Nach grauenhaften Auftritt weitermachen?

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Maingold

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17. Jan. 2021
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Ich habe heute Abend die Chopin-Etüde op. 10 Nr. 1 vor mehreren hundert Leuten vorgespielt und ich breche fast zusammen, wenn ich mir anhöre und analysiere, wie ich gespielt habe (Aufnahme existiert).

Ich habe mich weder an die vorher einstudierte Agogik, Dynamik und Pedalbenutzung gehalten, das Vorspiel bestand (!) fast aus technischen Fehlern und Abbrüchen. Und warum? Ich war derart nervös, dass meine Hände richtig heftig gezittert haben und ich mich nicht konzentrieren konnte. Es war so unnötig. Dabei hat es bei der Probe vorher ganz passabel geklappt. Ich verstehe es gerade einfach noch nicht, mentale Unterstützung per se ist aber nicht der Grund, weshalb ich schreibe.

Ich habe am Samstag ein weiteres Vorspiel. Geplant mit derselben Etüde. Was mache ich? Was mache ich, wenn ich wieder wie verrückt am ganzen Körper anfange zu zittern und ein Blackout bekomme? Krystian Zimerman sagt ja, man solle sich klarmachen, wie schön es sei, dass so viele Menschen gekommen sind, um einem zuzuschauen, wenn man Lampenfieber hat. Das bringt bei mir aber nichts. Der Puls ist wie unverändert bei 120. Soll ich ein anderes Werk wählen (sonst evtl. op. 10 Nr. 3). Nachdem ich so unendlich viel Zeit darin investiert habe? Was soll ich den Musiklehrern sagen, die mich heute hören mussten (war ein Schulkonzert)? Soll ich sie um Rat fragen oder mich entschuldigen, um mich besser zu fühlen (ich bin nämlich am Ende)?

Zugegeben, ich habe keinen Lehrer derzeit. Und es ist 1 Jahr her, dass ich zum letzten Mal was vorgespielt hab. Und es ist ein bekanntes Problem, dass ich anfange zu zittern. Nur war es da nicht so extrem bzw. eben nicht so rausgestochen (war Chopins Impromptu op. 29). Soll ich mir einen Lehrer suchen nach meinem Umzug, der mir z. B. zeigt, wann ein Stück konzertreif ist? Die Frage ist eigentlich überflüssig, ich kümmere mich morgen drum. Ich hoffe eine Chance nutzen zu können, die dieser Krise nun entsprungen ist und bitte dafür das Forum um Rat, wenn es ihn gibt
 
Du erntest hier nur, was Du selber gesät hast!

Du "investierst unendlich viel Zeit" in ein kurzes, aber sehr schwieriges Musikstück (eine der schwierigsten Chopin-Etüden), das zudem keinerlei "Erholungsphasen" bietet und außer "schaut mal was, ich kann!" zunächst mal keinen emotionalen Content bietet, auf den man sich fokussieren könnte. Ohne Lehrer oder andere Begleitperson.

Und mit Sicherheit hast Du es nicht mal zu Hause geschafft, das Stück ohne vorheriges längeres Einspielen zuverlässig locker abzuliefern, sondern auch da war es immer "auf Kante genäht". Du hättest mit Sicherheit auch zu Hause keine brauchbare Aufnahme hingekriegt.

Und dann erwartest Du, dass Du beim Vorspiel, das also mit übergroßen und sogar überzogenen Erwartungen aufgeladen ist ("jetzt zeige ich allen, vielleicht auch der süßen Lea aus der 12., was für ein Klavierhecht ich bin") locker bleibst?
In welchem Wolkenkuckucksheim lebst Du?

Lass Dir das Erlebnis einfach eine Lehre sein und lerne, realistischer zu werden.

Und spiel, goddamn, mal was anderes als Chopin (oder Chopin-Ähnliches, Skrjabin oder Rachmaninow gildet also nicht)!
 

Ja, ich denke, das solltest Du. Denn Du fürchtest Dich vor einer Wiederholung des von Dir so erlebten Desasters. Es käme vermutlich zur sich selbsterfüllenden Prophezeiung.

Soll ich sie um Rat fragen oder mich entschuldigen

Man kann sich nicht selber entschuldigen, aber darum bitten. Verzeihen können nur andere.

Ich würde weder das eine noch das andere machen, wir sind doch keine Maschinen. Ob jemand einem helfen kann, die Körperchemie zu besänftigen, wage ich zu bezweifeln. Aber Du könntest darüber reden, wie Du Dein Vorspiel erlebt hast. Haben Dein Zuhörer es auch so schlimm wahrgenommen wie Du?
 
Dabei hat es bei der Probe vorher ganz passabel geklappt.
Passabel heißt nicht, dass etwas ausgereift ist. Passabel heißt nicht, dass man etwas kann. Passabel heißt, dass es zuviele Fehler gibt. Mit etwas, was man nur passabel kann, tritt man nicht vor ein Publikum. Das weißt Du doch vorher - Scheitern mit Ansage.

