Liebe Blüte,
das Thema Lob und Tadel ist zu umfassend, um hier behandelt zu werden, daher nur ein paar Überlegungen:
Wenn du möchtest, richte deine Wahrnehmung auf die Hintergründe, wenn du lobst. Warum lobst du? Wie lobst du? Was lobst du? Was ist deine Absicht, die hinter dem Lob steht?
Willst du den Schüler motivieren? Willst du ihn in eine bestimmte Richtung lenken? Möchtest du ihm Feedback geben? Freust du dich gerade sehr mit ihm, wenn er "eine Nuss geknackt" hat oder etwas war besonders schön?
Ein Lob ist immer ein positives Urteil über ein Verhalten oder eine Person. Es besteht dabei immer eine Hierarchie vom Lobenden zum Gelobten: "Nur der Herr lobt seinen Knecht" heißt es in einem Sprichwort. Umgekehrt wird es schwierig.
Nun kann man im Klavierunterricht sagen, dass ja tatsächlich eine Hierarchie besteht. Und zwar im Hinblick auf das Wissen um das Klavierspiel. Aber nicht im Hinblick auf die Stellung. Der Klavierschüler ist kein Untergebener. Wie viel man lobt, sagt also durchaus etwas über die Beziehung von Lehrer und Schüler bzw. über die Vorstellungen des Lehrers darüber aus.
Die "
Schwarze Pädagogik" hat sehr mit Lob und Tadel unterrichtet, beides massiv verstärkend und manipulativ zur Verfolgung der eigenen Zwecke eingesetzt. Eine Lehrer-Schüler-Beziehung, in der beide als Team zusammenarbeiten und die von Wertschätzung geprägt ist, gab es damals (in der Regel) nicht.
Warum sollte man nun nicht loben, wenn Lob doch, wie viele denken, ein so probates Mittel zur Verstärkung positiver Eigenschaften ist?
Weil es das eben oft nicht ist!
In den letzten Jahren sind viele Studien zu diesem Thema gemacht worden und die Forschungsergebnisse gehen dahin, dass es leider nicht so ist, das ein Lob rein geschoben wird und am anderen Ende was Gutes rauskommt.
Diese Ergebnisse werden oft die "paradoxen Wirkungen von Lob und Tadel" genannt. Auch Tadel ist keineswegs nur negativ zu sehen, sondern kann bisweilen positiver wirken als Lob. Beides sind zwei Seiten der gleichen Medaille, die darin besteht, eine andere Person oder ihr Verhalten zu beurteilen und sie zu etwas zu bringen. Es steckt also immer eine Absicht dahinter, oft eine erzieherische.
Paradoxe Wirkungsweisen haben ihre Ursachen z.B. darin:
a) wenn der Gelobte (ich nenne ihn mal Schüler) seine Leistung anders sieht als der Lobende, ist das Lob schädlich. Wenn also ein Lob kommt, obwohl der Schüler seine Leistung ganz normal findet, vielleicht sogar unzufrieden ist, schädigt der Lobende (ich nenne ihn mal Lehrer) seine eigene Position. Wenn sowas öfter vorkommt, nimmt der Schüler das Lob des Lehrers und dann den Lehrer selbst nicht mehr ernst und das kann sogar nachhaltig die Beziehung schädigen.
Der Klassiker: Schüler hat nicht geübt, Lehrer sagt "Oh, das klappt ja schon viel besser als beim letzten Mal". Oder: Kindergartenkind malt Bild, Erzieher ist (aus pädagogischen Gründen) völlig verzückt und sagt "Ach, wie toll ...!" Das Kind findet aber, dass die Ohren noch nicht schön sind und der Mund zu groß und die Hände zu plump... .
