Konsequent muss das schändliche Relikt namens "Kirchenrecht" abgeschafft werden - oder siehst du das anders?
Das ist natürlich eine populäre Forderung, aber keine sachgemäße. Zunächst einmal braucht die katholische Kirche natürlich wie jede Körperschaft ein Regelwerk für ihre internen Strukturen und für die Aufgaben, die sie sich gesetzt hat bzw. von ihrem Begründer gesetzt sieht. Dass es Gesetzescharakter hat, liegt hauptsächlich am, im Gegensatz zum orthodoxen Autokephalieprinzip, übernationalen, »katholischen« Charakter der römischen Kirche. Aber dabei es ist natürlich nicht so, dass das CIC sich gegen oder über lokales Strafrecht stellt.
Das Problem liegt vielmehr im mangelnden Verständnis des Klerus von Straftaten aus seinem Kreis heraus. Traditionell wurde solche vorrangig nicht als Schädigung des Opfers, sondern als als Schädigung der Heiligkeit der Kirche durch den Täter gesehen, und deren Wiederherstellung war oberstes Ziel und zwar durch die kirchenrechtlich vorgesehenen Verfahren Beichte und Buße. Damit war aus klerikaler Perspektive das Wesentliche erledigt und die Vereitelung der »weltlichen« Strafverfolgung nichts weiter eine bedauerliche Konsequenz der "Selbstreinigung".
Wie man zu einer derart merkwürdigen und überheblichen Einstellung kommen kann, wird nicht erst im Kontext der gegenwärtigen Untersuchungen gefragt. Zunächst einmal ist da der Zölibat, dessen Zwänge die in ihn Gezwungenen natürlich nach Wegen der Druckentlastung suchen lassen. Aber der wichtigste Faktor ist wohl das klerikale Amtsverständnis. Wenn man meint, wie es in einem vorkonziliaren Katechismus in meinem Kuriosa-Regal heißt, dass »die Priester nicht wie die Menschen, sondern näher den Engeln sind«, oder dass sie, wie Maxe es weiter oben ausgedrückt hat, zu den »Erwählten« gehören, ist man sicher anfällig dafür, alles »Weltliche zu verachten«, wie es seit Anbeginn der Kirchengeschichte gelehrt wird. Schwächliche Naturelle sind da gewiss versucht, diese Verachtung in eine Lizenz für die Beförderung des individuellen Lustgewinns durch Benutzung des verachteten Objekts umzudeuten, in der süßen Gewissheit, dass der Fehltritt durch alsbaldige Beichte und Buße ja gleichsam ungeschehen gemacht werden kann. War das Objekt weiblich, kommt noch entlastend zu Hilfe der Rekurs auf die seit Evas Sündenfalls sich beklagenswerterweise perpetuierende weibliche Verführungsmagie.
Ob hier wohl ein Bewusstseinswandel eintreten wird? Man möchte es gerne hoffen, vermag es aber kaum zu glauben. Nach dem Konzil sah es drei Jahrzehnte lang so aus, als ob das Problem Zölibat einer simplen pragmatischen Lösung zustrebte. Als ich an die Uni kam, gab es unter den jüngeren Klerikern an der Theologischen Fakultät kaum einen, der nicht eine Freundin hatte und das auch gar nicht groß zu verbergen suchte (außer vielleicht vor seinem Bischof). Aber seit Ende der 90er Jahre wendet sich das Blatt und der Klerikernachwuchs macht immer mehr den Eindruck, als sammelten sich in den Priesterseminaren die Merkwürdigen, Verschrobenen und Weltflüchtigen. Sie distanzieren sich von der »Welt« formal durch bewusstes Tragen des Collars, sie haben außerhalb des Klerus keine Freunde und geben sich bewusst elitär, was bei der manifesten Dämlichkeit auffallend vieler von ihnen oft recht peinlich berührt. Man kann nur wünschen, dass der gegenwärtige Skandal dazu führt, dass in der Priesterausbildung zukünftig mit allem Nachdruck gelehrt wird, dass dem klerikalen Elitismus in der »Welt« klare (straf)rechtliche Grenzen gesetzt sind.