Wie schwer sollten die Stücke sein, die man übt?

Alles, was Monate dauert, ist zu schwer. Weil dann bist du nur noch am Memorisieren durch Repetition statt am Klavierspiel lernen. Der beste Vergleich dazu wäre, ein chinesisches Gedicht auswendig aufsagen zu lernen, ohne dass du die Sprache verstehst. Das mag nach Monaten (leidlich) gut klingen, bringt dich aber langfristig nicht weiter. Und wenn du es ein paar Wochen nicht mehr repetitierst, schwindet alles aus dem Gedächtnis.

Als erwachsener Spätanfänger wollte ich auch natürlich möglichst schnell Stücke spielen, die gut klingen. Das mag am Anfang auch eine gute Motiviation sein, mal ein Lieblingsstück reinzupaucken. Ging mir auch so. Aber nach ein paar Jahren habe ich gemerkt, dass das wenig bringt und nix im Repertoire bleibt. Es bleibt nur der Frust, eigentlich nix spielen zu können ausser halbpatzig das Stück, an dem man schon seit Wochen oder Monaten sitzt und das man eigentlich schon nicht mehr hören mag.

Ich habe deshalb mein Klavierüben radikal umgestellt auf Masse statt Klasse. Ich spiele eigentlich nur noch Dinge, die 2-3 Schwierigkeitsstufen unter meiner "Leistungsgrenze" liegen. Das sind momentan wirklich einfach arrangierte Popsongs und Filmmusik. Die kann ich bereits im ersten Anlauf halbpatzig vom Blatt spielen. Ich erfasse meist einigermassen schnell rhythmisch und harmonisch, was ich da spiele. Schaue wenig auf die Hände, repetiere nicht viele Durchgänge. Wenn ich ein paar Mal noch dran sitze, kann ich die Stücke nach einer Woche ganz ordentlich spielen - so wie die zu schwierigen Sachen sonst nach Monaten.

So übe ich jede Woche 1-2 neue Stücke, spiele viel mehr "Takte" und Arten von Musik und habe in meinen Augen wie auch den Augen meiner KL in eineinhalb Jahren nach diesem System grosse Fortschritte gemacht. Vor allem aber habe ich auch mehr Spass durch die stetige Abwechslung und kleine Erfolgserlebnisse. Das wiegt auf, dass es sich natürlich nicht um anspruchsvolle Musik oder schöne Arrangements handelt.

Wie wenn man Chinesisch lernst, da fängt man auch mit kurzen Kindertexten an, nicht mit epischen Gedichten. Mit der Zeit verschieben sich dann die Grenzen des Machbaren. Leicht arrangierte Stücke, die ich nun nach 3-4 Tagen spielen kann, hätten mich vor 3-4 Jahren noch mehrere Wochen üben gekostet.

Ich bin deshalb zur Überzeugung gelangt, dass dies der Weg zur Verbesserung ist, nicht das Zähne ausbeissen an einem zu schwierigen Stück an der Grenze des Machbaren. Weil dann driftet man zwangsläufig in die sinnlose Repetition aus dem Muskelgedächtnis ab, anstatt zu verstehen, was man da spielt und Fortschritte beim Blattspiel zu machen.
 
Das stimmt nur für den gemeinen Wald- und Wiesen-Klavierspieler, dass alles, was Monate dauert, zu schwer sei.

Meine Klassik-Klavierlehrerin damals an der Musikhochschule hat mir erzählt, dass sie an Chopins Terzenetüde ungefähr 1 Jahr geübt hat, bevor sie sie aufgeführt/aufgenommen hat.
 
Und als Normalo stört es mich nicht, dass ich für eine Beethovensonate 4-6 Monate brauche (abhängig vom Umfang begleitender Stücke und meiner Zeit neben der Arbeit).Soll ich sie deswegen nicht lernen? Wie lang soll man denn brauchen um eine spielen zu dürfen. Wenige Wochen?

Irgendwie Runterspielen würde man in kürzerer Zeit schaffen (sogar ich) aber dafür greift man so ein Werk ja nicht an.
 
