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Ich versuche natürlich auch, den gesamten Prozeß des Klavierspielenlernens rein analytisch zu durchdringen - aber letztendlich sind Kinder bzw. Jugendliche, die völlig voraussetzungslos an die Sache herangehen klar im Vorteil! Ihre "Festplatte" ist noch nicht sektoriert und daher haben sie die Möglichkeit, ihre persönlichen Lernerfahrungen voraussetzungslos und auf höchst persönliche Weise einzuordnen, zu beurteilen, abzuspeichern oder zu verwerfen!
Das spricht natürlich überhaupt nicht dagegen, hinsichtlich des "KLavierspielenlernens" eine entwicklungspsychologisch, didaktisch oder pädagogisch orientierte wissenschaftliche Untersuchung anzustellen! So etwas wäre sicherlich sehr aufschlussreich und lohnenswert! Wie man das anstellen sollte/könnte, welche Parameter dazu sinnvoller Weise erhoben werden sollten, kann ich allerdings überhaupt nicht beurteilen, da es sich um einen höchst komplexen Lernprozess handelt, den ich keinesfalls allgemeingültig und auch noch weniger aus eigener klavierspielender Erfahrung beantworten könnte!
Hallo Debbie,
während ich in den vergangenen zwei Tagen diesen Faden verfolgt hatte, geisterte beständig etwas durch meinen Kopf, ohne dass ich ganz klar hätte sagen können, was es ist.... als ich nun deinen Beitrag gelesen habe, wurde es für mich greifbarer:
Glücklicherweise hatte ich als Kind vom frühen Grundschulalter bis ca. ins 3. Jahr am Gymnasium hinein Klavierunterricht. Dann erst Mal Pause, bis ich jetzt vor 5 Jahren "wieder eingestiegen" bin. Diese Erfahrung erlaubt mir zwei Perspektiven, wenn auch die des Kindes nur aus der Erinnerung.
Jedenfalls bestätigen meine Erinnerungen an das Üben von damals deine Schilderung. Die Annäherung an das Klavier, seinen Klang und neue Stücke (= Noten) geschah viel unmittelbarer, die Metaebene des Lernprozesses an sich existierte höchstens für meine damalige Lehrerin.
Natürlich hatte das zur Folge, dass ich lange nicht so selbständig mein Üben organisieren und steuern konnte. Es hatte aber auch den Vorteil, dass ich sehr viel freier, unverbildeter auf die Musik losgegangen bin, oder vielmehr: sie, die Musik war halt einfach da. Ich war der Maßstab, Musik war damals etwas ausnahmslos Subjektives.
Was den fehlenden Sachverstand betrifft (der ja für jede Form von Anfängerstadium charakteristisch ist), habe ich rückblickend eben nicht das Gefühl, dass mich dieser Zustand der Ungebildetheit und Kenntnislosigkeit am Lernen gehindert hätte. Im Gegenteil, alles war auf der Oberfläche des unbeschriebenen Blattes irgendwie ein wirksamer Eindruck. Die Selektion, bzw. das "Schubladen aufziehen" von heute, fand damals nicht statt. Im Sinne einer hermeneutischen Spirale hat sich natürlich ein zunehmend größeres Wissen um die Musik angesammelt, aber dieses (bißchen) Wissen war sicher nicht die Voraussetzung des Lernens. Eher umgekehrt: das fehlende Wissen war Voraussetzung für eine große Vorstellungskraft und Spaß an der eigenen Fantasie.
In den ersten zwei, drei Jahren -ich grabe tief in meiner Erinnerung- habe ich ganz bestimmt nichts von irgendeiner abstrakten Klangvorstellung gehört. Ich hätte im Leben keine Intervalle benennen können. Allerdings einen Kuckuck, das Martinshorn, eine watschelnde Ente oder den Anblick japanischer Kirschblüten schon. Die Fähigkeit irgend etwas aus den Noten klanglich zu abstrahieren, geschah also mitnichten über musiktheoretische Vorkenntnisse oder ein woher auch immer vorgebildetes Gehör, sondern schlicht über die Fantasie, sich Begebenheiten, Gestalten und Ereignisse als Musik, in Klängen ausgedrückt, vorzustellen. Eben dem Empfinden und Fühlen klanglichen Ausdruck zu verleihen.
So würde ich das heute, erwachsen, beschreiben, wie ich das Klavierspielen und -üben als Kind angepackt habe. Eben nicht, gar nicht habe ich es "angepackt".
Ehrlich gesagt wünschte ich mir heute so manches Mal eben diese Fantasie zurück.
Ich glaube, dass es nebst allen lernpsychologischen und klavierdidaktischen Überlegungen vor allem darum geht, wie sehr Gehörtes, Musik das Gemüt in Bewegung versetzen kann, wie stark sie Geist und Gefühl anregt, sich aufzufalten. Jeder hat da seine eigenen Grenzen, was man ja auch hören kann :D, als Kind ist der Horizont noch weitergesteckt, kaum Denkverbote, vielleicht geht es dafür nicht so tief. Als Erwachsener legt man dann an Tiefe zu, dafür wird der Horizont enger abgesteckt.
LG, Sesam