Beinahe ein Jahr nachdem ich diesen Faden erstellt habe, gibt es nach längerer Zeit mal wieder ein Update.
Ist das hier zu unübersichtlich? Dann kann ich das Ganze auch in einen neuen Faden verschieben. Aber ich dachte, mehrere Fäden sind noch unübersichtlicher.
Ich berichte gerne ein wenig von meinem Studium, wobei ich schon merke, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll und was ich erzählen soll und was nicht. Darum schreibe ich einfach mal ein bisschen, und wer irgendetwas wissen möchte, kann gerne fragen.
Das erste Semester ist nun schon vorüber. Ich hatte die Fächer Theory Review, Conducting, Keyboard Improvisation, Improvisation Ensemble, Kammermusik und Klavierunterricht. Der Vergleich mit St. Petersburg und Deutschland ist naheliegend und interessant. Generell kann ich sagen, dass meinem Eindruck nach die Ausbildung in St. Petersburg sehr traditionell / konservativ war und in Würzburg / NYC umfassender, zukunftsorientierter und breiter gefächert. Allerdings war ich in St. Petersburg nur Gaststudentin und hatte in viele Fächer keinen direkten Einblick.
Die Ausbildung an der Mannes School in New York bietet im Master viele Wahl-Pflicht-Möglichkeiten, während man in Würzburg hauptsächlich noch Klavierunterricht hat und ansonsten tut oder nicht tut, was man will. In NYC ist das Studium deutlich verschulter - es gibt mehr Druck bei der Anwesenheitspflicht, mehr Prüfungen, mehr Regeln, mehr Organisation "von oben" (z.B. bei der Kammermusikeinteilung). Mir wurde doch allen Ernstes mal in einem Kurs gesagt, ich solle bitte mein Handy weglegen (gestört hat es nicht). Da ich aber alt genug bin, für mein Handeln Verantwortung zu Übernehmen und etwas sehr Wichtiges sofort nachsehen musste, bin ich einfach rausgegangen - was dann komischerweise kein Problem ist.
Ähnlich geht es mir mit der Benotung. Ich denke, Faulheit kann man mir wirklich nicht nachsagen - dennoch muss ich selbst entscheiden, wie ich meine begrenzte Zeit einteile. Ich bereite mich auf Dinge so vor, wie ich eben die Prioritäten gesetzt habe, und wenn ich nicht jeden Tag eine Stunde für Fach X "ausgeben" möchte, sondern mehr üben möchte, ist das einfach so.
Ich habe trotzdem gesehen, dass ich überall ein A bekommen habe (einmal A-). Aber die Noten spielen dort auch keine so große Rolle, die stehen nicht mal auf dem Zeugnis, und außerdem wird sowieso fast nur A oder B gegeben, obwohl es bis F ("fail") geht.
Ich habe hier nochmal viel in
Theorie dazugelernt - vor allem das englische Vokabular (Preisfrage: Was ist auf Deutsch übersetzt der "Parallel Minor" einer Dur-Tonart?) und einen ordentlichen Vierstimmigen Satz. Die Regeln allerdings sind ja nicht so festgelegt wie in der Mathematik, wobei die Amerikaner es durchaus so hinstellen, dass das eine falsch und das andere richtig ist, und auch Begrifflichkeiten und Systeme zu Analysezwecken verwenden, die ich so noch nie gehört habe. Weiß jemand, was ein "Pivot Chord" ist und wozu man ihn braucht?
Außerdem ist dort die Analyse nach Schenker sehr populär, von der in Deutschland kaum jemand je gehört hat. Ich werde mich damit auch nicht näher befassen müssen zum Glück, kommt mir sehr schräg vor.
Ebenfalls neu und besonders waren für mich die beiden
Improvisationskurse. Der eine war eher eine Geschichte des Jazz und Analyse von Variationszyklen, was nicht unbedingt das war, was ich erwartete, aber dennoch sehr interessant. Den Kurs gab Uri Caine, der anscheinend ziemlich berühmt ist, was ich natürlich nicht wusste. Jedenfalls ist er ein total bescheidener und netter Kerl, hat uns allen eine CD geschenkt und (auf unser Drängen) ein bisschen was von seiner Musik gezeigt, was absolut Klasse ist. Er hat z.B. die Diabelli-Variationen orchestriert und dazu am Klavier improvisiert, oder in einer Art Combo über die Rhapsody in Blue improvisiert. Auch mit den Goldbergvariationen usw. hat er sich befasst.
