Jetzt habe ich eine Übe-Frage, die ich bewusst hier platziere, weil ich gerne von euch aktiven Späteinsteigern eine Antwort haben will und keine Antwort aus dem Archiv!
Ich übe aktuell zwei Stücke. Das eine ist ein relativ einfaches zeitgenössisches Stück, das andere die Sonatine in G-Dur von Clementi.
Die Sonatine dauert mit allen 3 Sätzen Ca 5 min, wenn ich sie einmal durchspiele. (Das andere Stück auch etwa 3min)
An sich "kann" ich die Stücke. Es geht um die Details und die Stellen die öfter holpern.
Im Normalfall gehe ich so vor:
Ich wärme meine Finder mit Tonleitern und czerny auf. Dann spiele ich eines der Stücke komplett durch.
Im Anschluss übe ich gezielt die Stellen, die nicht funktionierten um am Ende noch einmal alles zu spielen, möglichst ohne abzubrechen, also so, wie ich Vorspielen würde.
Das Problem ist, dass dann im Normalfall 60-90 min vorbei sind und ich keine Zeit mehr für das zweite Stück habe. An sich würde ich aber gerne beide Stücke täglich üben.
Wie macht ihr das denn bei langen Stücken und begrenzter Zeit (und großem Ehrgeiz)?
Lg
Aufwärmen: mit irgend etwas, was man gerne spielt, was "leicht" ist, wo man sich auch mal etwas Pfusch erlauben kann... also die Finger "warm" machen und den Kopf nicht strapaziert. Worum geht es: Kontakt von den Schaltungen im Gehirn zu den Fingern (und darüber hinaus). Muskeln ansprechen und "guten Tag" sagen. Aha, der eine Muskel klemmt heute... weich werden lassen!
Langsame Stücke eigenen sich am besten, eine Arie von Bach vielleicht oder ein Menuett. Es sollte sehr sehr leicht sein aber künstlerisch anspruchsvoll, dass man jeden Ton auch mitdenken muss. Ich nehme immer E-Sur Suite von JS Bach, aber nur 2-3 Stücke, die ich wirklich beherrsche. An einigen Tagen muss ich "kämpfen" um mit dem Instrument zu verschmelzen an anderen Tagen geht es leicht und ich kann schon nach 5 Minuten zum nächsten Punkt wechseln.
Dann kommt das zu übende Stück. Erst einmal wird es laaaangsaaam im halben Tempo durch meditiert. Fallen dabei Stellen auf, wo sich ein "?" im Gesicht auftut wird die Stelle untersucht: WAS passt da nicht? Fingersatz? Notentext weg? Zusammenspiel der Hände oä Manchmal hat man eine Stelle einfach nicht verstanden - oder auch wieder vergessen. Das "Vergessen" ist etwas trickig: warum "vergisst" man eine Stelle: vielleicht, weil man eine ähnliche Stelle verwechselt. Dann braucht man Mantras um aus der gleichen Stelle mal links oder mal rechts abzubiegen. Manchmal ist es aber auch nicht ganz klar WARUM man an einer Stelle stoöpert. Vermutung: man hat sich beim ERSTEN mal Üben an dieser Stelle verspielt, weil man ja "mitdenkt" und sich so eine eigene Version an dieser Stelle "erfunden" hat. Dieses "Mitdenken" ist einerseits natürlich sehr wichtig andererseits kann es passieren, dass Besonderheiten eines Komponisten übersehen werden. Daher weiß ich oft vorher, welche Fehler ein Azubi bei gewissen Stellen machen wird, weil die Komposition an dieser Stelle eben eine spezielle Besonderheit aufweist und sich so aus der Masse von Gedudel (auch in der Klassik gibt es viele Dudel-Kompositionen ohne echte Überraschungen) heraushebt. Das ist eben der Erfolg von Mozart, Beethoven uvm, die immer tolle Überraschungen im Gepäck haben.
Czernys Stärke dagegen ist, dass er konsequent auf kompositorische Überraschungen verzichtet und auf diese Weise solide die Regeln für Melodieaufbau, Harmonik usw. vermittelt.
Clementi dagegen hat schon ein wenig mehr zu bieten und es sind meist die Stellen, wo man stolpert, die man nicht "singen" kann, die also außerhalb der gesanglichen Vorstellungskraft liegen. Es sind also nicht und niemals die FINGER, die eine Stelle nicht hin bekommen sondern immer nur das Denken.
Daher sind KURZE Übeeinheiten von maximal 20 Minuten sinnvoll. Außerdem kann eine Stelle "zu viel" geübt werden. 5x fehlerlos und langsam zwei-vier Takte sind genug, danach eine andere Stelle üben. Später kann man diese Stelle wieder 5x üben bis sie sich "setzt" und "leicht" wird.
Also wenn ich etwas vorbereite hänge ich immer minutenweise am Klavier, "checke" diese oder jene Stelle, bastel mal zwei Passagen zusammen, versuche es mal dann ganz.... dann wird das Stück wieder zerstückelt....
und ja, "chaotisches" Üben ist das sinnvollste! Wurde ja schon erwähnt.
Vor allem muss man dem Prozess des "Wachstums" vertrauen. Man kann einen Baum nicht zwingen schneller zu wachsen als er sowieso wächst... und so ist das auch mit dem Lernen. Lernen ist wie das Wachsen einer Pflanze: sind die Bedingungen optimal, entwickelt sie sich gut. Aber: zu viel Sonne oder auch Wasser können schaden!