Fingertechnik

D

Doc88

Guest
Hallo an alle

Habe mehrfach von einer Anschlagstechnik gehoert, wobei die Finger nach hinten weggezogen werden. Angeblich soll damit ein besonders perlender und brillanter Klang erzeugt werden.
Auch J.S.Bach soll diese Art benutzt haben.
Weiß jemand dazu mehr?
Ich habe es schon mal versucht, komme aber nicht auf ein schnelleres Tempo. Ist aber vielleicht Trainingssache.
Was meint Ihr ?

LG
 
Wo steht das, daß Bach derart gespielt haben soll? Wer behauptet das?

Sicher dürfte sein, daß Bach ein überragender Musiker und Pianist war und solch billiger Klavierstundentricks wie "hoho, ich muß nur die Finger immer so nach hinten ziehen, und dann gibt es so einen perlenden und brillianten Klang" nicht bedurfte.

Zumal die Instrumente seiner Zeit (Cembali und Clavichorde sowie frühe Pianofortes) sowieso so wenig Sustain hatten, daß alles eh' automatisch "staccatiger" und brillianter klang, da mußte man sich nicht sonderlich für anstrengen.

Kurz gesagt: Du bist einer typischen Klavierlehrer-Legende, die seit vielen Jahrzehnten rumgeht (so wie u.a. auch die mit dem "Hämmerchen-Anschlag" oder der "Hand, die so geformt ist, als hielte sie ein Bällchen") aufgesessen.

Falls Du meinst, ich habe Unrecht, kannst Du ja gerne mal versuchen, ein Youtube-Video aufzutreiben, wo ein renommierter Pianist mit der von Dir genannten "Anschlagsart" operiert...

LG,
Hasenbein
 
Wenn ich einen Akkord im pp "streicheln" will ziehe ich die Hand (untheatralisch!) in Körperrichtung zurück.
Schnell und brillant kann ich mir mit der von dir vorgeschlagenen Anschlagsart beim besten Willen nicht vorstellen.
Und mit Bach und Cembalotechnik hat das garantiert nichts zu tun.
 
schnipp...
Kurz gesagt: Du bist einer typischen Klavierlehrer-Legende, die seit vielen Jahrzehnten rumgeht (so wie u.a. auch die mit dem "Hämmerchen-Anschlag" oder der "Hand, die so geformt ist, als hielte sie ein Bällchen") aufgesessen.
schnibbel ...

Wau! Meine KL erzählt mir immer ganz streng vom kleinen Bällchen und einem Häuschen. Hat mir aber ehrlich gesagt auch am Anfang etwas geholfen. Das mit dem Hämmerchen-Anschlag soll ich nur zum Einspielen ganz langsam üben...
Ganz zufrieden bin ich aber immer noch nicht. Mein Spiel klingt immer noch käsig... und ich habe das Gefühl, dass ich keinen Schritt vorwärts komme. Wenn ich die Artikel hier im Forum lese und sehe, was noch auf mich zukommen wird, kommt richtiger Frust auf...
 
...Alfred Brendel, schreibt:
"Man kann auf dem Klavier von den Tasten weg (1), in die Tasten hinein (2), aus den Tasten heraus (3), und „durch die Tasten hindurch“ (4) spielen. Genauer gesagt, man spielt bei (1) nicht in die Tasten hinunter, sondern aus den Tasten herauf......(1), also in einem Spiel, das von der Taste ausgeht,....Gerade im Fortespiel klingt ein von den Tasten aus abgestoßener Akkord voller und runder als ein gehämmerter oder fallengelassener, und der enge Kontakt mit den Tasten fördert das lyrische Fingerspitzengefühl.“
Zitatende.

Ich wiederhole: Gut ist, von den Tasten weg, nicht hinunter sondern herauf. Alles klar?
Für mich ist das eine mechanische Erklärung eines Musikers. Wie würde sich bei diesem Vorgang ein Nichtmusiker ausdrücken? Auch wenn man nicht „in die Tasten hinunter“ spielt, ein Ton soll schon hörbar werden.

Die weitere Erklärung für 2,3, 4 lasse ich hier weg, da der Pianist diese für wenig anwendbar hält. Wobei "durch die Tasten hindurch" für mich völlig klar ist. Das geht mit drehenden Fingern und zum Bohrer angespitzten Fingerendglied:D

Gruß
Manfred
 
Kurz gesagt: Du bist einer typischen Klavierlehrer-Legende, die seit vielen Jahrzehnten rumgeht (so wie u.a. auch die mit dem "Hämmerchen-Anschlag" oder der "Hand, die so geformt ist, als hielte sie ein Bällchen") aufgesessen.

