Die Kirche hat seit fast 1500 Jahren oder sogar noch länger oben genannte wichtige Themen alljährlich fest und unerschütterlich glaubend in den letzten Wochen vor dem Hochfest der Geburt des Herrn in besonderer Weise bedacht und meditiert,
Nun, die Geschichte mit der »Jungfrau« Maria hatten wir ja schon, und ich dachte auch, wir wären soweit, den Forschungsstand nicht einfach länger zu ignorieren, nämlich dass aus der jungen Frau des Jesaia durch Bedeutungsverschiebung in der Septuaginta-Übersetzung erst die »Jungfrau« gemacht wurde.
Den Tradenten der Jesus-Geschichten kam das natürlich sehr entgegen, weil es erlaubte, die Theophanie dem Vorstellungs- und Erwartungshorizont der Zeit gemäß auszudrücken. Die Formengeschichte des NT seit dem Klassiker von R. Bultmann, Die Geschichte der synpotischen Tradition von 1921, hat ja immer mehr aufgehellt, dass die Evangelien biographische Redaktionen von ursprünglich selbständigen Apophtegmen, Wundergeschichten und Legendensammlungen sind, die in der Überlieferungslücke zwischen dem Tod Christi und dem Erscheinen der Evangelien entstanden sind, und dass deren Motivik oft der hellenistischen Welt - dem weiteren Zielpublikum - und nicht der jüdischen Welt entstammt. *) Speziell was Maria betrifft, weist Bultmann (a.O. 316) darauf hin, dass »das auf jüdischem Boden unerhörte Motiv der Jungfrauengeburt ... auf hellenistischem Boden ... verbreitet« sei (Material dazu in einem anderen Klassiker, nämlich E. Norden, Die Geburt des Kindes, 1924). Er erwägt sogar, dass es unmittelbar durch den nabatäischen Kult des Dusares (Kultstätten in Petra, Hebron und vielleicht auch Bethlehem) inspiriert ist, dessen Geburt aus seiner jungfräulichen Mutter mit unblutigen Opfern (Weihrauch etc.) gefeiert wurde, freilich ohne in Details zu gehen (a.O. 318).- Zum legendenhaften Charakter des Einzugs in Jerusalem s. ibid. 281f.
Im übrigen würde ich gerne in Erinnerung bringen, was ich zum Familienstand Mariens weiter oben geschrieben habe:
Wenn im Übrigen die Geschichte von der Reise nach Bethlehem zum Zensus stimmt und nicht nur Konstrukt ist, um Jesus in die davidische Linie zu stellen, dann ist es zwingend, dass Josef und Maria zum Zeitpunkt der Reise verheiratet waren. Da Erscheinen zum Zensus am Geburtsort nur bei Grundbesitz erforderlich war, mußte also entweder Josef dort begütert sein und seine Frau begleitete ihn oder Maria war begütert und Josef begleitete sie als ihr Vormund (selber war sie nicht rechtsfähig).
Mir persönlich ist nicht recht klar, was dein ehernes Beharren auf dem Wortlaut der Texte bedeuten soll. Welche soteriologische Bedeutung sollte denn die Jungfrauengeburt haben? Christi Heilswerk ist in keiner Weise davon abhängig, ob seine Mutter personenstandsrechtlich eine
matrona oder ein, wie man früher sagte, gefallenes Mädchen war. Es ist ein unbestreitbares Ergebnis der historisch-kritischen Bibelforschung, dass, wie es ja auch gar nicht anders denkbar ist, die Offenbarung sich nicht nur der Sprache, sondern auch der Denkformen und -traditionen der Zeit, in der sie sich ereignete, bedienen musste. Für den, der an sie glauben möchte, hat solches historisch bedingte Beiwerk keinerlei Bedeutung.
*) Guter Forschungsüberblick dazu von G. Theißen im Anhang zur 10. Auflage von 1995.