarten, Grundschule: alles "Gruppen".

Die erhalten aber nicht gleichzeitig Klavierunterricht. Ich hatte dilettant so verstanden, dass es um Instrumentalunterricht ging.
 
Schon das habe ich bei meinem Kind 2 als heikel empfunden. Egal wie kuschelig man alles gestaltet – die Kinder werden sich vergleichen. Sind nun die Leistungen unterschiedlich, wird sich ein Kind langweilen, es könnte auch überheblich werden, und das andere wird Misserfolg spüren und die Lust verlieren.

Man kann das sicher umgehen, indem man die Gruppen entsprechend gestaltet. Aber zu Anfang kennt man die Kinder nicht, später was umstellen ist auch doof (das "schlechtere" Kinde wird sehr wohl merken, warum es verschoben wird). Nicht so einfach, das alles.

Heilbut schreibt dazu sehr eindeutig einige Dinge:
Es gibt Kinder, die nicht für Gruppenunterricht geeignet sind. Und zwar vor allem dann, wenn sie entweder besonders begabt sind, besonders teilbegabt (z.B. sehr schnell und gut vom Blatt spielen, alles andere aber ungern machen, oder im Gegenteil immer nur improvisieren wollen und Noten vehement ablehnen etc.), oder natürlich auch besonders langsam. Auch andere Eigenheiten können dagegen sprechen. Viele Kinder allerdings sind "geeignet".

Außerdem schreibt er, dass man natürlich darauf zu achten hat, dass die Kinder zueinander passen. Eine von ihm vorgeschlagene Lösung: Zunächst mit drei Kindern anfangen, die man in verschiedener Weise kombiniert (AB, AC, BC, sowie Einzelunterricht). Dies kann in eine feste Zweiergruppe münden, oder auch ein Wechselunterricht bleiben. So ist die Chance deutlich höher, eine passende Zweiergruppe zu finden.
Bleibt am Ende AB übrig, passt C vielleicht zu D. Usw. Passt es zwischen Kindern nicht, mögen sie sich vermutlich auch nicht so sehr und sind nicht unfroh über den Wechsel.

Zum Wettbewerbsgedanken: Wettbewerb ist dann schön und sinnvoll, wenn alle Konkurrenten die Aufgabe tatsächlich lösen können. Beispiel: Fis-Dur-Tonleiter wurde gelernt. Alle können sie spielen. Wer spielt sie am gleichmäßigsten, lautesten, schnellsten, weichsten, schönsten,...?
Oder: Alle Kinder kennen gewisse Intervalle. Wer erkennt die meisten? ...
Ist dies nicht gegeben, lässt man die Kinder sich untereinander beraten, bis die Antwort gemeinsam gegeben wird.

Kann Kind A etwas, das Kind B nicht oder deutlich schlechter kann, eignet sich kein Wettbewerb. Aber dann ist etwas anderes möglich: Nämlich dass Kind A in die Lehrerrolle schlüpft und Kind B etwas erlkärt. Die Vorteile davon brauche ich nicht aufzuzählen. Sicherlich gibt es auch etwas, das Kind B dem Kind A erklären kann.

Davon bleibt unberührt, dass gewisse Leistungen auch deutlich eingefordert werden ("streng sein") - aber nicht 60 Minuten lang. Das braucht es auch gar nicht, weil längst nicht alles, was man im Unterricht tut, nur mit "richtig und falsch" betitelt werden kann.
 
Wenn die Begabungen sehr auseinanderdriften, klappt es normalerweise nicht.
Eben. Bei meiner Tochter war es so, dass sie mit 5 Jahren in einer Zweiergruppe für Violine angefangen hat. Sie hatte da schon mehrere Jahre durchaus ernsthaft im Kirchenkinderchor mitgesungen und bereits ein tolles Gehör. Das zweite Mädchen war, sorry, erstaunlich unmusikalisch. Das hat wirklich nicht gepasst.
Ich hatte dilettant so verstanden, dass es um Instrumentalunterricht ging.
Hm, ich denke eher nicht, dass bei Brettspielen, im Matheunterricht oder im Sportunterricht andere soziale Mechanismen wirken als im (Gruppen-)Instrumentalunterricht. Es geht einerseits darum, Wettbewerb als etwas Positives anzuerkennen, bei dem auch die weniger guten (wie immer man das misst) profitieren können, andererseits aber extreme Ungleichgewichte, die alle Beteiligten frustrieren, zu vermeiden. Allerdings sehe ich da zwischen Dir, @chiarina, und dem Frotzel-Rolf gar keinen so großen Widerspruch.
Das klingt nach einem guten Ausweg aus den von mir thematisierten Schwierigkeiten.
 
Ich denke nicht, dass dies ein Trick ist, den Leseschutz zu umgehen. Sondern ich vermute eher, dass MSN diesen Artikel aktiv auf seiner Panorama-Seite verlinkt hat. Es lohnt sich immer ein bisschen zu suchen.
 

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