Von der Notiz zum Klang

"Wie J. Gedan selbstverständlich weiß, ist das, was der Lehrer im Unterricht macht, etwas völlig anderes..."
Aber sicher, Haydnspaß. Ich würde mich auch nie darauf versteigen zu behaupten, daß Unterricht überflüssig sei oder daß das Hören der Spielweisen von guten Pianisten den Unterricht ersetzen könne. Ich verstehe nur das VERBOT des CD-Hörens nicht, das besagt, man solle sich ein Stück erst dann anhören, wenn man eine eigene Vorstellung bereits habe. Das kann doch wirklich nur auf hoher Stufe gelten, wo man so weit fortgeschritten ist, daß es einen Grund gibt, sich von fremden Einflüssen freizuhalten. Es kann doch nicht für jemanden gelten, der erst noch fragen muß, wie er die Anweisungen seines Lehrers verstehen solle.

In uralten Zeiten ist man, wiß- und lernbegierig, weit gereist, notfalls zu Fuß, um Vorbilder zu hören. Heute saugen wir uns das in Sekundenschnelle per Internet aus der Telefonleitung und sagen, es sei nicht statthaft? Das ist absurd. Außerdem macht es eh jeder, der interessiert ist. Und diejenigen, die nur ein bißchen interessiert sind, hören viel zu wenig.

"Wessen Rat soll ich vergessen?"
Meinen Rat, Amalia, meinen Rat: gar keine Notizen mehr zu machen. Deine ursprüngliche Frage klingt ein wenig so, als würdest du versuchen, ganz brav und geflissentlich den Buchstaben von Anweisungen zu erfüllen (diesen Ton mit mehr Gewicht, jenen mit weniger, hier ein bißchen beschleunigt, dort ein bißchen verzögert, hier die Mittelstimme zurück, dort den Baß hervor usw.). Um auch den Geist der Anweisungen zu erfüllen, wäre es vielleicht besser, nicht den Bleistift zu spitzen, sondern die Ohren und beim Üben dasjenige auszuprobieren, das nach dem Unterricht noch an Verständnis hängen geblieben ist auch ohne Notizen. Es nützt ja nichts, sich lauter Einzelheiten zu notieren, deren Sinn und Klang einem nicht im Gedächtnis geblieben ist.
Diesen Rat kannst du deswegen getrost wieder vergessen, weil ich dich nicht kenne, dein Spiel nicht, deine Lehrerin nicht. Ich kann dazu also eigentlich wenig sagen und nur Kafeesatz lesen, wie jeder andere auch nur, der hier Ratschläge gibt.

"benutzen den Notentext nur noch zur groben Orientierung"
Na, ich bitte dich, Wolfgang, wir reden doch hoffentlich nicht von jenen, die keine Noten und Vortragsangaben lesen können.
"Der gute Kompromiss ist aus meiner Sicht dann gegeben, wenn ich trotz Hören von guten Aufnahmen die Noten sehr genau lese"
Das, Hartmut, setze ich voraus. Unter der gegenteiligen Voraussetzung, daß man deswegen sich an Aufnahmen orientiert, weil man nun gar kein Handwerkszeug hat, machen alle meine Bemerkungen nicht viel Sinn.
 
CDs darf man nicht anhören, weil Digitalpianos Müll sind, weil man Bach nicht mit Pedal spielen darf, weil die Mondscheinsonate für jeden Anfänger zu schwer ist, weil sich bei klassischer Musik nicht unbebührlich bewegen darf, weil, weil, weil, weil, weil manche einfach nicht begreifen, daß eine These ohne Begründung nichts wert ist. Diese "manche" sollten vielleicht tatsächlich keine CDs hören, denn sie könnten zu dem Schluß kommen, daß ihr Lieblingspianist die einzig gültige Interpretation liefere.
 
