Chris, da habe ich noch was für dich,
Kritik:
Lang Lang, Konzert im Wiener Musikvereinssaal, 28.2.2010, Rundfunkübertragung Ö1, 12. März 2010, 19.30
Programm: Beethoven –Sonaten op. 2 Nr. 3 u. op. 57 („Appassionata“), Albeniz „Iberia“ Heft 1 (Evocation, El Puerto, Fete Dieu a Seville), Prokofieff 7. Sonate. Zugaben: Copin Etüde op. 25 Nr. 1, Polonaise Nr. 6 und Walzer op. 34/1.
Mit nunmehr 28 Jahren dabei, den musikalischen Lehr- und Wanderjahren zu entwachsen, erwartet man auch vom Medienstar Lang Lang ein reifes Konzertprogramm, dass nicht nur mit Virtuosenliteratur zu glänzen versucht, sondern sich an die monumentalen Klassiker wagt, zumal als Ort des Auftritts der ehrwürdige Musikvereinssaal der geheimen musikalischen Hauptstadt der Welt – Wien – gewählt ist. Dieser Erwartung scheint Lang Lang auch entsprechen zu wollen: Zu Beginn stehen zwei Klassiker: Die frühe Beethoven-Klaviersonate op. 2 Nr. 3, die sowohl Virtuosität als auch klassische Reife erfordert. Bereits hier ist die Meßlatte für Lang Lang unglaublich hoch, hat doch der mit 21 Jahren noch 7 Jahre jüngere Arturo Benedetti Michelangeli mit seiner Mailänder Aufnahme aus dem Kriegsjahr 1941 (EMI-Italiana) Maßstäbe gesetzt was schier unglaubliche virtuose Perfektion und frühreifen, traumwandlerischen Sinn für Klassizität angeht. Zu dieser Zeit war ABM nicht von ungefähr – seit seinem 18 Lebensjahr – bereits Professor! Das zweite Werk auf dem Programm, Beethovens Sonate op. 57, die „Appasionata“, gehört zu den meistgespielten Werken, mit dem bedeutende Interpreten immer wieder den Beweis ihres Könnens abgeben. Ob Lang Lang dieses klassische Programm zu bewältigen vermag? Von vornherein war ich sehr skeptisch. Das rührte nicht zuletzt von einem Film her, der Lang Lang in der Beethoven-Meisterklasse von Daniel Barenboim zeigt, wo sich Star Lang Lang Belehrungen in Sachen „Appassionata“ gefallen lassen muss, die ihn doch ziemlich „grün“ hinter den Ohren zeigten: Da wirkte der junge Chinese wie ein Konservatoriumsschüler vor Erlangung der Konzertreife. Und meine Befürchtungen werden leider mehr als bestätigt. Für Beethoven fehlt Lang Lang schlicht jeglicher musikalische Sachverstand. Er verfügt weder über Formgefühl, weder über Sinn für klassische Periodik und ihre Phrasierung, weder hat er Sinn für musikalische Entwicklungen, noch die Fähigkeit, sich in die „Empfindsamkeit“ Beethovens einzufühlen. Lang Lang macht schlicht zu jeder Zeit die falschen Dinge. Es gibt jede Menge unsinnige Betonungen, zum wiederholten Mal ein klobiges Forte, dass sich nicht in den Kontext einfügt, statt atmender Phrasierung, metrischer und rhythmischer Stabilität willkürliche Dehnungen und Stauchungen, so dass der musikalische Fluß versiegt und Musik in eine Folge von lauter unzusammenhängenden Einzelereignisse zerfällt. Bezeichnend in der Sonate op. 2 Nr. 3 der unsinnig lang gehaltene Triller im Finale bar jeglichen musikalischen Zeitgefühls. Und so etwas wie musikalische Konsequenz ist Lang Lang fremd. Warum bleibt er im virtuosen Mittelteil des Scherzo, der das Trio vertritt, nicht bei seiner Linie, mit der er beginnt? Die Klassiker eignen sich nicht dazu, sich interessant zu machen. Was gesagt wird, ist in gewissem Sinne einmalig und endgültig, ein „Eidos“ im griechischen Sinne, ein unveränderlicher Wesensanblick. Auch klaviertechnisch ist das alles andere als perfekt, was der Virtuose Lang Lang hier abliefert. Hier überhaupt Vergleiche zu ABMs mirakulöser Aufnahme anstellen zu wollen, wäre vermessen. Der langsame Satz hat keinerlei Ausstrahlung: Da gibt es weder so etwas wie Innerlichkeit noch Dramatik. Statt dessen verzärtelnde Klangsäuseleien und ein Auf-der-Stelle-Treten der Musik, wo so etwas wie Drang und Leidenschaft zu verspüren sein sollte – gerade in diesem Satz sind die Bezüge zur Oper eigentlich mit Händen zu greifen. Und die Appassionata? Wie konturlos und unorganisiert das Seitenthema auftritt – das ist kaum zu glauben. Der Variationssatz ist als ein solcher kaum zu erkennen, keine organische Entwicklung! Im Finale ist Lang Lang um virtuosen Effekt bemüht mit deutlich vernehmbaren pianistischen Schwächen – Lautstärke statt Präzision. Die Coda im Tempo angezogen und überdreht, keine organische Tempodramaturgie.