Selber schuld.

CW
 
Habe eben mal in Deine Aufnahme des Chopin-Impromptus reingehört.

Und die bestätigt eine Vermutung, die ich sofort hatte: Du bist offenbar jemand, der sich primär damit beschäftigt, anspruchsvolle Tonfolgen "technisch hinzukriegen". Musikalisch-emotional etwas auszusagen und rüberzubringen hingegen ist für Dich anscheinend sekundär.

Das solltest Du dringend grundsätzlich ändern. Niemand (außer ein paar männlichen halbgebildeten Nerds) will Musik hören, die emotional nichts sagt und bloß zeigt "guck mal, was ich hinkriege".

"Finger-Etüden" sind etwas für zu Hause, nicht für die Bühne.
 
Sich real oder gefühlt zu blamieren und daraus zu lernen bzw. daran zu wachsen ist eine Erfahrung, die fast alle machen und die dazu gehört. Kein Grund alles in Frage zu stellen.

Deine Erwartungen sind auch immer ein Faktor. Wenn es vorher passabel klappt ist es unrealistisch im Konzert wie durch ein Wunder makellos abzuliefern.

Die Vorspiel-Performance ist nie so gut, wie der beste Probedurchlauf. Wenn Du mit dem Stück zu hoch gegriffen hast, lerne daraus für die Zukunft.

Die zweite Aufführung canceln? Kannst nur Du entscheiden... Es geht ja wahrscheinlich um nichts außer um die Ehre.

In der Aufregung startet man oft zu schnell und kommt dann nicht hinterher. Steck Dir ein Metronom in die Tasche und checke unmittelbar vorher nochmal das Tempo. Ja, am Instrument und vor Publikum, nicht vor dem Einlaufen. Ist ein bisschen uncool, aber noch uncooler ist es zu versemmeln wegen zu schnell. Vielleicht noch Atemübungen gegen das Zittern...

Das wird... :coolguy:
 
Und dann erwartest Du, dass Du beim Vorspiel, das also mit übergroßen und sogar überzogenen Erwartungen aufgeladen ist ("jetzt zeige ich allen, vielleicht auch der süßen Lea aus der 12., was für ein Klavierhecht ich bin") locker bleibst?
In welchem Wolkenkuckucksheim lebst Du?

Genau! So authentisch kann man das nur berichten, wenn man es selbst erlebt hat :egelTeufel:

Meine Lea hieß Ann-Kathrin...
 
Eigentlich gilt doch für ein (Amateur)Vorspiel:
- bei der Auswahl der Stücke nicht ganz bis an die eigene obere Grenze zu gehen
- das Stück muß mindestens einen Monat vorher absolut sattelfest sitzen (nicht gerade mal so, weil ja noch einen Monat Zeit ist)

Und insgesamt rächt sich vielleicht das "ohne Lehrer". Auch wenn wenig Zeit bleibt (Abi und Co) - man kann in größeren Abständen mal eine Stunde Unterricht nehmen und kostbare Anmerkungen bekommen. Abgesehen davon, daß auch die gedankliche Unterstützung eines Lehrers helfen kann, das fehlende Quentchen Sicherheit zu geben.

Wie man das Zittern und die allzugroße Aufregung abstellen kann - vielleicht über die Atmung. Das Thema bearbeite ich gerade selber. ;-)
 
Auch Betablocker können gegen allzu große Aufregung helfen. Hab ich selbst zwar noch nicht probiert, wird aber in der Fachliteratur empfohlen (z.B. von Gerhard Mantel).
 

In absoluten Ausnahmefällen - wichtiger Wettbewerb, großes Debüt, Probespiel - vielleicht. Aber für Hobbymusiker?
Hier muss ich dir mal ausnahmsweise widersprechen, geschätzter Mick. Ich würde niemals Betablocker in einem Ausnahmefall nehmen, denn dann weiß man nicht, wie man reagiert. Gut möglich, dass man absolut langweilig und flach spielt, ohne es zu merken (!) - von so einem Fall wurde mir mal berichtet. Außerdem kann es sein, dass zwar die körperlichen Symptome nachlassen, der Kopf aber weiter nervös ist, was u.U. sehr unangenehm wird. Also wenn Betablocker, dann mit vorherigem Test. Besser, viel besser ist, man lässt die Finger davon.

Und zu dir lieber maingold: Für mich persönlich wäre op. 10,1 die schwierigste aller Chopin-Etüden. Das liegt nicht nur an meiner Handgröße - sicher gibt es Männer mit ähnlich großen bzw. kleinen Händen, die sie spielen (und Frauen natürlich auch). Sie ist einfach verdammt hakelig und eklig. Glückwunsch, dass du sie überhaupt gelernt hast.
Du bist vermutlich gerade ziemlich motiviert mit dem Klavierspielen (abgesehen von deinem versemmelten Vorspiel), das kannst du nutzen, denn das ist nicht immer so! Dafür brauchst du aber ohne Zweifel einen guten Lehrer.

