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Es ist unglaublich, was ich als Klavierlehrer schon alles erlebt habe. Ich möchte hier einfach mal schildern, was mir bei meiner Tätigkeit schon widerfahren ist und herausfinden, ob das auch schon andere Klavierlehrer in dieser oder ähnlicher Form erlebt haben und was man da am besten tun kann (es handelt sich freilich nur um eine kleine Auswahl). Auch geht es darum, etwas Frust abzubauen. :roll:
Natürlich gibt es merkwürdige Situationen, hatte ich auch schon einige zB als ich die kleine Magdalena (6) zu Hause unterrichtete und die Frau Mama 2 Minuten vor Ende der Stunde mit den Worten entschwand: "ich hole kurz Johannes vom Kindergarten ab, wären sie so lieb die Kartoffeln runter zu schalten wenn sie kochen und so lange auf Magdalene auf zu passen bis ich wieder da bin!?!!" Hihi, da stand ich dann völlig überfordert vor einem HiTech-Herd ohne irgend welche Bedienelemente, die Kartoffeln und bei mir zu Hause würde jetzt eigentlich gleich die Stunde mit Anna-Helene (6) beginnen, die nach der Schule zu mir kam... diese Stunde musste also ausfallen, weil die Kindergärtnerin erst mit der Mutter von Johannes klären musste, warum Johannes dem Oskar eins über die Rübe gezogen hat. Zum Glück wusste Magdalena, wo der Sicherungskasten des Hauses war und da stand auch dran: Sicherung Küche. Es gab mehrere und ich habe eine nach der anderen raus gehauen, bis der Herd Ruhe gab. Die Gefriertruhe würde wohl mal 10 Minuten ohne Strom auskommen. Hihi. Ich konnte doch nicht Magdalena alleine mit kochenden Kartoffeln in der Wohnung lassen... als die Frau Mama erfuhr, was ich gemacht hatte, war sofort meine Kündigung klar (hätte ich auch von mir aus angeregt). Manche verwechseln eine Klavierlehrerin offensichtlich mit Dienstpersonal, welches Betreuung auf gehobenerem Niveau bietet. Schafft man allerdings nicht, die unteren Level zu bedienen ist das ein Kündigungsgrund!! Nun ja, ich war jung (25) und fragte mich, ob so eine Situation (Klavier lehren plus kochen) auch einem männlichen Kollegen abgefordert worden wäre...
Hat man es je mit erwachsenen Menschen zu tun? Ich bin mir da manchmal nicht so sicher. Ich retardiere auch sofort wenn ich von einem Polizisten angehalten werde: Allegmeine Verkehrskontrolle, Ihren Führerschein bitte! Sofort überlege ich, ob ich alles "richtig" gemacht habe, fange an zu lächeln um meine Nervosität zu überspielen usw... aber abgesehen davon: man KANN mit Gel-Nägeln spielen. Man darf die Finger nicht ganz so rund machen sondern in etwa so, wie blinde Pianisten ihre Finger bewegen. Außerdem ist es nicht meine Angelegenheit! Man kann es ansprechen, aber die Entscheidung liegt beim Kunden....
- Immer wieder begegnen mir erwachsene Schülerinnen, die offenbar das Gefühl haben, man könne mit künstlichen Fingernägeln (um nicht zu sagen: Mörder-Klauen) ernsthaft Klavier spielen. Man braucht wohl nicht extra zu erwähnen, was die für eine Knick-Fingerhaltung haben. Wenn man weiss, was solche Gelnägel kosten ist es aber gar nicht so leicht einfach zu fordern, dass die weg müssen. Schliesslich hat man es ja mit erwachsenen Menschen zu tun...
Ich habe ebenfalls mein Kind als Säugling mit in den Unterricht genommen und mit ihm unterrichtet. Das ging ganz ok. Meistens. Kam es zu größeren Störungen, so habe ich die Stunde verlängert oder nachgeholt. Wenn die Kundin das praktiziert nehme ich ihr manchmal das Kind ab damit sie spielen kann. Das ist kein Problem. Es handelt sich um ein bestimmtes Zeitfenster, in dem ich für meine Leistungen bezahlt werde. Solange man mich zeitlich nicht vergewaltigt (s.o. mein Koch-Beispiel) und ich klar machen kann, dass ich bestimmte Dinge nicht KANN (zB kochen), so ist mir das egal. Ich kann das eben mit Hintergrundgeräuschen, Telefonklingeln, Geschrei, Kind auf den Knien. Aber: wer das nicht kann, weil die Nerven blank sind, der muss das nicht tun. Wenn die erwachsenen Schüler 15 Minuten telefonieren wollen, spiele ich derweil Klavier oder stöbere in den Noten.- Eine Schülerin hatte ihr schreiendes Kleinkind in der Wohnung. Da ihr Ehemann, der ebenfalls zugegen, aber mit seiner Arbeit beschäftigt war und keine Zeit hatte, sich mit dem Kind abzugeben, lief dieses frei herum, kam von Zeit zu Zeit dann auch zum Klavier und drückte Tasten herunter. Die Schülerin nahm das Kind - wohlgemerkt während des Unterrichts - dann auf ihre Knie und spielte so weiter.
- Bei derselben Schülerin hat während einer Lektion das Telefon - ohne zu Übertreiben - mindestens vier mal geklingelt. Die ersten drei male hat sie dann gesagt, dass sie später zurückrufe, der vierte Anruf allerdings dauerte eine glatte Viertelstunde, die ich neben dem Klavier sitzend wartend verbringen durfte.
