Für meine Unterrichtserfahrungen spielt der Begriff Kritik kaum eine Rolle und ich finde es etwas merkwürdig wie betont hier über Bewertungen nach dem Motto "Das war gut/schlecht" gesprochen wird.
Selten, aber manchmal wurde ich im Unterricht gelobt, z. B. wenn etwas unerwartet gut geworden oder vielleicht bemerkenswert war. Als ehemals fleißiger Schüler kann ich mich an schlechte Bewertungen eigentlich gar nicht erinnern. Selbst, als ich in späteren Jahren leider viel zu wenig Zeit zum Üben investieren konnte, wurde mein Spiel im Unterricht nie als schlecht beschrieben. Ich finde es komisch, dass hier, so wie ich die Beiträge wahrnehme, in so vielen Unterrichtssituationen vom Schüler eine leistungsorientierte Bewertung seiner Teilnahme am Unterricht erwartet wird oder aus der Sicht des Lehrers vom Schüler erwartet zu werden scheint. Die Bewertung steht eher bei Prüfungen, Wettbewerben oder evtl. beim Vorspiel im Vordergrund.
Bei der Erarbeitung von Stücken habe ich Hinweise des Lehrers, was man besser machen kann, auch nicht als Kritik empfunden und mich deshalb irgendwie angegriffen gefühlt. Wenn ich gerade gespielt habe und der Lehrer sagt "spiele das nochmal und stelle dir dabei dies und das vor oder versuche die Melodie deutlicher hervorzuheben oder an der Stelle, wo es es leiser wird, nicht langsamer zu werden" ist die Intention in erster Linie, mir Möglichkeiten oder Anleitungen zu geben, wie ich das Spiel verbessern kann und nicht, das gerade gespielte zu bewerten. Da muss gar keine Formulierung wie "Das war schon ganz gut, aber..." nach der berühmten Kommunikationsregel "erst das Lob und dann die Kritik" herbeigekünzelt werden. Dafür gehe ich doch zum Unterricht, um die Dinge zu lernen oder zu verbessern die ich noch nicht kann. Da ist es doch falsch, in jedem Hinweis oder in jeder Anleitung eine Kritik zu sehen. Wenn der Lehrer mich gut kennt, weiß er doch, dass ich das noch nicht kann und will mich damit nicht kritisieren sondern die Informationen geben, um die ich ihn mit meinem Besuch ersuche.
Vielleicht ist das bei Kindern/Jugendlichen weniger der Fall, aber vielleicht haben Erwachsene, die Situationen im Unterricht als angreifende Bewertung oder unangebrachte Kritik empfinden, oft auch ein Hierarchie-Problem, dass sie nicht akzeptieren wollen, dass der Lehrer, der logischerweise in Sachen Klavierspiel der kompetentere von beiden ist, sich in der Unterrichtssituation automatisch in der Hirarchieebene oberhalb des Schülers befindet.
Und es ist auch etwas schräg, wenn man in erster Linie zum Unterricht geht, um sich Lob und Anerkennung abzuholen, statt aus der Motivation heraus, ein Instrument zu lernen. Natürlich freut man sich normalerweise über ein ehrliches Lob, aber das sollte nicht das Wichtigste am Unterricht sein.