Wie religiös seid ihr?

Wie religiös bist du?


  • Umfrageteilnehmer
    63
In der "Rhetorik" gibt es einen Passus dazu (1385).

Das gehört mit dem »Mitleids«-Begriff oder besser der Katharsis-Theorie der Poetik zusammen. Rhetorik und Poetik sind bei A. ja Subdisziplinen der Politik, aus moderner Sicht überraschend, aus der Perspektie der attischen Demokratie nicht, wo rednerische Fähigkeiten der Schlüssel zum politischen und juristischen (es gibt nur Laienrichter!) Erfolg sind und andererseits das Drama eine Begehung des Staatskultes mit Besuchspflicht ist. Unterschiedlich ist nur die Fragestellung. In der Rhetorik lautet sie: »mit welchen Mitteln kann ich Mitleid erwecken?« (sc. beim Richter zugunsten des Angeklagten) *), in der Poetik lautet sie »welche Effekte hat das von der tragischen Handlung evozierte Mitleid?« (sc. beim Zuschauer). Die erste Frage ist klar handlungsorientiert, die zweite Frage dagegen ist, literaturtheretisch gesprochen, wirkungsästhetisch. Ihre polemische oder Orientierung ist der traditionelle - prägnant von Platon formulierte - Vorwurf des attischen Hochadels (ja, Tragödie ist eine »populäre« Gattung), daß die Erregung von Affekten wie »Furcht und Mitleid« **) durch die tragische Handlung zu Traumatisierungen und damit einem Mangel an Tatkraft des Bürgers führe. Aristoteles bezeichnet dagegen die Wirkung der tragischen Handlung als »Katharsis«: die von der Handlung erregten Affekte Furcht und Mitleid werden nach deren Ende wieder abgeführt, und dieses Rückschwingen in die psychische Normallage löse ein Wohlbefinden aus, sei also, wie er maliziös gegen Platon formuliert, ein eher »harmloses Vergnügen«. In beiden Fällen ist A.s Interesse am »Mitleid« rein psychologisch und gehört in keinen ethischen Kontext; im Gegenteil, im Falle der Poetik nimmt er ihn explizit aus dem Bereich der Ethik heraus. Der Wandel des Mitleidsbegriffs zu einem ethischen ist historisch gesehen durchaus eine »Erfindung« (@haeretiker) des Christentums, womit gleichzeitig der Konflikt zwischen der Verpflichtung zur »Nächstenliebe« und der damit möglicherweise verbundenen Einbuße an eigener Wohlfahrt entstand (der ist bei Kant in der Metaphysik der Sitten analysiert, aber das ist nicht mein Feld).

*) das ist in der späteren Rhetorik ein eigenes Gebiet und hier wurden in der Praxis wohl auch die meisten Fehler gemacht. Bei Quintilian liest man die Anektode von einem Angeklagten, der, wie üblich seine Kinder unter Führeung ihres »Pädagogen« als Klagechor aufmarschieren läßt. Und weil einer der Knaben besonders laut plärrt, fragt der Richter ihn »warum heulst Du den so«, und der Knabe antwortet (wahrheitsgemäß) »weil mein Pädagoge mich die ganze zeit so zwickt«.

**) so Lessings klassische Übersetzung von éleos kaì phóbos, wörtlich allerdings »Jammer und Schauder«)

Grüße,

Friedrich
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich würd noch gerne eine Umfrage machen, was für eine Katholiken- und Protestantenrate es hier gibt, aber ich glaub ich trau mich nicht ...
 
Und ich ob muselmänner klavier spielen :bomb::blume:

Ich finde solche Fragen passen hier nicht rein.

Lg lustknabe
 
Keine Umfragen, keine Diskussionen.
Um es mit Kaiser Franz zu sagen: Geht's 'naus und spuit's Klavier!



In diesem Falle müsste man zwischen Muselmännern und gläubigen Muselmännern unterscheiden - denn Fazil Say hat bekanntlich mit den religiös-konservativen Strömungen und deren politischen Vertretern in der Türkei schon mächtig Ärger bekommen. Seien wir froh, dass hierzulande religionskritische Äußerungen noch hingenommen werden - andernorts gäbe es einen solchen Faden in einem Internetforum gar nicht oder die darin Mitschreibenden wären schon längst im Straflager oder nicht mehr am Leben... .

LG von Rheinkultur
 
In der Rhetorik lautet sie: »mit welchen Mitteln kann ich Mitleid erwecken?« (sc. beim Richter zugunsten des Angeklagten) [...] ist A.s Interesse am »Mitleid« rein psychologisch und gehört in keinen ethischen Kontext

Ja, so meinte ich "utilitaristisch", Mittel zum Zweck halt, damit raus aus der Sittlichkeitslehre.

Der Wandel des Mitleidsbegriffs zu einem ethischen ist histirsch gesehen durchaus eine »Erfindung« (@haeretiker) des Christentums,

Das ist halt die Frage (bzw. ich stelle es ausdrücklich in Zweifel). Das christliche Konzept der Nächstenliebe resultiert aus der Gottesebenbildlichkeit des "Nächsten". Nicht aus Mitleid. Wobei das de facto sicher egal ist, da der durchschnittliche Frühchrist da vermutlich nicht zu differenzieren imstande war. :schweigen:

womit gleichzeitig der Konflikt zwischen der Verpflichtung zur »Nächstenliebe« und der damit möglicherweise verbundenen Einbuße an eigener Wohlfahrt entstand (der ist bei Kant in der Metaphysik der Sitten analysiert, aber das ist nicht mein Feld).