Hihi, solche Anfragen kenne ich. Erst einmal ist es die Angelegenheit der Schüler (erwachsene) wie viel sie üben möchten oder können. Aber gar kein Instrument zu haben zeigt eine völlige Unwissenheit und Naivität. Um meinen Ruf nicht zu gefährden und um nach meinen Wertvorstellungen zu handeln rate ich dann ab. Fordern, "mehr" zu üben geht schlecht. Wenn geübt wird, dann ist es gut wie es ist.- Ich habe die Erfahrung gemacht, dass berufstätige Erwachsene, "die sich mit Klavierstunden einen Kindheitstraum erfüllen möchten", wenig bis gar nie üben, weil sie schlicht keine Zeit haben. Die glauben dann ernsthaft, dass es genüge, einmal pro Woche eine Stunde zu haben. Ist es denn so abwegig zu wissen, dass man Klavier üben muss und es ohne halt nicht geht? Ich sehe ja ein, dass berufstätige Erwachsene wenig Zeit haben, aber eine halbe (oder eine Viertel-) Stunde täglich muss man dann doch ohne das Ziel Berufsmusiker erwarten können? Man glaubt es nicht, aber ich hatte bereits einige Anfragen von interessierten Personen, die selbst gar kein Klavier hatten und dachten, die eine Stunde wöchentlich (oder gar zweiwöchentlich) würde genügen...
Also, zu meiner eigenen Verwunderung praktiziere ich genau DAS mit einigen SchülerInnen, auch in der Pubertät. Meist in Absprache mit den Eltern, die froh sind, dass die Kinder in der Zeit des Unterrichtes irgend etwas tun, was kein Blödsinn ist (wie zB Drogen nehmen) und: die Jugendlichen bzw Erwachsenen beziehen aus diesem Können eine gewisse Freude. Warum sollte ich ihnen diese Freude verweigern?!?! Vielleicht ist das ja der Keim, aus dem wirkliches Interesse entsteht, was schon vorgekommen ist. Es ist so eine Art Suzuki-Methode für Spät-Beginners. Wieso sollten nicht auch ältere Biomaschinen diese Art des Lernens bevorzugen? Es ist nicht einzusehen, dass man ihnen das verweigert, nur weil man selbst meint, dass zuerst das Spiel nach Noten erlernt werden müsste. Doch auch hier gilt: wenn diese Methode die Lehrkraft emotional und mental überfordert geht das eben nicht. Doch frage ich mich, wieso eine Lehrkraft dermaßen Widerstände entwickelt ihren Lehrauftrag zu erfüllen ...- Eine Schülerin hat konstant von mir erwartet, dass ich die Stücke, die wir zusammen angschaut haben, vorspiele, sodass sie sie aufnehmen konnte. Immer wieder habe ich ihr gesagt, dass blosses Nachspielen eine schlechte Idee sie dann immer nur Stücke werde spielen können, die ihr bereits jemand vorgespielt hat. Hat aber nichts genützt...
Jeder Jeck lernt anders. Ich würde auch denken, dass man auf eine bestimmte Art und Weise "besser" Noten lernt. Doch ich bin immer wieder erstaunt, wie viele verschiedene Methoden es gibt. Ich empfehle zB bei besonders notenlernresistenten SchülerInnen eine Tabelle bereit zu halten mit Notennamen! Woher sollten die das sonst in Erfahrung bringen, wo der Anfangston eines neuen Stückes auf dem Klavier liegt?!? Auch kenne ich aus meiner Lernzeit noch, dass ich auf Kopien ganze Seiten lang Notennamen über und unter die Notenköpfe schreiben musste, weil mein Klavierlehrer davon überzeugt war, dass man nur so die Noten lernen würde (die Geigenlehrerin meiner Tochter im übrigen auch!)- Ähnliches zum lernen von Noten(namen). Immer wieder bin ich erwachsenen Schülern begegnet, die seitenweise die Notennamen über die Noten geschrieben haben. Es gab gar Schüler, die während der Klavierstunde eine Tabelle bereit hielten, auf der die Noten mit Namen eingezeichnet waren. Ein Schüler hatte auf den Tasten gar Aufkleber mit den Notennamen. Mein Hinweis, dass man die Notennamen vorallem dann lerne, wenn man sie gerade nicht jedesmal hinschreibe, stiess auf taube Ohren.
Das ist eben am Anfang so, das hat etwas mit der Art zu denken zu tun... manche können noch nicht einmal die Hände einzeln spielen, wenn sie das Stück mit 2 Händen spielen können...- Zum Problem "Immer-von-vorne-Beginnen". Wie oft habe ich doch gesagt, dass es eine schlechte Idee sei, bei Fehlern jedesmal von vorne zu beginnen und es manchmal genau so falsch sei, bloss den Fehler zu korrigieren, sondern dass es eben auf die Übergänge ankomme. Wieso stelle ich dann immer wieder fest, dass die Schüler dann doch nur am Beginn des Stückes einsetzen können?
Fazit: Von erwachsenen Anfänger-Schülern kann ich aus mittlerweile langjähriger Erfahrung eigentlich nur abraten. Zwar hatte ich vereinzelt auch Ausnahmen, die wirkliche Fortschritte erzielt hatten, die viel grössere Mehrheit allerdings unterschätzt den Aufwand (die tägliche Viertelstunde) enorm, weiss generell besser, wie man Klavier lernt, übt selten bis nie und kaum so, wie man es beibringt (aus purer Bequemlichkeit).
Ein etwas frustrierter Klavierlehrer
(der sich überlegt, nur noch Kinder zu nehmen)
P.S. Nun könnte man mir einfach vorwerfen, dass ich ein schlechter Klavierlehrer sei, der seine Schüler überfordere. Meine Erfahrung im Unterricht mit Kindern zeigt nun aber, dass es dort einfach extrem viel einfacher geht.
ff