LG,
Hasenbein

Die KL meiner Tochter benutzt zuweilen auch die Beschreibung, dass die Finger gekrümmt werden sollen als würde man einen Apfel halten. Aber diese Aussage bezieht sich natürlich nicht auf eine generelle Spielweise sondern grundsätzlich nur auf entsprechende Passagen. Ich habe nicht das Gefühl, das es eine schlechte KL ist.

Meine KL sagt mir zum Bsp. das ich die Finger (bei entsprechendem Notentext) ganz steil stellen soll und bewegen soll als wären es Soldaten. Ich weiß nicht, was an solchen bildhaften Darstellungen schlecht sein soll. Mitunter verstehe ich den Hintergrund dieser Anweisungen erst, wenn ich intensiver auf diese Art geübt habe und mein Anschlag verändert sich in der Weise, dass das gewünschte Klangergebnis entsteht.

Ich bin sicher, dass ich eine außerordentlich gute KL habe.

Gruß Ute
 
Das nach-hinten-wegziehen der Finger (als ob man eine Saite anzupfen würde) finde ich sinnvoll bei schnellen Repetitionen einer Taste (321321..., 43214321..., u.ä) Man kann diesen Bewegungsablauf durchaus auch auf Skalen übertragen, ich glaube, dass manche Jazzpianisten wie zB McCoy Tyner damit arbeiten, kann dies aber nicht belegen. Auch bei Akkorden kann ein "Anzupfen" je nach Situation durchaus sinnvoll sein, man kommt so schneller wieder aus den Tasten.
 
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Danke für Eure Antworten.
Speziell auf die Frage von Hasenbei:
Ich kann mich leider nicht mehr erinnern, wo ich im Zusammenhang mit dieser Anschlagstechnik über JSB gelesen habe. Sobald ich daraufstoße, werde ich es mitteilen.
Ansonsten kann man hierzu in dem unterhaltsamen Büchlein "Üben mit Lis(z)t" von Martin Gellrich einige Hinweise finden.(S.29)
Die Technik wurde von A.E.Müller in seiner "Pianoforte-Schule" zum Studium des Passagenspiels beschrieben."Bei der ersten Gattung dieser Passageübungen vermeide man jede, auch die kleinste Bewegung der Hand:man hebe deshalb die längeren finger nach dem Anschlage, besonders wenn die Bewegung schnell ist, nicht aufwärts, sondern ziehe sie vermittels eines leichten Abgleitens derselben von der Taste nach dem Innern der Hand ein. Diese Anschlagstechnik scheint damals sehr verbreitet gewesen zu sein. Beispielsweise haben sich auch Hummel und Forkel dieser "Krabbelmanier" bedient.(F.(nicht A!)Brendel 1857), Das Abgleiten der Finger von der Taste nach dem Innern der Hand , das heute zumeist nur noch bei schnellen Tonrepetitionen angewendet wird, ergibt auch bei anderen Passagen eine erstaunlich lockere Virtuosität."
Weiterhin findet man bei Kullak in seiner Ästhetik des Klavierspiels einen Hinweis:

Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 3 [Seite 29]

DIe Bemerkung von Baxx bez. Jazzpianisten finde ich hochinteressant. Da lohnt sicher eine weitere Umschau.

LG doc88
 
DIe Bemerkung von Baxx bez. Jazzpianisten finde ich hochinteressant. Da lohnt sicher eine weitere Umschau.
und nicht nur da: man kann auch mal schauen, wie der alte Horowitz sein perlendes non legato in rasanten Passagen hingekriegt hat.... oh weh... der olle Vladimir machte das doch tatsächlich mit dem "billigen Klavierlehrertrick"... schlimm, schlimm.....

@motz-art: "bei jedem Akkord die Finger einwärts bewegen" nannte Liszt das
 
Falls Du meinst, ich habe Unrecht, kannst Du ja gerne mal versuchen, ein Youtube-Video aufzutreiben, wo ein renommierter Pianist mit der von Dir genannten "Anschlagsart" operiert...

Ich bin mir nicht ganz sicher, was genau gemeint ist. Ich glaube was zum Beispiel Rolf meint ist eine Bewegung, die besonders bei non legato oder staccato keine Seltenheit ist (nicht nur bei Repetitionen). Dazu drei Beispiele:

Liszt - Sonate in h-moll (die zurückziehende Bewegung ist immer wieder über das gesamte Fugato (auch im forte) zu beobachten und nicht nur dort, aber natürlich nicht permanent)
Liszt - Feux follets
Liszt - Funerailles (man achte gleich zu Beginn auf die linke Hand)

Wie gesagt bin ich mir aber nicht sicher, ob diese Bewegung auch so gemeint war, wie sie in den Videos zu sehen ist...