Ja, Kant findet das Gebot viel zu schwammig und operiert statt mit "Liebe" und "Nächsten" lieber mit "Pflicht" und "Menschheit". Wenn man zwischen den zensurbedingt zurückhaltend formulierten Zeilen in MdS II, 1, II, "Von der Liebespflicht gegen andere Menschen" darf man auch bei Kant mal schmunzeln. ;-)
 

Wenn denn das so wäre; leider wird dieses Konzept immer wieder erschüttert, und das seit Jahrhunderten. Da fragt man sich, wieso das immer wieder auf der Strecke bleibt.

Grübelnd
Häretiker

Weil sich die Praxis immer gegen Das Ideal sperrt. Zeig mir doch mal irgendeine Ideologie, wo das, abgesehen von ihrer frühsten Entwicklungsphase, nicht so ist.
 
Weil sich die Praxis immer gegen Das Ideal sperrt. Zeig mir doch mal irgendeine Ideologie, wo das, abgesehen von ihrer frühsten Entwicklungsphase, nicht so ist.

Aus dieser Antwort würde ich dann schließen:
Kirchen sind Ideologien wie andere auch. Die haben zwar auf dem Blatt Papier Werte, aber sobald die Realität zuschlägt, können sie zur Makulatur verkommen. Klingt nach einem harten Schlag für die Schar der Gläubigen.

Meintest Du das so?

Ein guter Freund von mir ist - als gläubiger Mensch - genau deshalb aus der Kirche ausgetreten vor über 20 Jahren. Er fühlte sich nicht mehr von ihr vertreten.

Ein anderer hat genau deswegen die Kirchenzugehörigkeit gewechselt und fühlt sich jetzt viel besser aufgehoben.

immer noch grübelnd
immer noch Häretiker
 

Nicht ganz, aber in gewisser Hinsicht schon. Das christliche Gebot der Nächsten- und Feindesliebe war viel zu rakdial, daß es in der Praxis ohne Selbstaufgabe gelebt werden konnte. Das war aber beileibe nicht das erste Beispiel; ein früheres ist das stoische Apatieideal und die damit verbundene Behauptung, daß die Tugend alleine ohne materielle Stützung für ein glückliches Leben hinreiche. Nun gibt es historische zwei Möglichkeiten: entweder mildert man die radikalität einer »Ideologie«, um Beachtung zu finden, theoretisch grundlegend ab, oder man erfindet produktive Strategien ihrer (abmildernden) Interpretation. In der (mittleren) Stoa ist ersteres passiert, denn sonst hätten die Römer sie links liegen lassen. In der Geschichte des Christentums ist letzteres passiert - das Gebot der Feindesliebe wurde z.B. durch eine Theorie des Bellum iustum ergänzt. Denn die Rigorosität konnte man sich nur solange leisten, solange die »Gewißheit« vorherrschte, die Parusie Christi stünde unmittelbar bevor und alles Geschehen »in der Welt« sei daher unerheblich. Als diese Erwartung enttäuscht wurde, gab man sie zwar nicht auf, sah aber ein, daß man wegen der Verzögerung der Parusie sich »in der Welt« einrichten mußte (und, wie ich oben schon geschrieben habe, von einer Gemeinde in Endzeiterwartung zu einer Kirche werden mußte). Insofern war die Kirche (bis 1054 gab es im Prinip ja nur eine) eben keine »Ideologie«, sondern ein Instrument zur Domestizierung einer radikal weltfeindlichen »Ideologie«. Im übrigen ist es dem einzelnen Gläubigen ja unbenommen, zu welchem Grad er die »Ideologie« gegen die Zwänge der Wirklichkeit leben möchte. Kant hat, wie wir oben schon gesagt haben, festgestellt, daß Nächstenliebe nicht auf Kosten des persönlichen Glücks geübt werden muß. Dennoch hat es immer wieder Leute gegeben, die ebendas getan haben. Und nachdem natürliches Mitleid nicht automatisch in karitatives Handeln mündet, haben sie es offenbar getan, indem sie ihrer »Ideologie« gehorchten.
 
Warum schreitet der Moderator hier nicht ein?

Es sieht so aus, als ginge es gar nicht darum, prinzipiell Diskussionen über Religion bzw. deren Sinn und Unsinn hier zu untersagen, sondern in Wirklichkeit soll nur ICH die Klappe halten, weil ich ohne schönende Worte und Wichtig-Popichtig-Blabla Klartext rede!
 
Verstehe ich jetzt nicht. Wo und wie und warum genau sollte ich einschreiten? :konfus:
 
Warum schreitet der Moderator hier nicht ein? [...] in Wirklichkeit soll nur ICH die Klappe halten...

Schau mal, Schnuckilein...

Zum einen bist du nicht der Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns, zum anderen bewegt sich der Faden momentan in einem interessanten, eher geschichtlichen Rahmen und das auf sehr sachlicher Ebene. Solange das so bleibt, sehe ich keinen Grund zum Einschreiten. Wichtig-Popichtig-Blabla ist eben super. ;-)
 
@hasenbein
Ich habe eher den Eindruck, dass Du persönlich beleidigt bist, weil die anderen Dich nicht mitspielen lassen. Vielleicht solltest Du Deine Beiträge etwas weniger dogmatisch formulieren, und nicht nur "Klartext" reden. Klartext heißt ja automatisch, dass Deine Meinung (die richtige) feststeht. Und wieso soll man da mit Dir dann noch groß diskutieren?
:-)
 

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