Da ich nach dem Warschau-Wettbewerb noch verreist und anschließend stark erkältet war, melde ich mich bezüglich des Wettbewerbs verspätet zu Wort.
Der Wettbewerb war eine Bereicherung dieses Lebensjahres. Die Mischung aus Konzentration auf die eigene Vorbereitung und gemeinschaftlichen Aktivitäten im Laufe des Wettbewerbs hat mir viel Freude bereitet. Die Gespräche mit musikalischen Leuten aus allen möglichen Ländern sind für mich einfach toll! Die Mittag- und Abendessen in wechselnden Gruppierungen behalte ich in guter Erinnerung, denn wir haben viel gescherzt und gelacht. Außerdem fiebert man seinen Auftritten gemeinsam entgegen, das ist auch interessant, wie jeder damit so umgeht.
Die Organisation des Wettbewerbs war hervorragend und die Aufnahme der Teilnehmer überaus freundlich. Die Organisatoren sprachen sehr gut verständliches Englisch mit dem gleichen sympatischen Akzent, mit dem sie auch die deutsche Sprache schmücken. Durch das Programm führte ein höflicher und gutaussehender Redner mit einer sehr angenehmen Stimme. Wir hatten Überäume in der Musikuniversität, die fair zugeteilt wurden. Wollte man noch mehr üben, konnte man sich in der nahen
steinway-Galerie einmieten, einige übten sogar in ihrer Herberge, in der ein
flügel der Chopin-Gesellschaft steht. Leider kann man als Kandidat nicht alle Wertungsvorspiele anhören, da man teilweise übt oder vor dem eigenen Auftritt dafür keinen freien Kopf hat. Ich konnte mir Teile der ersten Runde anhören (allerdings Joh und JJ leider nicht), Teile des Halbfinales und natürlich das Finale. Somit kann man sich als Teilnehmer von den anderen Spielern immer nur ein ausschnittsweises Bild machen, daher ist meine subjektive Beurteilung unvollständig.
Die Gewinner des ersten und zweiten Preises waren für mich musikalisch und technisch äußerst beeindruckend!! Den Erstplazierten habe ich 2013 schon einmal live gehört und er war damals schon sehr gut. Was dieser inzwischen berentete Herr jedoch an pianistischer Entwicklung in nur zwei Jahren vonstatten gebracht hat, ist wirklich bewundernswert und sehr außergewöhnlich. Das hat sicher mit sehr viel zeitlicher Investition und Hingabe zu tun. Trotzdem bedarf es sehr viel Fantasie und Talent, so vollendet poetisch und dabei quasi fehlerfrei zu spielen. Ich habe ihn nur im Finale gehört, aber diese Darbietung war ganz hinreißend, ein goldener Moment sozusagen. Den Zweitplazierten konnte ich in allen drei Runden hören. So ausdrucksstark, ich war begeistert! Ich finde viele Spieler sehr gut, aber nur wenige können mich mit ihrem Spiel wirklich begeistern. Die Gestaltung der Melodien war bei ihm überragend. Sein Rhythmusgefühl fand ich gerade in den Tänzen wunderbar und dabei sehr frei. Ich fand seinen Stil elegant und genussvoll. Musikalisch waren beide Spieler ausgesprochen glaubwürdig und in ihrer Musik gebunden. Da dachte ich so bei mir, dass ich überhaupt nur sehr selten in meinem Leben live eine wirklich gute Chopin-Interpretation gehört habe. CDs sind doch etwas anderes, da entsteht die Musik nicht aus dem Moment heraus. Mir fehlen wohl für Chopin gute lebende Vorbilder, habe ich den Eindruck. Beziehungsweise habe ich mich noch nicht ausreichend mit Chopin-Interpretation beschäftigt !nachdenklich!
Ich hätte für die übrige Preisvergabe durchaus eine andere Reihenfolge gewählt – soweit ich die Leute hören konnte. Für den dritten Platz hätte ich einen anderen Finalisten bevorzugt, der aber nicht so ein ausgesprochener Chopin-Spezialist ist. Ich denke das Problem war, dass es außer den beiden führenden Spielern keine absolut herausragenden Spieler gab. Es gab, meine ich, ein recht breites Feld guter Spieler, wobei jedoch jeder so seine Schwächen hatte. Viele hätten im Finale sicher auch eine ganz gute Figur gemacht, sogar eine bessere als manche Finalisten. Trotzdem glaube ich, dass es für die Jury schwierig war, eine ganz absolut korrekte Rangliste aufzustellen.