"Wie J. Gedan selbstverständlich weiß, ist das, was der Lehrer im Unterricht macht, etwas völlig anderes..."
Aber sicher, Haydnspaß. Ich würde mich auch nie darauf versteigen zu behaupten, daß Unterricht überflüssig sei oder daß das Hören der Spielweisen von guten Pianisten den Unterricht ersetzen könne. Ich verstehe nur das VERBOT des CD-Hörens nicht, das besagt, man solle sich ein Stück erst dann anhören, wenn man eine eigene Vorstellung bereits habe. Das kann doch wirklich nur auf hoher Stufe gelten, wo man so weit fortgeschritten ist, daß es einen Grund gibt, sich von fremden Einflüssen freizuhalten. Es kann doch nicht für jemanden gelten, der erst noch fragen muß, wie er die Anweisungen seines Lehrers verstehen solle.

Okay, auch wenn es vielleicht so scheint, als ob wir uns streiten würden - wir streiten uns ja garnicht :p

Kann mich auch garnicht erinnern, daß jemand von einem CD-Hör-Verbot geredet hätte. Besser finds ich jedoch schon, wenn man erstmal unvorbelastet an ein neues Stück herangeht. Gerade als Anfänger. Woher soll der Lehrer denn wissen, ob der Schüler sein Spiel tatsächlich selbst kreiert hat - oder ob es nur eine billige Kopie ist. Es gibt leider viele Schüler, die eine Art "Mini-Playback-Show" veranstalten (entsprechende Begabung vorausgesetzt) - aber wenn sie auf sich gestellt sind, noch nicht einmal ein einfaches zweistimmiges Lied von den Noten abspielen können. Wann sollen sie das Notenlesen lernen, wenn sie mit ihrer Mogelei immer wieder eine nicht vorhandene Fähigkeit vortäuschen?
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Na, ich bitte dich, Wolfgang, wir reden doch hoffentlich nicht von jenen, die keine Noten und Vortragsangaben lesen können.
Leider rede ich genau von jenen, und von denen gibt es eine ganze Menge. Sie spielen etliche Jahre Klavier, können Noten lesen und kennen auch die Vortragsbezeichnungen, aber sie lesen schlichtweg darüber hinweg. Ihre Referenz ist nicht der Notentext, sondern der Bielefelder Katalog, und leiten lassen sie sich von einem oftmals diffusen Höreindruck. Sie wissen sogar etwas mit Takt und Metrum anzufangen, aber den erforderlichen Rhythmus kann man allenfalls erahnen. Und wenn ich sie auf derartige Dinge aufmerksam mache, bekomme ich zur Antwort: "Glenn Gould spielt das aber auch so." :rolleyes::rolleyes:

@ Guendola und Jörg:
Ich möchte hier nochmals betonen, daß ich weder fundamentalistische Glaubenskriege anzetteln noch Verbotstafeln aufstellen will. Es sollen lediglich Anstöße zum Weiterdenken sein. Die Praxis relativiert sowieso vieles. Und zudem bin der Meinung, daß viele Wege ins gelobte Land der Pianistik führen und es mehr eine einzige seligmachende Lehre und Methodik des Klavierspielens gibt.

In ähnlicher Weise versuche ich auch meinen Schülern immer wieder Alternativen zu vermitteln: nachahmen ja, aber nicht in sklavischer, unreflektierter Imitation, sondern im Austesten der eigenen Möglichkeiten. Und das unterscheidet dann den guten Lehrer von der CD: Die CD vermittelt eine Aura unumstößlicher Wahrheit, die keine Fragen und keinen Widerspruch zuläßt. Der Lehrer hingegen ist in der Lage, Alternativen aufzuzeigen, zu diskutieren und auszutesten.
 
Die CD vermittelt eine Aura unumstößlicher Wahrheit, die keine Fragen und keinen Widerspruch zuläßt.

Das kommt wohl darauf an, wie selbstständig der Hörer schon denkt und mit welchem Selbstbewußtsein er das Denken auch anwenden kann. Aber ich halte den Satz für sehr überspitzt. Die meisten Menschen glauben doch heute fast garnichts mehr, sind aber zu bequem, um Fragen zu stellen und verhalten sich dann trotzdem wie die Schafe. Wenn die Pianisten werden wollen, ist das sowieso ein Widerspruch in sich. Aber genau dieses "Erwachen" sollte ein Lehrer wohl fördern, und eine CD kann das natürlich überhaupt nicht.

Ich glaube, dieses CD-Thema hat eine ziemliche Eigendynamik entwickelt..
 

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