Alles, was Monate dauert, ist zu schwer. Weil dann bist du nur noch am Memorisieren [sic!] durch Repetition statt am Klavierspiel lernen. […] Und wenn du es ein paar Wochen nicht mehr repetitierst [sic!], schwindet alles aus dem Gedächtnis.
Schon spannend, welche Weisheiten hier kundgetan werden. Je weniger Background, desto apodiktischer die Statements. Ich empfinde diese Haltung als Fastfood-Mentalität am Klavier. Vor allem frage ich mich, ob die Herangehensweise und „Übestrategie“ eventuell suboptimal ist. Wenn ich allerdings nur an der Oberfläche herumdümpeln will, mag es in Ordnung sein. Wie es im Rheinland so schön heißt: „Jeder Jeck ist anders.“ Auch darf in diesem Forum jeder nach seiner Façon selig werden und soviel Blödsinn verzapfen, wie er will.
 
Ich lerne gerade Beethoven 10/1 – d. h. seit den Sommerferien, das ist schon lange. Inzwischen bin ich im 3. Satz angekommen. Das Stück geht sicher an die Grenze dessen, was für mich (46, davon 38 Jahre musizierend, aber erst 2,5 Jahre Klavier) derzeit machbar ist. Also zu schwer? Weiß ich net. Ich frage mich eher, ob ich mit 2-3 leichte(re)n Sachen in derselben Zeit mehr hätte lernen können?? :denken:
 
In etwa so mache ich es zur Zeit auch wie @Tonsee es beschrieben hat.
Ich treibe es sogar noch bunter, ich probiere etwas nach dieser Synthesia-methode zu erlernen.
Für mich als Notenkleber eine grosse Herausforderung.
Und der Klang ist grauenhaft, :cry2: :cry2: :cry2: , meistens ist es auf lautlos, aber ich will es lernen.
Fordert meine grauen Zellen ungemein. Erfolge kann ich aber bisher nur ganz kleine verzeichnen.
 
Alles, was Monate dauert, ist zu schwer. Weil dann bist du nur noch am Memorisieren durch Repetition statt am Klavierspiel lernen.
Kann es sein, dass du schwierige Stücke zu schlampig lernst?
Wenn man es ordentlich(!) lernt, hat man auch von schwierigen Stücken etwas. Es erfordert halt Selbstdisziplin, bei fordernden Stücken weiter alle Aspekte zu beachten und sich nicht damit zufriedenzugeben, die richtigen Tasten zu drücken.

Meinst du, du spielst im Silent-Modus mit Kopfhörern? Oder tatsächlich ohne etwas zu hören?
 

Ich muss jetzt was böses schreiben, aber wer fürs Klavier spielen noch Gamification braucht, sollte vielleicht bei GuitarHero bleiben.

Ansonsten denke ich, es kann auch gut sein, sich ein leichteres Repertoire in die Breite zu erarbeiten.
 
Vielen Dank für den Hinweis. Ich habe auch das Gefühl, dass ich bei den sehr schwierigen Stücken nicht in einer Art lerne, die mich wirklich weiter bringt.

Ich sehe ja, dass mein Klavierlehrer die Stücke auf ganz andere Art erfasst und versteht wie ich und das wäre schon ein Ziel für mich, auch irgendwie einen Überblick zu bekommen und schnell einfache Stücke lernen zu können.

Wobei "Monate" auch abhängig von der Länge des Stücks ist. Ist es lang, hat man ja dann doch wieder viele kleine Einheiten.

Selbst einfache Stücke brauchen bei mir immer länger als eine Woche, denn irgend etwas findet er immer ... ist ja auch ok, ist sein Job und manches kann man eben auch nur an Stücken lernen, die man bereits gut spielt.
Ich mag das auch, bei einem Stück, das ich schon so einigermaßen beherrsche an der Dynamik oder am Legato zu arbeiten.

Und ich glaube, hätte ich nur leichte Stücke, dann hätte ich eher das Gefühl von Fließbandarbeit.
Vermutlich ist eine Mischung gut.
 
Interessanter als die Anzahl der Wochen, die man „an dem Stück sitzt“, sind die Stunden, die man sich intensiv mit dem Stück auseinandersetzt. Zunächst einmal gilt es, den Notentext - mit sämtlichen (!) Spielanweisungen - zu verinnerlichen. Aus dieser Auseinandersetzung entwickelt sich die eigene Haltung, der Interpretationsansatz. Und auch dieser will in alle Richtungen ausgelotet sein. Wenn all dies innerhalb ein oder zwei Wochen in Gänze “erledigt“ ist, sollte man sich eher die Frage stellen, ob das Stück zu leicht oder zu banal war - oder ob man nicht Entscheidendes übersehen hat.
 