Ein Lob kann bevormundend und beschämend wirken. Anstatt zu fragen, wie denn das Kind das Bild findet und mit dem Kind über das Bild in eine Beziehung zu treten, wird platt ein Lob drübergestülpt und stopft dem Kind das Maul. Es sollte motivieren, tut aber genau das Gegenteil. Das Kind wird behandelt wie jemand, der ein Lob nötig hat und das tut dem Selbstbewusstsein nicht gut.
b) Je mehr jemand dafür belohnt wird (ein Lob ist eine Belohnung), etwas zu tun, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er das Interesse an dem, was er tun musste, um die Belohnung zu bekommen, verliert. Das hört sich paradox an, liegt aber daran, dass die extrinsische Motivation die so wichtige intrinsische Motivation überlagert. Das Interesse am Inhalt geht zurück, das Interesse an der Belohnung wird geweckt. Im schlimmsten Fall werden die Gelobten abhängig von Belohnungen und Lob.
c) Lob zeugt wie andere Belohnungen gewöhnlich davon, dass der Blick auf das Verhalten gerichtet wird anstatt auf die Motive dahinter. Es gibt ganz unterschiedliche Motive, warum Kinder sich so oder so verhalten. Ein oft erwähntes Beispiel ist das perfekte Verhalten sog. gut erzogener Kinder, sobald sie unter der Beobachtung Erwachsener stehen, die sich aber, sobald die Beobachtung weg ist, ganz anders benehmen.
d) Der Lobende muss sein Lob gerecht und aufmerksam verteilen. Wenn er zu viele Fehler macht - und es ist im Alltag kaum möglich, keine Fehler zu machen -, verliert das Lob und auch der Lobende selbst seine Wirkung.
Wenn ein Schüler viel geübt hat, aber aus irgendwelchen Gründen Fehler gemacht hat beim Üben und er bekommt kein Lob für seine große Anstrengung, wird er frustriert sein. Wenn er beim nächsten Mal viel Lob bekommt für wenig Anstrengung, fragt er sich, was hier eigentlich los ist und fühlt sich nicht ernst- und wahrgenommen. Solche Fehler passieren ständig, ganz besonders in Schulklassen, wo mit Argusaugen darauf geschaut wird, wie der Lehrer auf die verschiedenen Schüler reagiert.
Ein Beispiel war z.B. in einem Kindergarten, wo Erzieher zwei Mädchen sehr dafür lobten, wie toll sie gerade die Sachen in die Schränke geräumt hatten. Sie wollten damit auch alle anderen Kinder motivieren, ihre Sachen in die Regale zu räumen. Ein Junge ist so wütend geworden, dass er alle Sachen aus den Regalen auf den Boden geschmissen hatte. Es klärte sich anschließend, dass übersehen worden war, dass er seine Sachen auch ordentlich in den Schrank geräumt hatte.
e) Ständiges Loben kann den Gelobten sehr unter Druck setzen. Denn es werden mit dem Lob hintergründig Erwartungen formuliert und das kann beim Gelobten eine Menge Bauschmerzen verursachen.
f) es gibt noch viel :D, z.B.
https://www.umsetzungsberatung.de/psychologie/lob-und-tadel.php
Jetzt fragen wir uns natürlich, ja, was sollen wir denn nun machen? Feedback ist ja nun zum Lehren unerlässlich. Kann ich auch ein positives Feedback abgeben, dass nicht als Urteil von oben mit möglichen negativen Folgen aufgefasst wird?
Ja, juchhu, wir können!
Nämlich dann, wenn wir in Beziehung treten mit dem Schüler und uns mit ihm freuen. Auch wenn wir uns überhaupt freuen! Wenn wir positive Ich-Botschaft fomulieren, die etwas über uns selbst ausssagt als über die Leistung des Schülers. "Ich freue mich sehr, dass du heute die Melodie so leuchtend und schön phrasiert spielst" ist besser als "du hast aber gut geübt".
Wenn unsere Körpersprache unsere Freude deutlich signalisiert, können wir sogar auf das "Ich" verzichten. Ein "wunderbar!" mit strahlendem Gesicht kann ein großes Geschenk an den Schüler sein. Es wirkt nicht von außen und oben herab, sondern von innen und mitempfunden.
Man sollte sich also immer fragen, ob man selbst ein Lob mit einem manipulativen Hintergedanken verwendet. Dann ist es nicht authentisch und das merken die Gelobten.
Liebe Grüße
chiarina