Viele Grüße!
 
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Leggiero wird in der Regel so gespielt, deshalb sieht man die Bewegung auch schön bei 'Feux Follets'. Die Bewegung mit dem letzten Fingerglied ist eben die des kürzesten Hebels und deshalb sehr schnell. Bei den 'Funerailles' spiele ich z.B. die staccato-Achtel in der linken Hand so:

clavio liszt.jpg

Der Ton hat dann mehr Kern.

Liebe Grüße

chiarina

P.S.: Natürlich bewegt sich nicht nur das letzte Fingerglied, aber der Impuls kommt von dort. Es ist, als ob man eine Taste kratzt.
 
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Bevor die Schlacht um Libermanns Blaupausen nun zum ersten präventiven Atomschlag führt, möchte ich die verbleibende Zeit nutzen, um Hasenbeins (leicht ungehaltene) Frage nach der Quelle des legendären "Tastenkratzens" von JSB nun endlich zu beantworten.

Zitat Hasenbein:
Wo steht das, daß Bach derart gespielt haben soll? Wer behauptet das?

Sicher dürfte sein, daß Bach ein überragender Musiker und Pianist war und solch billiger Klavierstundentricks wie "hoho, ich muß nur die Finger immer so nach hinten ziehen, und dann gibt es so einen perlenden und brillianten Klang" nicht bedurfte.

Zumal die Instrumente seiner Zeit (Cembali und Clavichorde sowie frühe Pianofortes) sowieso so wenig Sustain hatten, daß alles eh' automatisch "staccatiger" und brillianter klang, da mußte man sich nicht sonderlich für anstrengen.

Kurz gesagt: Du bist einer typischen Klavierlehrer-Legende, die seit vielen Jahrzehnten rumgeht (so wie u.a. auch die mit dem "Hämmerchen-Anschlag" oder der "Hand, die so geformt ist, als hielte sie ein Bällchen") aufgesessen.

Falls Du meinst, ich habe Unrecht, kannst Du ja gerne mal versuchen, ein Youtube-Video aufzutreiben, wo ein renommierter Pianist mit der von Dir genannten "Anschlagsart" operiert...

LG,
Hasenbein

Ich habs jetzt wiedergefunden:

Es steht in dem Bändchen "Das Clavierspiel der Bachzeit" von Paul Heuser (Schott-<Verlag) Reihe Studienbuch Musik
(Seite 29)

Zitat:

.... " Ein spezieller Anschlag war unter dem Begriff ABZIEHEN verbreitet. So weist die ENCYCLOPÄDIE (der gesamten musikalischen Wissenschaften oder Universallexikon der Tonkunst . Hildesheim 1974) auf diese Besonderheit des Spiels hin. Die Finger nämlich dürfen nicht senkrecht von den Tasten aufgehoben werden, sondern das erste Glied derselben muß stets etwas nach der inneren Fläche der Hand zugebogen und so die Finger gewissermaßen von den Tasten abgezogen werden.
Das Abziehen ist für den heutigen Spieler, der gewillt ist, diese spezielle Technik anzuwenden, wegen seiner Erziehung zum Aufheben der Finger und nicht zum Abziehen ein schwieriges Unterfangen.Ihre Aneignung ist nur dann möglich, wenn über einen längeren Zeitraum das Abziehen zunächst an leichten Stücken geübt wird.
FORKEL, der sich bei seinen Aussagen auf die Söhne und Schüler JSBs stützt, bemerkt zu Bachs Spiel, daß er mit einer so leichten und kleinen Bewegung der Finger gespielt haben soll, daß man sie kaum bemerken konnte. Nur die vordern Gelenke der Finger waren in Bewegung, die Hand behielt auch bei den schwersten Stellen ihre gerundete Form, die Finger hoben sich nur wenig von den Tasten auf, fast nicht mehr als bei Trillerbewegungen, und wenn der eine zu tun hatte, blieb der andre in seiner ruhigen Lage.

LG Doc
 
Ja das geht klar in die Richtung. Übrigens eine wundervolle Aufnahme!!! Macht so richtig Lust selber zu spielen.

LG Doc
 
Na wenn schon die Schlacht um Libermanns Blaupausen erwähnt wird ;);) ... dann muss ich wohl ne FRAGE stellen ;):

Nämlich: Wie würde dieser 2., quasi "abgezogene" Ton klingen, wenn sie die Taste einfach normal betätigen würde? Denn wir hatten ja irgendwo schonmal festgestellt, dass weitere Einflussmöglichkeiten auf den Klang als Power / speed beim Tastenbetätigen nicht existieren.

