Hallo Aleko,
Irgendwie kann ich Dich sehr gut verstehen.
Die willst einen Flügel, informierst Dich im Forum und weil hier
gerne von "Liebesheirat" und "Deinem Flügel, den Du finden musst"
erzählt wird, ziehst Du frohgemut los, findest aber nichts, was Dein
Herz lachen lässt. Fisherman hat sicher recht: Irgendwo in Deutschland oder
auf der Welt gibt es garantiert mindestens einen gebrauchten Flügel, der
innerhalb Deines Budgets liegt und der die Antwort auf alle Deine Fragen
ist. ABER: Ihn zu finden kann ein paar Stunden oder ein paar Jahre dauern.
Und selbst wenn Du ihn findest, ist das Lärmproblem zu später Stunde immer noch nicht gelöst. Außerdem bist Du vielleicht einfach nicht der Typ für solche
Bauchentscheidungen. Musst Du auch nicht sein.
Drei Fragen halte ich für wichtig:
1) Was willst Du?
Meine vermutete Antwort: Einen geilen Flügel, den Du Dir leisten kannst und willst. Und am besten in einem freistehenden Haus, aber spätestens da wird es für die meisten schwierig.
Und leider sind die richtig guten Kisten so teuer oder so schwer zu finden, dass Du eben abwägen musst, ob Dir das Geld und Zeit Wert ist.
In meiner Jugend haben mir meine Eltern dankenswerterweise ein sehr gutes Mietklavier in einen Kellerraum gestellt, so konnte ich den fachpraktischen Teil meines Musikabiturs hemmungslos und zu jeder Tages- und Nachtzeit vorbereiten. Das war natürlich super, aber heute muss ich mich eben auch vorerst mal mit einer Mietwohnung arrangieren.
2) Was brauchst Du?
Meine vermutete Antwort: Ein bestmögliches akustisches Instrument, am liebsten
Flügel und wenn möglich mit Silent. Wegen der Nachbarn bzw. vielleicht auch um
Dein Spiel erst dann zu entblößen, wenn Du es für reif hälst gehört zu werden.
Letzteres halte ich für absolut legitim ja sogar für förderlich (lieber effektiv, hemmungslos
über Kopfhörer üben als orthodox akustisch und dafür nur halb so lang und mit Korken
im Hintern, weil ja jemand mithören könnte - hallo, wir leben schließlich im 21. Jahhundert).
In dem Zusammenhang muss ich außerdem einfach mal in die Kerbe hauen:
Wer braucht unbedingt einen Flügel und dann einen möglichst hochwertigen?
Das brauchen Profis und solche, die in diesem Leben eine realistische Chance
haben, noch Profis zu werden. Da sind die viel zitierten Nuancen relevant. Für alle
anderen reicht im Prinzip ein Mittelklasse-Klavier und der ganze Rest ist Luxus.
Natürlich hat man auf einem neuen Steinway oder einem toprestaurierten Bechstein
jeden Tag mehr Spaß und wird sich vielleicht pianistisch ein wenig schneller/besser entwickeln
als auf einem Yamaha U1. Aber wenn es Dir ums Klavierspielen geht und nicht um Materialfetischismus oder Esotherik, dann kommst Du in der Mittelklasse auch sehr weit.
3. Wo bist Du bereit Abstriche in Kauf zu nehmen, wenn Du einen Kompromiss machen musst?
Da kann ich jetzt nur für mich sprechen. Wenn die richtig geilen Dinger mir das Geld nicht wert sind, oder ich sie mir nicht leisten kann, dann nehme ich doch etwas, das insgesamt meinen Anforderungen entspricht und eine rundum sinnvolle Lösung bietet. Du hast Silent-Instrumente erwähnt...
Ich habe ein YUS1 (Übrigens habe ich keinerlei Herstellerkontakte). Manchmal denke ich, ein kleines Grotrian oder C.Bechstein könnte mir vielleicht mehr geben, aber das passiert nicht oft. Täglich genieße ich aber, dass ich mich im Silent-Modus austoben kann, bevor ich akustisch das Ergebnis meines Schaffens auf die Welt loslasse. Ich würde nie ein Schrottklavier nehmen, blos weil es Silent hat, aber es ist schließlich nicht so, dass alles Mist ist, was nicht aus Mitteleuropa kommt. Ich bin übrigens ein großer Fan der Signatur von 90 Jahre KB: "Instrumente sind eine Verbindung von Material und Physik - nicht von Seele und Glauben..."
Aleko, lass Dir einfach noch ein bisschen Zeit. Und wenn Du Dich nicht festlegen kannst, aber endlich loslegen willst, erwäge den Mietkauf z.B. eines C3 oder YUS5.
Anekdote: Ich habe bei meiner Suche auch kein bezahlbares Orgasmus-Instrument gefunden und wollte wie Du auch nicht ewig durchs Land tingeln. Am Vorabend der Kaufvertragunterzeichnung meines YUS1 habe ich noch ernsthaft überlegt: Soll ich die ganze Aktion nicht einfach canceln und mein Digi behalten, das ist doch auch nicht das schlechteste? Jetzt nach ein paar Monaten kann ich selbst kaum glauben, wie viel weiter mich das Klavier gebracht hat. Solo spielen macht endlich wieder Spaß. Und hätte ich einen Fazioli genommen wäre ich natürlich schon längst in der Carnegie-Hall aufgetreten, ist doch ganz klar
.
@fisherman Zitat: "Übrigens: Auf einem guten Flügel kann man sehr, sehr leise spielen!"
Also bei allem Respekt fisherman, das ist jetzt wirklich nicht so orginell (im Zusammenhang mit Lärmvermeidung). Auf einem Flügel ständig angestrengt ppp zu spielen mag vielleicht trotz allem nett klingen, aber da beißt sich die Katze doch irgendwann in den Schwanz. Das ist für den Anschlag auf Dauer sicher nicht viel besser, als ein mäßiges Digi.
Ich mag Deine Posts sehr und habe Deine Flügelsuchgeschichte interessiert und beeindruckt gelesen, aber es führen mehrere Wege nach Rom und manch einer will vielleicht in eine andere Stadt.