mich frustriert besonders ein Punkt deiner Aussage wirklich sehr: immer wieder wird gesagt, Klavierspielen solle ja vor allem Spaß machen und deshalb gehe man am besten nicht zu einem studierten Klavierlehrer.
Wenn du mich so verstanden hast, dann hast du es falsch verstanden.
Es gibt sehr sehr gute studierte Klavierlehrer ... aber zu glauben,
nur ein Studierter können einem das ordentlich beibringen, halte ich ebenfalls für übertrieben.
Meinst du wirklich, dass Freude, Spaß, kindliche Entdeckerfreude der Klänge und des Instruments, spielerische Herangehensweisen, Lachen und im wahrsten Sinne des Wortes "Sinnesfreuden", keine wichtige und notwendige Rolle in einem professionellen und guten Klavierunterricht spielt?
Zu gutem Unterricht gehört das immer dazu.
Das ist witzigerweise ja genau der Kern meiner Kritik. Denn es gibt eben Klavierlehrer (auch studierte) in deren Unterricht das alles kaum eine Rolle spielt.
Einige befreundete Hobbypianisten, vor denen ich echt respekt habe, mussten das Klavier als Instrument mit Mitte 20 wiederentdecken, obwohl sie ab dem 5. Lebensjahr professionellen Unterricht hatten. Wenn man sie dann fragt, warum sie so lange nicht gespielt haben, dann kommt meistens, dass die Kündigung des Unterrichtsvertrages für sie befreiend war, weil sie den Unterricht Jahrelang nur gehasst haben und im Grunde nur drauf warteten, sich selbst entscheiden zu können, ob sie das weitermachen (und es dann aufgaben ... zum Glück haben nur wenige davon die Musik ganz aufgegeben).
Vielleicht sind das nur wenige Fälle (die Negativbeispiele) ... aber zumindest ich möchte mich für keinen einzigen dieser Fälle verantwortlich fühlen, denn ich finde das unglaublich traurg.
Ich persönlich habe Geläufigkeitsübungen immer gehasst (es gibt nur wenig langweiligeres). Aber natürlich gebe ich meinen Schülern auch Geläufigkeitsübungen ... nicht weil ich einem Dogma anhänge, nach dem das sein muss, sondern weil ich bei mir selbst gemerkt habe, was das bringt.
Ich kann mich heute ans Klavier setzen, und einfach ein bisschen im Tonraum der Klaviatur "herumkneten" ... und dabei kommt Musik raus. Ohne Geläufigkeitsübungen wäre das nur schwer möglich.
Es ist sehr wichtig, von Anfang an technische Basics zu initiieren. Dazu gehört der Einsatz des Arms, das ganzkörperliche Gefühl beim Klavierspielen. Reines Fingerspiel ist völlig falsch und ebenso falsch ist es, wie "mit Stock im Arsch" zu sitzen. Der Körper muss stabil und elastisch sein - das ist etwas ganz anderes.
Den Arm setzen die meisten von selbst ein ... gerade bei Anfängern aber eben auch mal zu viel.
Der Hinweis aufs Fingerspiel dient mir mehr als Antagonist dazu ... denn am Ende ist es doch die Mischung von beidem.
Bei jemandem, der vorm Klavier "hängt, wie ein Schluck Wasser in der Kurve" versuche ich auch eine geradere Haltung herbeizuführen ... aber wenns nicht klappt, dann muss der das eben auf die gleiche Wiese lernen, wie ich das auch gelernt habe ... nämlich durch die Erkenntnis, dass es so eben nicht gut klappt. Man kann einen Schüler ja auch mal gezielt an die Grenzen seiner bisherigen Technik führen.
Das mit dem Stock im Arsch war ein Seitenhieb auf meine eigene Klavierlehrerin ... ich hatte bei ihr nur ein Jahr Unterricht, und die ganze zeit das Gefühl, dass für sie "Klavierspelen" eher sowas wie "einen Webstuhl bedienen" ist.
Ein solcher Unterricht vermittelt zwar die Basics ... aber das war's dann halt auch. Daher schrieb ich auch, das ich bei ihr nicht viel gelernt habe, denn im Grunde unterrichtete die nichts weiter, als die industrielle Produktion von rhythmischen Schallwellen.
Natürlich ist das nicht repräsentativ für professionelle Klavierlehrer ... im Grunde fand ich das bei der Dame damals sogar ziemlich unprofessionell.
Zusammenfassend:
Ich weiß, dass man ohne die Basics irgendwann nicht mehr weiterkommt ... und das ist für den Schüler frustrierend, also lasse ich diese Basics auch immer wieder in meinen Unterricht einfließen. Ich weise darauf hin, wie wichtig das meiste werden kann ... und mir ist auch sonnenklar, dass man die Basics wie Haltung, Fingersatz und Geläufigkeit nicht erst braucht, wenn man Mozart, Bach oder Beethoven spielen möchte.
Aber bei jemandem, der noch nichtmal die Notenschrift beherrscht (und z.B. fragt, was das "Hashtag" bedeutet), geht es mir primär um etwas anderes.
Und ich will niemandem den Spass an Musik oder seinem Instrument verderben ... deswegen unterrichte ich sehr schülerzentriert ... eventuell kommen die Basics bei mir etwas zu kurz, das mag sein ... aber ich sage den Leuten eben auch von anfang an, dass ich kein studierter Klavierlehrer bin und auch für mich jeder Schüler eine Herausforderung darstellt ... mit manchen klappt es ... mit anderen eben nicht. Einen Vertrag unterschreibe ich erst, wenn ich das Gefühl habe, dass Ersteres der Fall ist und der jenige, der den Spass bezahlt, sich auch im Klaren darüber ist, das es einige Dinge gibt, für die man doch lieber zu einem studierten Klavierlehrer gehen sollte.
Ich bin Autodidakt und natürlich gibt es einiges, was ich nicht vermitteln kann, weil ich es entweder selbst nicht kann, oder weil ich es zwar kann, mir aber nicht darüber bewusst bin, dass das wichtig ist (oder dass andere das eben nicht können).
Bitte tue dir und deinen Schülern einen Gefallen und sieh in Zukunft davon ab.
Keine Sorge ... ich habe seit einem Jahr keinen Klavierunterricht mehr gegeben. Und wenns nach mir geht, dann werde ich das auch nicht wieder machen. Es macht mir nur bedingt Spass, dieses Instrument zu unterrichten.
Momentan zeige ich höchstens Freunden mal ein paar Sachen. Ein bisschen Hilfe unter Autodidakten (die eh keinen Klavierlehrer bezahlen wollen) wird doch erlaubt sein.