Und somit auch kein horizontales Bewegen (jenseits einer Greifbewegung) eines Fingers in Richtung meines Körpers auf einer unten gehaltenen Taste einen Einfluss hat. Es wäre dasselbe, als wenn ich mit der Linken die Aktion auf dem Klavierdeckel ausüben würde. Um einzelne Noten innerhalb Akkorden zu gewichten, fände ich es EVTL. dennoch ganz ok, vielleicht eine Vorahnung der "grasping"-Technik.

LG, Olli!
 
Man merke: hier geht es ums Clavierspiel, nicht ums Klavierspiel.....

Die Bewegung hätte im Übrigen Einfluß auf den Anschlag (weil der Arm anders genutzt werden würde).

Und ich dachte schon Tureck sitzt am Flügel *gggg*

Hab mich wohl in der Zeit vertan.

Die Bewegung auf der Taste, die bereits betätigt ist, hat KEINEN Einfluss auf den Klang, und wenn Du sie mit der Nase initiierst.

@ Rolf: Ja, die Finger schon. Aber nicht mit nem Armzug wie während der Einzelkämpferausbildung beier Fremdenlegion ;)

NICHTSDESTOTROTZ, @ all, sieht der Move von Tureck aber interessant aus. So beim Draufsehen.

LG, Olli !
 
Das Abziehen der Finger separiert aber die Töne in ihrer Abfolge, je nach Weg und Zeit auf der Taste stärker oder schwächer, vermittelt auf einem modernen Instrument eine Art Cembalocharakter. Vergleichbar dem Leggieramente Stil.Auf den einzelnen Ton kommt es dabei eigentlich weniger an. Die Abziehbewegung ist prinzipiell auch schneller als die Hämmerchenbewegung ( Auf und ab und wieder zurück zu neutral ) und erlaubt eine viel gleichmäßigere und perlende Passage. Der Nutzen auf den Instrumenten des Bachzeitalters sehe ich in derGleichmäßigkeit des Anschlags, worauf in dieser Zeit lt. CPE allergrößter Wert gelegt wurde.
LG Doc
 
Das Abziehen der Finger separiert aber die Töne in ihrer Abfolge, je nach Weg und Zeit auf der Taste stärker oder schwächer, vermittelt auf einem modernen Instrument eine Art Cembalocharakter. Vergleichbar dem Leggieramente Stil.Auf den einzelnen Ton kommt es dabei eigentlich weniger an. Die Abziehbewegung ist prinzipiell auch schneller als die Hämmerchenbewegung ( Auf und ab und wieder zurück zu neutral ) und erlaubt eine viel gleichmäßigere und perlende Passage.
Ja, wobei damit allerdings nicht nur "Cembalocharakter" hervorgerufen wird: man kann das schon bei den Repetitionen in der Coda von Tschaikowskis "neapolitanischem Volkslied" (Jugendalbum) lernen (hier wird man selbst in diesem "Anfängerstück" das erforderliche Tempo für die Coda nicht erreichen, wenn mandie Repetitionen mit "Hämmerchenbewegung" spielt.

Nebenbei: je leiser man dieses "schnellen / abziehen / zupfen / kratzen" auf einem heutigen Instrument haben will, umso weniger tief bewegen sich die zupfenden Fingerkuppen in die Tasten hinein.

Wenn man das (perlendes leggierro / non legato / staccato) einmal kann, gibt es nur noch eine Gefahr: dass man zu schnell spielt, wo es gar nicht so schnell sein muss (etliche motorische Mozartpassagen) -- eine Gefahr, die allerdings angenehmer ist, als nicht schnell genug spielen zu können ;):)

Wie schon mal gesagt: wenn man genau hinschaut, kann man bei Horowitz sehen, dass und wie er genau diese Bewegungsweise ausführt - völlig natürlich und selbstverständlich. (Scarlatti Longo 23, Schubert/Liszt Soiree de Vienne 6, Mozart KV 330, Moszkowski Etincelles im Moskauer Konzert, von dem es ja Videomitschnitte gibt, zeigen das alle Nase lang überdeutlich)

...man könnte nun sagen: jaa, der Horowitz, der hat ja sowieso seine eigenen Marotten - dem mag so sein, aber amit seinen angeblichen Marotten holt er mehr Klangfarben und Expression aus dem schwarzen Kasten heraus als die meisten anderen: also wird da schon was dran sein (um nicht zu sagen, dass der alte Horowitz technisch und musikalisch der Perfektion öfter nahe kam als die meisten) --- hören kann man diese leggierro Spielweise übrigens auch bei vielen anderen alten Aufnahmen, auch wenn es da kaum Fernsehaufzeichnungen gibt (Skrjabin selber, Goldenweiser, Feinberg, Judina, Haskil, Lipatti, Erdmann und und und)
 

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