Es ist natürlich fatal, wenn der Klavierschüler glaubt, man müsse für die Unterrichtsstunde "üben" und unbedingt etwas Perfektes vorweisen.
Mit glauben hat das nicht unbedingt etwas zu tun, sondern möglicherweise – in meinem Fall ist es so - mit der „Programmierung“ in der Kindheit. Geübt habe ich hauptsächlich für mich und mein Vorwärtskommen. Aber vor dem Unterricht intensiver, um es möglichst gut zu machen. Perfekt werde ich nie sein – in jeder Beziehung (und das finde ich nicht mehr schlimm).
"Ich darf jetzt keinen Fehler machen! Ich darf mich nicht blamieren!"
Ich durfte es nicht! Fehler machen. In meiner Kindheit und Jugend. Denn wenn ich Fehler gemacht habe, wenn ich mit einer schlechten Note (das konnte durchaus auch eine "3" sein) nach Hause gekommen bin, wenn ich nicht „funktioniert“ habe, dann gab es Liebesentzug, dann wurde ich links liegengelassen.
Was da schief gelaufen ist wurde mir erst durch den Unterricht bewusst.
Und wie das früher lief hat mir ein (brüderlicher) Freund bestätigt, den ich seit über 50 Jahren kenne und der gegenüber wohnt und viel Zeit mit unserer Familie verbracht hat. Nicht nur der ein oder andere Beirag bei Clavio haben gezeigt, dass diese frühe Konditionierung nicht selten ist. In einigen Gesprächen mit guten Freunden habe ich erfahren, dass ich nicht die einzige bin, die zum Perfektionisten gedrillt worden ist, und deren Messlatte lange Zeit viel zu hoch hing. Wer weiß es denn, bei wie vielen - sich unter Druck setzenden Menschen – eine derartige oder ähnliche fatale Programmierung im Unterbewusstsein steckt.
Da hilft es auch nicht, als Lehrer zu sagen: (...)
Stimmt! Es dem Schüler zu sagen hilft nicht weiter, wie ich selber erfahren habe. Denn diese langjährige Fehlprogrammierung zu löschen bzw. umzuprogrammieren braucht seine Zeit. Ich habe mir zigmal eingeredet, dass der KL
nicht mich beurteilt, sondern mein Stück, dass er
nicht mich (be)wertet, sondern mein Vorspiel. Und das aus einem naheliegenden Grund: Damit er helfen kann es besser zu machen.
Es ist offensichtlich schwer, die richtige Balance zwischen Leistungswillen und Gelassenheit zu finden.
In meinem Fall war das so. Meine Vorspielangst hat sich zwar deutlich reduziert und war irgendwann fast verschwunden. Aber mein Leistungsdruck war (mal mehr, mal weniger) noch immer vorhanden.
Weil es nie zu spät ist an sich zu arbeiten wird die Gelassenheit zum Glück immer größer – besonders seit einigen Tagen. Vorige Woche habe ich wieder etwas über mich gelernt, das mir auf meinem weiteren (vermutlich nicht nur pianistischen Weg) helfen wird.
Ohne Lehrer nimmt man/frau sich jedoch diesen Lernprozess, was ich schade finde.
In meinem Fall bin ich neugierig, wie es sich auf meinen Lernprozess auswirken wird erstmal alleine weiterzumachen. Ich denke, dass man diesen Vorgang mit einer Psychotherapie vergleichen kann. Irgendwann ist diese vorüber aber sie „läuft“ trotzdem weiter. So wird es vermutlich auch beim Üben sein. Steckt man irgendwo fest, dann überlegt man, was der/die KL in einer solchen Situation geraten hat. Denn ich habe immerhin fünf Jahre Unterricht bei einem sehr kompetenten Klavierlehrer gehabt, der mir sehr wertvolle Tipps mit auf den Weg gegeben hat. Dem Lernprozess könnte es ganz gut tun, denn
Das selbständige sich-Gedanken-machen ist nicht allzu weit verbreitet - leider!
Auf sich alleine gestellt ist man gezwungen, sich Gedanken zu machen (die habe ich mir aber auch vorher reichlich gemacht).
Ich sehe den wöchentlichen Termin als tolle Motivation dran zu bleiben.
Motiviert bin ich nach wie vor und obwohl ich den Druck rausgenommen habe, übe ich nicht weniger als vorher. Aber – wegen des ebenfalls vom Druck befreiten Denkorgans - anders, entspannter, durchdachter und somit zielgerichteter. Der weggefallene Druck kommt nicht nur meinen grauen Zellen zugute, sondern auch spürbar in meinen Händen an.