Bei der gleichchwebenden Stimmung wird ganz einfach die Oktave in 12 identische Halbtonschritte aufgeteilt.
Erstens wollte ich das nicht wissen (auch ist diese Definition sehr unklar und sauber, was heißt den "identisch"??), die exakte Definition lautet, dass das Verhältnis der Frequenzen eines Halbtonsschritts die 12.te Wurzel aus zwei ergibt.
Nur war in meiner Schulzeit (die nun etwas länger her ist) genau das die Definition der wohltemperierten Stimmung. Jetzt sagst Du aber, die wohltemperierte Stimmung wäre irgendetwas anderes und das war meine Frage, die ist die physikalische Definition der wohltemperierten Stimmung, wie sie NICHT die o.g. Defintion ist?
Glaub' mir, als Bratscher ist mir das Thema Intonation nicht ganz fremd. Und ich rede ja auch nicht von unsauber singenden Amateurchören (da ist man in der Tat froh, wenn die Intonation halbwegs erträglich ist), sondern über erstklassige professionelle Ensembles. Und die singen konsonante Mehrklänge automatisch mit reinen charakteristischen Intervallen, weil das nämlich viel einfacher zu hören ist als gleichschwebend. Gleiches gilt für Streichquartette etc.
Bratsche spielen und singen ist immer noch nicht das gleiche. Auch Bratsche spielen läuft im Prinzip auf Grifftechnik hinaus (die natürlich per Gehör kontrolliert wird). Zu singen ist ein ganz anderer Anspruch, es fängt schon damit an, wenn man kein absolutes Gehör besitzt (und das haben nur sehr wenige), dann wird man nicht einfach irgendeinen Ton singen können, ohne dass er vorgegeben wird. Alleine das zeigt schon wo die Grundschwierigkeit liegt.
Die nächste Problematik ist das Treffen von Intervallen, man hat nicht die Möglichkeit (wie in dem Experiment von "Stilblüte") geduldig zu warten und zu hören, wo sich die anderen Stimmen des Chores einpendeln. Dieses Experiment von ihr ist ein relativ typisches Experiment, aber es hilft nicht beim Chorsingen. Da hat niemand die Zeit, irgendeine Harmonie zu hören. In schlechter Akustik (Tonhalle Düsseldorf beispielsweise, absolut grausame Akustik) geht der Ton von den Lippen ins Nirwana - man hört nicht nur sich selbst sehr schlecht, sondern auch die anderen Stimmgruppen. Und dann gibt es selbst innerhalb der Stimmgruppen leichte Tonhöhenschwankungen (Sänger sind keine Sinustongeneratoren). Auch im Chor singt jeder nur "für sich", es ist nicht selbstverständlich, dass ihm die anderen Stimmen (wenn er sie hört) beim Treffen des eigenen Tons helfen. Im Gegenteil, dass kann auch mal schwer werden, im Chor passiert alles was passieren kann, da werden Töne aus Nachbarstimmen übernommen, da wird ein Halbton zu tief gesungen (wenn man ein Stück neu einstudiert und es ist schwer genug, dann passiert das eben). Das geht soweit (gerade bei Avantgardistischem Zeug, das singe ich aber nicht, da fange ich nichts mit an), dass selbst in Spitzenchören (wobei andere Chöre das erst gar nicht hinbekommen) die Sänger mit Stimmgabeln auf der Bühne stehen und sich ab und zu den Ton holen (schon das kann lange nicht jeder Sänger).
Die ganze Anforderung "Singen" ist vollkommen anders, als ein Instrument zu bedienen. Und diese "Spitzenchorleute", ja klingt zum Kotzen, aber ich kann wirklich sehr gut singen, aber ich wüßte nicht, wie ich in einem schnellen Stück (meinetwegen "alles was Odem hat" aus der Motette "Singet dem Herrn") die Coloraturen irgendwie tonal beeinflussen könnte. Dafür sind auch die absoluten Unterschiede in der Tonhöhe viel zu gering. So oder so gehen solche Stücke doch durch sämtliche Tonarten, ganz extrem bei Chorälen von Bach, da gibt es keine Möglichkeit irgendwie anders zu stimmen als wohltemperiert (oder meinetwegend gleichschwebend). Mache mal eine Analyse von "Wenn ich einmal soll scheiden" aus der Matthäuspassion - da geht es so wild durch die Harmonien, das ist selbst für Bach schon außergewöhnlich.
Da ist übrigens ein Digi auch mal hilfreich, gerade weil man da auch andere Stimmungen einstellen kann. Bei manchen Chorälen rollen sich einem die Fussnägel auf, wenn man eine nicht temperierte Stimmung einstellt.
Ein Klavier ist sowieso wohltemperiert/gleichschwebend gestimmt, nach Deiner Logik der "faden Musik" müßten die Stücke von Bach dann auf dem Klavier fade klingen - tun sie aber nicht. Und was ist mit Klavierkonzerten (meinetwegen Prokofieff) - öde? Ist Klavier an sich fade, weil blöd gestimmt?
Jetzt würde mich aber immer noch interessieren, wie denn die präzise Definition der wohltemperierten Stimmung aussieht, wenn es nicht die Definition ist, die ich gelernt haben?! Wobei das letztendlich auch egal ist, ich meine die Stimmung, wie ein Klavier gestimmt ist und die Annahme, dass ein Orchester beispielsweise für die h-moll Messe anders stimmen würde als für die Johannes-Passion, ist in der Praxis nicht nachzuvollziehen. Das wäre mir sicherlich irgendwann einmal irgendwo aufgefallen.
Und als allerletztes stört mich der Begriff "gleichSCHWEBEND" am allermeisten - damit ist sicherlich die "Schwebung" gemeint, aber ich sehe nicht, was das "gleich" bleibt?? Was macht in dieser Stimmung die gleiche Schwebung aus?? Rein physikalisch kann ich das nicht nachvollziehen.