Wer nun darauf hofft, dass Lang Lang beim Klassiker des spanischen Impressionismus, Isaac Albeniz´ klaviertechnisch wie musikalisch höchst anspruchsvoller Iberia-Suite, endlich zu sich selbst finden würde, der wird doch herb enttäuscht. Schon „Evocation“ mit Lang Langs manierierter, übertreibender Phrasierung verunstaltet lässt jeden Sinn für das Idiomatische dieser Musik, das spanische Couleur, vermissen. Wieder versucht Lang Lang mit einer Mischung aus Sich-Interessantmachen und Klangsäuselei durchzukommen. Bei dem vom Rhythmus lebenden so lebensfrohen Stück El Puerto, welchen Lang Lang so befremdlich verfremdet, kann man ihm nur raten, eine mehrwöchige Reise durch die iberische Halbinsel zu unternehmen und immer wieder Flamenco zu hören. Albeniz portraitiert anschließend Sevilla mit einer Prozessionsszene und einem dort allbekannten Choral. Da ist es erforderlich einmal den hymnischen Tonfall treffen und der Marsch braucht einen festen und feierlichen Schritt. Zudem hat dieses Stück wie kein anderes Lisztsche Grandezza. Ein Daniel Barenboim, der im übrigen eine alles andere als ideale Aufnahme der ersten beiden Hefte von Iberia hinterlassen hat, vermag es hier, Lisztsche Dämonie spüren zu lassen. Bei Lang Lang ist das belangloses Klavier-„Spiel“. Dieses Stück gehört zu den technisch anspruchsvollsten des immens schwierigen Iberia Zyklus (die Notenfülle erschlägt den Interpreten förmlich und findet nur auf drei (!) Notenzeilen Platz!). Besonders vertrackt ist eine polyphone Passage, wo Albeniz die Musik gleichsam mehrfach übereinanderblendet. Lang Lang wurschtelt sich dermaßen stümperhaft durch diesen Abschnitt, dass ich laut lachen musste! Da kann man nur sagen: Schleunigst vergessen und Alicia de Larrocha hören!
Ein junger Musiker sollte doch wenigsten Prokofieffs 7. Sonate mit ihren Maschinenrhythmen bewältigen können. Aber auch da wird man von Lang Lang eines Besseren bzw. Schlechteren belehrt. Schon der Auftakt des Kopfsatzes ist dermaßen klobig und unpassend, dass man es kaum fassen kann. Die motorische Bewegung bei Lang lang rollt nicht an, er fällt mit der Tür ins Haus. Natürlich, so etwas wie musikalische Entwicklung ist damit im Keim erstickt. Kopfschütteln erzeugt sein – man kann es nicht anders sagen – stümperhafter Vortrag des Seitenthemas. Die Ratlosigkeit des Interpreten ist hier mit Händen zu greifen. Die versucht er überspielen mit dermaßen schwachsinnigen Phrasierungen und Akzentuierungen, womit er sich einmal mehr interessant zu machen versucht. Das erinnert an die ebenso musikalisch unsinnigen Manierismen eines Ivo Pogorelich. Von messerscharfer rhythmischer Präzision ist Lang Lang zudem weit entfernt. Der langsame Satz zeigt Lang Langs Unfähigkeit, sich in die russische Gefühlswelt einzufühlen. Jedem Interpreten müsste es eigentlich deutlich werden, dass sich Prokofieff hier mit Alexander Scriabin auseinandersetzt. Der lyrische Satz endet dämonisch in einer Apotheose, einem makabren Marsch, der an Scriabins 9. Klaviersonate erinnert. Und das Finale? Das sind die mechanisch stampfenden Rhythmen des Maschinenzeitalters, eine „objektive“, „tote“ Dynamik ohne lebendige Subjektivität. Es ist unfassbar: Auch das versteht Lang Lang einfach nicht und macht daraus eine musikalische Oper! Grauenvoll! Seine klaviertechnischen Schwächen überspielt er mit der Lautstärke – in der Schlußapotheose versinken die Rhythmen einfach im Pedalnebel! Unfassbar schlecht! Das Publikum aber grölt begeistert - auch in Wien ist Musik offenbar zum Zirkusereignis geworden.
Diesen misslungenen Abend runden Zugaben von Chopin ab. Der polnische Meister hat schließlich 200. Geburtstag. Lang Lang beginnt mit einer klaviertechnisch schlampig und geschmacklos vorgetragenen Etüde op. 25 Nr. 10. Da wird im Stile von Rachmaninow oktaviert und quasi paraphrasiert. Ausgerechnet bei dieser so schlichten Etüde mit ihren sanften Harfenklängen, die den Auftakt des zweiten Zyklus bildet! Die Polonaise Nr. 6 gehört zu den beliebtesten Vortragsstücken – von Rubinstein und Horowitz war sie bei ihren Moskauer Konzerten zu hören. Lang Lang ist von deren Niveau himmelweit entfernt: Das ist musikalischer Zirkus, der an Geschmacklosigkeit nicht mehr zu überbieten ist. Den Abschluß bildet der virtuose Walzer op. 34 Nr. 1 – auch Rubinstein wählte ihn als Zugabe in seinem Moskauer Konzert von 1961. Da kann man nur sagen: Bitteschön Rubinstein hören! Bei Lang Lang gerät dies nicht nur zum Salonstück, das ist einfach infantil, albern lustig. Eine musikalische Peinlichkeit, welche die Peinlichkeit des ganzen Konzertabends noch einmal vor Augen führt.
Man kann nur hoffen, dass Langs Langs Plattenfirma nicht auf die gefährliche, weil kaufmännisch verlockende Idee kommt, dies auf CD oder DVD gewinnbringend zu vermarkten. Denn dann würde jeder wissen, dass sich Lang Lang als seriöser Interpret aus der Musikwelt verabschiedet hat und fortan als Zirkusartist in Fernsehshows wie „Wetten dass...“ wahrlich besser aufgehoben ist! In dieser „Form“ ist der „Star“ Lang Lang eine Beleidigung für die Musikwelt
lieber Chris, ist dieser Kritiker deiner Meinung nach eine hohe Kapazität oder nicht ?