In den letzten Tagen und Wochen habe ich nochmals drei sehr unterschiedliche, erstklassige und interessante Konzerte in New York erlebt:
1.Dover String Quartet
Das Dover String Quartet habe ich in meiner Zeit in NYC mehrmals gehört und muss sagen, dass es vermutlich das beste Streichquartett ist, das ich bisher überhaupt je gehört habe. Tonqualität, Zusammenspiel, Sauberkeit und Technik ist perfekt und makellos. Die Interpretationen sind durchdacht, besitzen große Tiefe, sind emotional und intellektuell ansprechend und berührend. Gleichzeitig gibt es eine Lebendigkeit und Frische im Spiel, die nicht zuletzte auch auf die dynamische Moderation zurückzuführen ist, durch die man die Leidenschaft der Musiker noch stärker spürt. Ganz besonders der 1. Geiger, Joel Link, spielt ganz ausgezeichnet.
Ich hörte ein Fragment von Haydn - op. 103 - bei dem er erstaunlicherweise die beiden Mittelsätze komponierte: Andante und Minuet. Sehr schöne und fortgeschrittene Musik (komponiert 1803).
Anschließend wurde das zweite Streichquartett von Schostakowitsch gespielt. Die Musik ist einfach unglaublich ergreifend und vereinnahmend, und die Musiker haben das hervorragend rübergebracht. Mein Lieblingsstück des Abends.
Nach der Pause gab es das Quintett mit Klarinette mit dem Klarinettisten Richard Stoltzman, ebenfalls makellos und schön gespielt. Allerdings konnte ich da nicht mehr so gut zuhören, weil der Schostakowitsch schon meine ganze Musikbatterie leergemacht hatte
2. Minimal Music von Steve Reich
In einem mittelkleinen Club in Brooklyn (House of Yes) erlebte (!) ich etwas später ein Konzert, vielmehr eine Darbietung ohnegleichen mit der Musik von Steve Reich. Ich hatte mich vorher kaum mit ihm beschäftigt, ein guter Freund hatte mich mitgenommen. Zunächst gab es zwei kurze Stücke (Music for Wood und ein Stück für Gitarre und Loop Station), anschließend "Drumming", das über eine Stunde gedauert hat. Es ist nur für Percussioninstrumente: Bongos, Marimba, Glockenspiel. Teilweise spielten 10 oder mehr Musiker gleichzeitig komplizierteste Pattern, die sich überlagerten und ändern, dass ich nur staunen konnte. Ich kannte einen der Spieler. Er sagte, sie hätten vorher drei Stunden geprobt - das wars. Unglaublich.
Besonders eindrücklich wurde das Konzert auch durch das Drumherum: Die Musiker befanden sich in der MItte des Raumes, das Publikum stand und saß drum herum - auch auf der Bühne. Dazu gab es eine fein ausgeklügelte Beleuchtung, um nicht zu sagen Light Show in der Düsternis aus Farben, Schatten und Rhythmen. Außerdem sausten Akrobaten an Seilen durch die Lüfte, wobei sie teilweise nur haarscharf an den Köpfen der Musiker vorbeischwangen und auch mal ein Seil auf deren Schultern landete. Die Musik bringt einen leicht in einen hypnotischen, halluzinogenen oder extatischen Zustand (Name des Konzerts: "Group Halluzination") und es ist unmöglich, sie nicht zu verstehen bzw. sich ihr zu entziehen. Die Rhythmen graben sich in den Körper ein, ohne einen Umweg über das Hirn nehmen zu müssen. Wer eine solche Konzerterfahrung machen kann, dem kann ich sie sehr empfehlen. Allerdings braucht man für solche hochkomplexe Musik leider wahnsinnig gute Musiker, sonst wird es zur Qual oder funktioniert überhaupt nicht.
3. Murray Perahia in der Carnegie Hall
Zu guter Letzt hörte ich soeben Murray Perahia in der Carnegie Hall. In der ersten Hälfte spielte er die 6. Französische Suite von Bach und die vier späten Schubert-Impromptus D935. Die Qualität dieser ersten Hälfte war auf Weltklasseniveau. So eine Reinheit, Ruhe, Schönheit und Weisheit ist bei Klavierabenden für mich eine Seltenheit. Das Publikum hat es auch begriffen: Es war besonders still (die Pausen zwischen den Stücken dafür umso verräusperter) und noch vor der Pause bekam Perahia standing ovations.
Die zweite Hälfte hat mich dann nicht mehr ganz so überzeugt. Dort spielte er zunächst das Rondo in a-moll KV 511 von Mozart und danach Op. 111 von Beethoven. Irgendwie erschien mir das Rondo fehl am Platz. Die Sonate ist zwar nur eine knappe halbe Stunde lang, wäre aber als zweite Hälfte völlig ausfüllend. Der Mozart kam mir, obwohl sehr schön gespielt, etwas wie ein Zeitfüller vor. Vielleicht ist es Perahia aber auch zu unangenehm gewesen, eine Op. 111 direkt nach der Pause anzustimmen?
Beethovens letzte Sonate war natürlich meisterhaft gespielt, doch erstaunlicherweise fehlte mir da ein bisschen die Ruhe und Größe, die ich in der ersten Hälfte so bewundert hatte. Perahia spielte erstaunlich viele Fehler, die mehr als nur ein Vergreifen waren - eher Gedächtnislücken. Nicht tragisch, aber doch verwundernd. Manchmal fehlte etwas Klarheit, und zwischendurch war auch mal ein etwas massives, in meinen Ohren unnötig harsches Forte zu hören. Die Sonate drängte etwas vorwärts, das habe ich nicht ganz verstanden. Sie war, wie ich zugeben muss, aber auch das Stück, bei dem ich am genauesten zugehört habe, weil ich es gerade gespielt habe. Nach der Sonate spielte Perahia keine Zugabe, was mir sehr gefallen hat. Man muss nicht immer dem Drängen des Publikums nach Zugaben nachgeben. Manchmal passt es nicht, dann muss man es sein lassen dürfen. Nach op. 111 könnte man höchstens noch das Adagio für Glasharmonika von Mozart spielen
Liebe Grüße!
Eure Stilblüte