Ich frage mich eher, ob ich mit 2-3 leichte(re)n Sachen in derselben Zeit mehr hätte lernen können??
diese Frage lässt sich doch sehr leicht beantworten: du hättest in derselben Zeit ein paar leichtere Sachen gelernt und wärst damit nicht einen einzigen Millimeter an "schwierigere" Sachen herangerückt. Wenn man in Sachen "schwierig" nicht per a peu progressiv vorankommen will, dann ist es sinnvoll, sich nur mit "leichterem" zu befassen.
 
Interessanter als die Anzahl der Wochen, die man „an dem Stück sitzt“, sind die Stunden, die man sich intensiv mit dem Stück auseinandersetzt. Zunächst einmal gilt es, den Notentext - mit sämtlichen (!) Spielanweisungen - zu verinnerlichen. Aus dieser Auseinandersetzung entwickelt sich die eigene Haltung, der Interpretationsansatz. Und auch dieser will in alle Richtungen ausgelotet sein. Wenn all dies innerhalb ein oder zwei Wochen in Gänze “erledigt“ ist, sollte man sich eher die Frage stellen, ob das Stück zu leicht oder zu banal war - oder ob man nicht Entscheidendes übersehen hat.
@Cheval blanc du klammerst den lästigen "manuell-sportlichen" Aspekt aus ;-) es gibt genügend leicht verständliche Literatur, die man in kurzer Zeit kapieren/verstehen und für die man ein schlüssiges "Interpretationskonzept" überlegen kann (z.B. Regers Donauwalzer-Improvisation, Tschaikowski-Siloti-Ballettarrangemets, Dutzende von Konzertetüden) - aber man kann zweistellig monatelang an der jeweiligen technischen Hürde herumlaborieren...
 
Du übst Stücke "auf lautlos"??

Sorry, aber das ist leider kompletter Blödsinn. Sofort aufhören damit!
Lieber @hasenbein ,
Noten sind auch lautlos und ich muss mir den Klang, Fingersätze und Phrasierung teilweise selbst erarbeiten.
Da schaue ich eben auf die Balken und Blinklichten statt Noten und spiele das nach.
Ich muss dazu sagen, dass ich auch schon länger Klavier spiele und mich daran die Herausforderung reizt, wie Anfänger damit Klavierspielen lernen wollen.
 
Lieber @hasenbein ,
Noten sind auch lautlos und ich muss mir den Klang, Fingersätze und Phrasierung teilweise selbst erarbeiten.
Da schaue ich eben auf die Balken und Blinklichten statt Noten und spiele das nach.
Ich muss dazu sagen, dass ich auch schon länger Klavier spiele und mich daran die Herausforderung reizt, wie Anfänger damit Klavierspielen lernen wollen.
Aber dauert das mit diesen auf die Tasten fliegenden Balken nicht viel länger und ist viel anstrengender, als Notenlesen zu erlernen?
Man muss doch ständig auf stop drücken, die Finger auf den Tasten anordnen und dann wieder kurz Play, wieder Pause, Finger umlegen, wieder Play... und dann muss man versuchen, das zu memorisieren, weils einfach furchtbar anstrengend ist mit diesem ständigen Bedienen des Videos dazu?
Ich verstehe diese Herangehensweise wirklich gar nicht.
Ich hab einen Anfängerband mit Lehrerin durchgeackert und konnte dann so halbwegs schon mal eine Oktave in der rechten und eine in der linken Hand lesen.
Danach sind wir weg von der Anfängerliteratur und ich hab mir nach und nach weitere Noten durch das Spielen der Stücke gemerkt bzw kann sie langsam auch schneller lesen.

Wenn ich dran denke, ich müsste für immer an so einem Bildschirm hängen und Pause/Play/Pause/Play.. Das klingt SO viel anstrengender.
 
Lieber @hasenbein ,
Noten sind auch lautlos und ich muss mir den Klang, Fingersätze und Phrasierung teilweise selbst erarbeiten.
Da schaue ich eben auf die Balken und Blinklichten statt Noten und spiele das nach.
Ich muss dazu sagen, dass ich auch schon länger Klavier spiele und mich daran die Herausforderung reizt, wie Anfänger damit Klavierspielen lernen wollen.
Völlig unsinnige Zeitverschwendung.

Und dann klagen, dass man nicht so recht besser wird. Facepalm.
 

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