Ich bin mit 45 noch etwas zu jung für den Thread. Ich möchte aber Mut machen für alle Späteinsteiger. Im Februar 2020, also gerade noch vor Corona, habe ich mit Klavierspielen angefangen. In meiner Kindheit habe ich zwar viele Jahre Querflöte gespielt. Aber wer meint, dass ich auch nur eine Note hätte benennen können irrt sich. Dafür ist zu viel Zeit verstrichen. Vor etwa 10 Jahren habe immer mal wieder Stücke von Jervi Hou gehört. Insbesondere "A breathtaking piano piece" hat es mir angetan.
So habe ich als blutiger Anfänger mit 44 angefangen. Im Fachgeschäft hat mich der Pianobauer und Inhaber zum Glück zu einem akustischen Klavier mit Silentfunktion überzeugen können - eigentlich wollte ich als Anfänger ein gutes E-Piano mit schweren Tasten. Es wurde ein günstiges kleines Schimmel 106 mit Silent. Preislich wie ein gutes E-Piano.
Das Wichtigste ist aber meine KL mit über 30 Jahren Erfahrung. Obwohl sie eigentlich Klassik unterrichtet kam ich mit meinen eigenen Ideen daher; also Stücke, die hier im Forum oft herablassend mit TEY (Tiersen, Einaudi, Yiruma) betitelt werden. Aber das stört mich nicht. Was zur Ehrlichkeit dazu gehört: die ersten Monate als Anfänger waren hart. Klar, man will als Erwachsener Fortschritte sehen. Man weiss ganz genau, dass man viel üben "muss". Und bevor man Stücke spielen kann, die einem gefallen, müssen halt erst mal die Grundlagen erarbeitet werden. Das empfand ich als reine Arbeit und Fleissaufgabe. Nach 4 Monaten habe ich dann um's Verrecken Nuvole Bianche von Einaudi spielen wollen können und habe "heimlich" geübt, obwohl ich noch nicht so weit war.
Und hier kommt das Entscheidende: durch die FREUDE an diesem "richtigen" Stück habe ich viel mehr Motivation zum üben gehabt. Ich habe mir das Stück 100erte Male auf Youtube angehört, vorgespielt von Pianisten. Ich kam auch einigermassen gut voran, hatte aber doch anfangs Mühe mit den Händen, da die mit dem Tempo und den Spreizungen noch noch nicht klar kamen. Ich entschied mich also, meiner KL davon zu berichten; dass ich dieses Stück lernen möchte und war eigentlich auf Tadel vorbereitet. Doch statt mir die Motivation zu nehmen hat sie mich 100% unterstützt und hier liegt das Geheimnis des Erfolgs. Ich durfte "endlich" an meinem Stück arbeiten, mit professioneller Unterstützung. Hätte ich es nämlich weiterhin selber geübt hätte ich falsche Fingersätze benutzt. Ich kann die Wichtigkeit der KL nicht hoch genug hängen! Endlich Musik spielen, die ich spielen können will. Ergebnis: eine Stunde üben am Tag war plötzlich ganz easy, manchmal sogar 2-3h, selten weniger als 45 Minuten. Es gibt solche und solche Tage.
Obwohl ich als Kind fast nur klassische Musik gehört hatte so ist das beim Klavier heute anders; ich mag fast nur Modernes (momentan jedenfalls). Dank Youtube finde ich immer neues, ich habe weit über 150 Stücke in den Favoriten. Dann finde ich die Notenblätter dazu und drucke sie aus und bringe sie meiner KL. Sie freut sich immer sehr darüber.
Jetzt nach 1.5 Jahren spiele ich 7 Stücke auswendig. I Giorni, Nuvole Bianche, Le Onde von Einaudi. Natürlich River flows in you von Yiruma. Seconda Navigazione von Roberto Caccapaglia. Watching Lara und La Valse d'Amélie von Yann Tiersen. Aktuell gerade Jervi Hou A Breathtaking Piano Piece. Weitere 10 Stücke kann ich nach Noten. Ich suche auch Klassisches, kann mich aber bisher nur mit Bach und Händel anfreunden.
Ich bin immer noch ein schlechter Notenleser und die Musiktheorie interessiert mich nicht die Bohne, das geht beim einen Ohr rein, beim anderen raus. Mir geht es um die Freude und die Seele, wenn man so will. Ich spiele, weil ich das Klavier und das Stück liebe. Ich wiederhole sie auch regelmässig und werde besser. Le Onde klingt nach wie vor nicht so, wie es sollte. Auch wenn ich mir Mühe mit dem Notenlesen gebe, ich kann es leider immer zu rasch auswendig (ohne es aktiv zu wollen!) und schaue dann nicht mehr auf die Noten. Das hat Vor- und Nachteile. Meine Mutter und meine Schwester spielen viele Jahre Klavier, können aber nur mit Noten spielen. Bei mir ist es genau umgekehrt.
Mir ist es wichtiger, das Stück zu fühlen als es zu lesen. Lesen und spielen zusammen finde ich immer noch unfassbar schwer.
Lasst euch also nie entmutigen und findet eine/n KL, der/die euch unterstützt und spielt, was IHR wollt. Je älter man wird, umso weniger Zwang will man. Disziplin ist aber immer auch hier ein Grundsatz: ohne Fleiss geht nunmal nichts. Aber: die Belohnung ist es locker wert. Wenn ich ein neues Stück entdecke kommen schöne Gefühle hoch. Schöne Musik muss nicht immer hochkomplex sein.
Das Musikgehör wird durch das regelmässige Spielen besser und nun muss ein grösseres Klavier her, besser ein Flügel. Als Anfänger war ein kleines Silent Klavier noch ok. Aber gut Pianissimo spielen geht leider nicht. Plus der Bass ist mir zu dünn geworden. Gerade jetzt, wo bei der KL ein neues Yamaha steht. Da macht mein kleines zuhause nicht mehr soviel Spass.
Die Entwicklung geht weiter. Musik ist einfach wunderbar und das Klavier das tollste Instrument der Welt.