Verhauene Vorspiele kennen alle, die jemals vorspielen. Das ist unangenehm, macht aber im Prinzip nichts. Dein nächstes Vorspiel - hm. Da wir dich nicht wirklich kennen, ist es schwierig, etwas zu raten. Vermutlich fehlen dir wichtige Sicherheitsmechanismen und Übefähigkeiten, die so ein Vorspiel gelingen lassen. Darum wäre es vielleicht klüger, sich damit erst zu befassen, bevor du wieder solche Kracher auf der Bühne spielst. Also bin ich auch Team-op.10,3. Viel Erfolg!
 
Hier muss ich dir mal ausnahmsweise widersprechen, geschätzter Mick. Ich würde niemals Betablocker in einem Ausnahmefall nehmen, denn dann weiß man nicht, wie man reagiert. Gut möglich, dass man absolut langweilig und flach spielt, ohne es zu merken (!) - von so einem Fall wurde mir mal berichtet. Außerdem kann es sein, dass zwar die körperlichen Symptome nachlassen, der Kopf aber weiter nervös ist, was u.U. sehr unangenehm wird. Also wenn Betablocker, dann mit vorherigem Test. Besser, viel besser ist, man lässt die Finger davon.

Und zu dir lieber maingold: Für mich persönlich wäre op. 10,1 die schwierigste aller Chopin-Etüden. Das liegt nicht nur an meiner Handgröße - sicher gibt es Männer mit ähnlich großen bzw. kleinen Händen, die sie spielen (und Frauen natürlich auch). Sie ist einfach verdammt hakelig und eklig. Glückwunsch, dass du sie überhaupt gelernt hast.
Du bist vermutlich gerade ziemlich motiviert mit dem Klavierspielen (abgesehen von deinem versemmelten Vorspiel), das kannst du nutzen, denn das ist nicht immer so! Dafür brauchst du aber ohne Zweifel einen guten Lehrer.

Verhauene Vorspiele kennen alle, die jemals vorspielen. Das ist unangenehm, macht aber im Prinzip nichts. Dein nächstes Vorspiel - hm. Da wir dich nicht wirklich kennen, ist es schwierig, etwas zu raten. Vermutlich fehlen dir wichtige Sicherheitsmechanismen und Übefähigkeiten, die so ein Vorspiel gelingen lassen. Darum wäre es vielleicht klüger, sich damit erst zu befassen, bevor du wieder solche Kracher auf der Bühne spielst. Also bin ich auch Team-op.10,3. Viel Erfolg!
Ich habe damals nie Betablocker genommen, aber meine Hausärztin hat mir welche vor der Aufnahmeprüfung verschrieben, denn ich war immer mega-aufgeregt.

Ich sollte vorher 1 Tablette nehmen.

Habe dann gedacht "ich nehm mal sicherheitshalber 3 Stück", und die Aufnahmeprüfung hat bestens geklappt :-D

(Nein, das ist keine Nachahmungsempfehlung! Und ich habe seitdem nie wieder Betablocker genommen. )
 
Hier muss ich dir mal ausnahmsweise widersprechen, geschätzter Mick. Ich würde niemals Betablocker in einem Ausnahmefall nehmen, denn dann weiß man nicht, wie man reagiert. Gut möglich, dass man absolut langweilig und flach spielt, ohne es zu merken (!) - von so einem Fall wurde mir mal berichtet. Außerdem kann es sein, dass zwar die körperlichen Symptome nachlassen, der Kopf aber weiter nervös ist, was u.U. sehr unangenehm wird. Also wenn Betablocker, dann mit vorherigem Test. Besser, viel besser ist, man lässt die Finger davon.
Da bin ich absolut d'accord. Mir ging es nur darum, dass so etwas für Profis in Ausnahmefällen (natürlich mit vorhergehendem Test) diskutabel ist, für Amateure aber unter keinen Umständen.
 
Lieber Maingold,

ergänzend zu den guten Beiträgen hier:

die Etüde als erstes Stück zu spielen, ist wirklich Harakiri. Wenn du sie am Samstag spielen willst, dann erst als zweites Stück! Vorher also etwas anderes, leichteres spielen!

Übrigens kann deine Wahrnehmung deines Spiels eine ganz andere sein als die des Publikums, das dir zugehört hat. Das bei einem Schulkonzert normalerweise im Hören nicht geübte Publikum fand es vielleicht trotzdem gut und hat viele Fehler gar nicht gehört. Ist schon öfters vorgekommen. :D

Viel Erfolg am Samstag!

chiarina
 

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