Lieber @Gomez de Riquet,
Nicht nur Lorca, sondern auch "Tea for Two" war zur Entstehungszeit der Sonate in Paris verfemt. Die verfremdete Verwendung des Motivs kann man wohl als einen Akt des Widerstands gegen die deutsche Besatzung verstehen, ähnlich wie das Auftreten der Marseillaise in Schumanns Faschingsschwank ein Protest gegen Metternich war.
Was das "Juni"-Motiv angeht, hast du natürlich Recht. Eine Molltonleiter, die auf der 5. Stufe beginnt, ist erstmal eine Allerweltsfloskel. Allerdings beginnt sie sowohl bei Tschaikowsky als auch bei Poulenc auftaktig mit jeweils drei Achteln. Für mich hatte das beim ersten Durchspielen des Satzes schon einen starken Wiedererkennungswert - ich musste sofort an die Barcarolle aus den Jahreszeiten denken. In der Sekundärliteratur habe ich allerdings nichts dazu gefunden. Entweder ist das noch niemandem aufgefallen oder ich liege tatsächlich falsch und es ist ein Zufall. So recht daran glauben will ich aber nicht. Zum einen gibt es in der Sonate noch weitere Anspielungen auf Lorca (vor allem die "spanischen", an Albéniz erinnernden Passagen im zweiten Satz) und zum anderen hat Poulenc den dritten Satz komplett revidiert, als er vom Flugzeugabsturz der Geigerin Ginette Neveu erfuhr, für die er das Stück komponiert hat: der Absturz ist in der neuen Fassung des dritten Satzes beinahe programmatisch mit einkomponiert. Diese "biografische" Vorgehensweise Poulencs spricht dafür, dass auch das Tschaikowsky-Zitat als Anspielung auf Lorcas Geburtstag Absicht war. Aber sicher erfahren wird man das wohl nie.
LG, Mick