Ich hielt Jazz, Klassik und Neue Musik immer für drei getrennte Dinge, aber dieser, wie auch der andere Improkurs haben mir gezeigt, dass dem nicht so ist.
Der zweite Improkurs war mit Anthony Coleman (keine Ahnung ob der auch berühmt ist, ist mir egal, jedenfalls war er ein toller Lehrer). Dort haben wir
im Ensemble improvisiert, bzw. improvisationshaltige Kompositionen gespielt. Im Ensemble waren wir (zu Spitzenzeiten): 2x Klavier, Gitarre, Cello, Geige, Klarinette, Sopran (!). Wir spielten Stücke wie "Setz die Segel zur Sonne" von Stockhausen (Anleitung nur in Textform, wie ein Gedicht), A. Luciers "Memory Space" (Man nimmt die Geräusche eines Ortes auf oder schreibt sie auf und spielt sie dann, gleichzeitig, ohne aufeinander zu hören), J. Zorns Hockey (Anleitung in Schriftform, es geht um wiederkehrende Geräusche auf einem Instrument) und einige andere.
Diese Art des Musizierens war für mich völlig unbekannt und neu und auch ganz anders, als mühsam Noten eines Neue Musik-Stückes zu entziffern (denn Noten gab es eher selten). Es macht mir sehr viel Spaß, ich bin nicht aufgeregt, denn richtig und falsch im herkömmlichen Sinne gibt es nicht - obwohl es durchaus gut und schlecht, bzw. vorbereitet / unvorbereitet, erfahren / unerfahren und geprobt / nicht geprobt gibt. Anscheinend improvisiere ich auch nicht so schlecht, denn ich wurde eingeladen, in einem Trio fest mitzuspielen mit Musikern, die sich mit sowas beschäftigen. Besetzung: Klavier, Trompete, Gitarre. Ich bin gespannt! Am Ende des Kurses gab es ein Konzert, das auch gefilmt wurde. Wenn ich den Wust auseinanderklamüsert habe, stelle ich vielleicht mal etwas hier rein.
Mein Klavierunterricht ist spannend und neu. Jerome Rose hält sich weniger mit Details auf als ich das gewohnt bin und sagt generell weniger zu den Stücken. Er beschäftigt sich eher mit dem Gesamtbild und -Eindruck, dem Klangeindruck und überhaupt einfach dem, was am Ende herauskommt. Wie man dahin gelangt, also wie man übt und wie man eine Klaviertechnik entwickelt, kann er einem nicht beibringen, das muss man vorher schon wissen. Auch seine Ansichten über die Klavierszene, Wettbewerbe, das Musizieren und Üben und das Leben an sich finde ich interessant und anspornend. Er ist allerdings schonungslos ehrlich, manchmal ein alter Knurrhahn (besonders bei schüchternen Asiaten, die des Englischen nicht gut mächtig sind und nur so dahinspielen) und man muss sich sein Engagement durch gute Leistung "verdienen". Er weiß schon ganz genau, was für einen Namen er hat, und ebenso, dass ihm nur noch begrenzt Lebenszeit bleibt, die er nicht verschwenden will. Im Grunde ist er ein herzensguter Mensch und beeindruckender Musiker. Motto: "Nobody plays better than they want to". Man soll immer so gut spielen, wie man kann, und sobald man ein Niveau erreicht hat, hat man die Verantwortung, es immer beizubehalten und nie mehr schlechter zu spielen.
So, das war schon ziemlich viel, reicht wohl fürs Erste. Der Rest - Manhattan ist laut, dreckig, eng, teuer und hektisch. Anders ausgedrückt - die Stadt schläft nie, ist voller Leben, aufregend und spannend. Auf meinem Weg zur Uni schaue ich jeden Tag, ob das World Trade Center noch steht und bin froh, dass ich nicht am Times Square aussteigen muss. Ich passe auf, dass mich kein Fahrrad über den Haufen fährt oder ich an einer Straßenecke mit gestressten Fußgängern zusammenstoße. Ich freue mich, wenn die U-Bahn nicht stecken bleibt und die Sonne scheint, was beides meistens, aber nicht immer der Fall ist
An Weihnachten hatte es 21 Grad. Ich bin allerdings bis Ende Januar in Deutschland.
Ich melde mich wieder. Vermutlich im Januar - da werde ich in öffentlichen Medien auf sehr unterschiedliche Weise in Erscheinung treten. Mehr verrate ich erst später.
Schöne Weihnachten an alle! Eure Stilblüte