Mich selbst betreffend bin ich zufrieden, dass ich eine dem Niveau des Wettbewerbs angemessene Kandidatin war. Meine erste Runde ist gut gelaufen, vor allem habe ich mich von den teils saublöden Fehlern, die mir passierten, nicht aus der Ruhe bringen lassen und habe gelassen weiter gespielt. Der geforderte Chopin-Walzer ist recht zärtlich gelungen. In der Skrjabin-Fantasie habe ich gleich die erste Quintole des Themas komplett versemmelt. Trotzdem war insgesamt die Darbietung kraftvoller und bis zum Schluss ausdauernder als im Mai dieses Jahres. Gleichzeitig bin ich mit vollem Risiko durch die leidenschaftlichen Stellen geflogen, das war schon auch für mich ein Erlebnis, ähnlich wie man es bei Bergtouren als Gipfelstürmer hat. (Im Probekonzert eine Woche zuvor hatte ich diese Stellen sehr viel mehr „auf Sicherheit“ gespielt, was dann emotional für die Zuhörer nicht ganz so intensiv war). Gegen Ende bereiten mir immernoch die Passagen in C-Dur, im Fis-Dur-Dominantseptakkord und in H-Dur Schwierigkeiten, die waren beide Male nicht ganz sauber.
In der zweiten Runde war ich leider sehr unausgeschlafen und an dem Tag körperlich sehr angespannt. Das hat man mir angesehen und ich hörte dies auch sofort am Klang des Flügels unter meinen Fingern. Meine zweite Runde war also leider nicht ganz so stark. Ich habe für den Wettbewerb überhaupt zum ersten Mal in meinem Leben zwei Mazurken gelernt. Tolle Stücke sind das, trotzdem gelingt mir dieser Tanzrhythmus noch nicht natürlich genug. Da fehlt noch viel – vor allem wenn ich meine Darbietung mit dem Hörerlebnis der echten „Könner“ vergleiche. Da hilft nur, sich weiter damit zu beschäftigen und vor allem gute Interpretationen zu hören. Zur Polonaise-Fantaisie Op. 61 vermute ich, dass sie schon aus interpretatorischen Gründen der Jury nicht gefallen hat. Der Zweitplazierte hat mir und einigen anderen Teilnehmern in einer „Unterrichtsstunde“ seine Vision des Stücks vermittelt. Es ist eben ein sehr freies Stück und nicht alle Ansätze gefallen gleich gut. Ich denke aber, dass ein Teil meiner Interpretation stilistisch nicht so angemessen war. Außerdem war die Darbietung an einigen schweren Stellen fehlerhaft. Ich habe in den letzten Tagen versucht, an meiner Interpretation einige Punkte zu verbessern und bin gespannt, ob mir in München eine bessere Darbietung gelingen wird.
Warschau als Stadt fand ich sehr sehenswert! Besichtigen konnte ich in Warschau das Jüdische Museum und das Chopin-Museum. Die beiden Museen sind sehr modern gestaltet und der Stoff ist äußerst umfangreich und gut aufbereitet. Man kann im Jüdischen Museum bestimmt mehrere Tage verbringen. Leider hatte ich keine Zeit mehr für das Museum des Warschauer Aufstandes und auch die beiden Erstgenannten habe ich leider nur im Schnelldurchgang gemacht. Außerdem war ich in der Altstadt und in der Neustadt, die ganz wunderbar nach historischen Grundrissen nach dem Krieg wieder aufgebaut wurden. Gleichzeitig finde ich, dass es recht entspannt zugeht, die Stadt ist nicht zu überlaufen. Das Essen war überall sehr lecker, ist ja auch ein wichtiges Kriterium. Ich möchte auf jeden Fall wieder hinfahren und dort mehr Zeit verbringen! In meinen Augen ist es gerade für die Wintermonate ein tolles Urlaubsziel.