kann man sich freiwillig unterwerfen
Das machst Du ständig. Beweis: Du lebst und bist offenbar nicht im Knast. Die erste freiwillige Unterwerfung erfolgt unter den ZWANG, trinken und essen zu müssen. Und die metabolischen Überreste an dafür vorgesehenen Örtlichkeiten loszuschlagen.
Sicher unterwirfst Du Dich freiwillig der Regel, fremdes Eigentum nicht in Deinen Besitz zu bringen. An der roten Ampel zu halten. Pünktlich beim Zahnarzttermin zu erscheinen, falls es die Verkehrslage auch nur annähernd zulässt. Ständig unterwirfst Du Dich freiwillig, sonst wärst Du kein zivilisierter Mensch.
"Unterwerfung" - die nun einmal einen fragwürdigen Beigeschmack von Zwang und Gewalt hat; wem ich mich "unterwerfe", vor dem kapituliere ich irgendwie eben auch - würde ich das dennoch nicht nennen; schon eher scheint mir der Autoritätsbegriff hier passend ("Wortklauberei" ist bekanntlich ja auch das Geschäft der Philosophen
Gar nicht. Das Geschäft der Philosophen ist die saubere Definition. Und um dem lässlichen Vergnügen von weiteren "Wortklaubereien" vorzubeugen: Ich verwende das Wording und die Definitionen von Immanuel Kant. Nüchtern und unschwummerig. Unterwerfung meint Unterwerfung. Wer es für sinnvoll erachtet, etablierte philosophische Begriffe zu verschwurbeln – à la bonne heure. Hier haben wir einen kleinen Abriss der heute gebräuchlichen Bedeutungen:
Unterwerfung steht für:
- Debellatio, das vollständige militärische Niederringen eines Kriegsgegners
- Kapitulation, die Aufgabe des militärischen Widerstandes
- die Unterordnung unter den Willen einer Autorität; siehe Untertan
- die Unterwerfung des werbenden Ritters unter den Willen der umworbenen Dame; siehe Minne
- Unterordnung in der Sexualität; siehe BDSM#Dominance and Submission
- Unterwerfung (Bahn), eine kreuzungsfreie Entbündelung einer Bahnstrecke via Tunnel
Die rot gefetteten Wörter sind zutreffend. Die Autorität ist die Vernunft. Wenn man heute "irgendwas mit Willkür und äußerem Zwang" assoziiert, ist es ein Tribut an die Unklarheit des zeitgenössischen Sprachgebrauchs.
Ein interessantes Wort aus meiner Sicht ist auch der Begriff "Zwang", worunter man verschiedenes verstehen könnte.
Noch viel interessanter ist "Nötigung". Nötigung ist der Antrieb, etwas zu tun (ohne Nötigung tut sich gar nix, jeder einzelne Muskel und jede Gehirnzelle bedarf eines nötigenden Impulses). Dieser Antrieb kann von außen einwirken: Dann ist es Zwang.
Auch Zwangsstörungen folgen einem "äußeren" Zwang, obwohl weit und breit niemand droht und der Betroffene gleichwohl eine Fremdbestimmung erlebt. Nötigen kann und soll aber auch die Vernunft. Auf pragmatische Weise: Tu X um Y zu erreichen. Oder assertorisch: Du definierst Dein Glück XYZ, also strebe XYZ an und unterlasse, was in die falsche Richtung führt. Oder apodiktisch: Du hast zwar absolut keine Lust und auch keine Zeit, dem Igelchen über die Straße zu helfen, aber es ist Deine Pflicht, weil das Überleben dieses kleinen Wesens von Dir abhängt und weil Du es kannst. Man nennt es landläufig "Gewissen", aber mit dem Gewissen kann man auch dealen. Es gibt keinen äußeren Zwang zur Igelhilfe.
Großer Unterschied zu jemandem, der in sich den neurotischen Zwang empfindet, Igel zu suchen und sie auf andere Straßenseiten zu transportieren. Oder wenn jemand mit vorgehaltener Pistole gezwungen wird, den stachligen Flohbären von der Fahrbahn runterzutragen.
Aber DU, liebe Chiarina, hattest ja freundlicherweise kein Problem mit meiner Definition.
Warum es so wichtig ist, das mit der pöhsen Unterwerfung. Menschen mit mitteleuropäischem Kulturhintergrund haben sich eine Gesellschaftsform ausgedacht, die dem Individuum größtmögliche Freiheit der Entscheidungen lässt. Da wird eben gerade nicht gegängelt und gezwungen. Der demokratische Rechtsstaat hat selbst nicht die Mittel, sich selbst aufrechtzuerhalten. Er setzt voraus, dass seine Mitglieder sich freiwillig (= ohne dass alle 100 Meter ein bewaffneter Ordnungswächter steht) den Regeln unterwirft, denen er selbst zugestimmt hat (Demokratie von unten bis oben, repräsentativ zwar, aber immerhin).
Die akzidenziellen BEDÜRFNISSE müssen sich den Regeln unterwerfen. Muss ich ein Beispiel geben? Großkevin hat das Bedürfnis, vor seinen Kevinkollegen mit irgendeinem Produkt anzugeben, weil er dann in der Kevinrangordnung angesehener sein wird. Er hat aber kein Geld, um den teuren Schnickschnack zu kaufen, also stiehlt er ihn. Er hat ja ein BEDÜRFNIS – so würde er es jedenfalls für sich behaupten. Vielleicht erzählt ihm nach der Straftat der Kinder- und Jugendpsychologe, dass es Regeln gibt, denen er sich unterwerfen muss, falls er (assertorisch) keine Zukunft als Krimineller anstrebt.
Wäre Kevin klug, wäre er selbst darauf gekommen. Wäre Kevin vernünftig, hätte er sich gesagt, dass er nicht wollen kann, dass auch für alle anderen die Regel gelten sollte "Klau was Du haben willst". Wäre er weise ... ach, das führt zu weit. Ein knapp Strafmündiger ist noch nicht weise. Kann er nicht sein. Er braucht noch den äußeren Zwang: Ladendetektiv, Anzeige, jede Menge Stress.
Beschwichtigung dient größtenteils der Erhaltung der Art.
... weil es immer !!! zuvor der Erhaltung des Individuums dient.
Der kleine Hund verschwendet keinen Gedanken an die Erhaltung seiner Art, sondern seines eigenen Wohlergehens. Frag Wolferl.
Der unvernünftige Kevin aus meinem Beispiel würde (falls er nicht völlig verworfen ist) auch Beschwichtigungsgesten vollführen. Er würde die Folgen seiner Tat spüren, Angst bekommen, weinen, erröten, Zerknirschung und Beschämung zeigen, Besserung geloben. Vielleicht würde er sogar nachdenken: Dass es Unrecht war, was er tat, oder aber, dass er es das nächste Mal geschickter anstellen muss.