Etwas Geniales werkgetreu hörbar machen, durch mich “neu erschaffen“, in dem ich mich als Individuum mit eigener Interpretation einbringe. Also sozusagen dem Stück eine persönliche Note gebe, ohne das vorhandene Notenmaterial zu verändern.(...)
Das klingt ganz nett, in der Praxis finde ich die Freiheitsgrade beim "Interpretieren" aber in der Regel recht bescheiden. Am Ende soll das Ding halt dann doch "werkgetreu" gespielt werden.
Und da, wo hervorragende Pianisten etwas weiter als üblich von der Norm abweichen - ich sag mal Glenn Gould - werden sie auch ordentlich dafür kritisiert: "Sitzt komisch da, singt mit, spielt diesen oder jenen Satz viel zu schnell, zu langsam, zu staccato" usw. Bei Trifonov ähnlich.
Ich finde, die deutliche Abweichung vom Notentext mit stark individueller und improvisierender Variation sollte absolut selbstverständlich und ok sein. Da wären Konzerte wenigstens mal richtig spannend und überraschend. In "Slow- Motion", im Zeitraffer, wie beliebt. Der Komponist hat ein anderes Tempo notiert? Na und? Ich hebe das meiste in der Kunst auch nicht auf einen hohen Sockel.
Obwohl ich schon vor knapp 40J Bach- Sonaten auf der Querflöte (ganz gut) gespielt habe, bin ich absolut kein Experte der klassischen Musik, aber Literatur hat immerhin einen großen Teil meines bisherigen Lebens gefüllt. Da gibt es unter den ehrenwerten Klassikern nach unseren heutigen Begriffen auch viel recht Banales und Naives, was im Denken und der Weltsicht längst vorbei ist, sich einfach komplett überlebt hat. Ein paar Schriftsteller und ihre Werke ragen dennoch weit heraus, aber es sind wenige, und vieles ist einfach komplett zeitbedingt. Niemand würde heute noch solche Romane oder Dramen schreiben wie Schiller, Lessing usw. Oder kein Maler so malen wie Breughel, Rembrandt oder van Gogh. Aber in der Musik solls beim Spielen so sein??? Warum?
Mir persönlich gefallen einige Werke der Klassik gut, einiges packt mich oft im Innersten (wie Bach), und ich wende die viele Zeit des Lernens auf, um meine pianistischen Fertigkeiten daran zu schulen. Würde aber nie davor zurückscheuen, die Interpretation nach gusto zu gestalten. -zig- fach gebrochen durch meine moderne Lebenserfahrung, durch die Musik, die ich im Leben gehört habe (Pop, Folk, Schlager, Klassik aller Epochen, Jazz, Rock, Techno, House, Ambient, Drum & Bass usw.) Ich frisiere und kleide mich ja auch nicht wie die Menschen von Bachs Zeit. Da käme ich mir recht dämlich vor. Spreche nicht so, verbringe mein Leben anders, bin auch nicht so streng christlich gläubig wie Bach. Muss demnach nichts spielen, um die Ehre Gottes oder des Fürsten zu vergrößern.Also kann ich ihn spielen, wie ich mag. Der Schönheit der Musik tut es absolut keinen Abbruch, im Falle Bachs scheint diese fast durch jede Interpretation durch.