"Die Besonderheiten der Klangerzeugung auf dem Klavier"

Hallo Rolf (und alle, die's interessiert),

ein wahrhaft komplexes Thema! Um die Firma Steinway & Sons kursierten Gerüchte, dass sie über diesbezügliches Wissen verfügte und es zur Konstruktion ihrer Instrumente verwendete. Natürlich musste dieses Wissen geheim gehalten werden! ;-)

Um es kurz zu machen: es gibt seit ein paar Jahren tatsächlich wissenschaftlich durchgeführte Studien zum Thema, die über die bisher gemessenen Parameter hinausgehen.
Und die beweisen, dass die Art des Anschlags tatsächlich die Klangfarbe beeinflusst.

In dem Buch "Spielen wie Horowitz?" beschreibt der Konzertpianist und Professor an der Trossinger Musikhochschule Wolfgang Wagenhäuser die Ergebnisse einer im Auftrag der Baden-Württembergischen Landesregierung durchgeführten wissenschaftlichen Studie zusammen mit seinem damaligen Assistenten Michael Reuter.

Verwendet wurden moderne Hilfsmittel wie Hochgeschwindigkeitskameras und (akustische) Hochfrequenzmessgeräte. Die Messergebnisse werden in dem Buch auch mit Computergrafiken dargestellt.
Genaue Versuchsbeschreibungen findet man ebenfalls in dem Buch.

Interessant daran ist, dass bei gemessenem gleichen dB-Wert (zB 73,7 dB) Unterschiede bei diversen anderen Parametern auftraten, die lt. Autor durch unterschiedliche Arten des Anschlags hervorgerufen wurden. (WW spricht hier unter anderem von "Gewichtstechnik" im Unterschied zur "Hydrauliktechnik" und beschreibt dies in dem Buch näher.)
Also genau das, was etliche Pianisten bereits vorher zu hören glaubten - und in das Reich der physikalischen Fabel verwiesen wurden.

Die der Studie verangegangenen Thesen waren u.a.:
Wir können durch die Art der Beschleunigung die Kontaktstelle des Saitenaufpralls verändern
a) durch Verformung des Hammerstils
b) durch die Veränderung des Winkels Hammerkopf-Hammerstil
c) durch die auf die Achse wirkende Fliehkraft des Hammers die auf die Saite auftreffende Fläche in der Größe verändert
d) durch die unterschiedliche Filzverformung
e) durch den veränderten Winkel des Hammerkopfes den Hammerkopf unterschiedlic lang in Saitenkontakt bringen
f) durch die unterschiedliche Restenergie des gestauten Filzes
g) durch die unterschiedliche Restenergie des verformten Hammerstils
h) durch unterschiedliche Restenergie der Winkelverformung Stiel/Kopf
i) durch alle diese Komponenten die Saite auch noch zusätzlich unterschiedlich verformen im Verlauf ihrer Deformation

Alle diese Thesen wurden durch die Messergebnisse und Hochgeschwindigkeitskamera-Beobachtungen bestätigt.
(Man könnte jetzt augenzwinkernd die Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Quantenphysik zitieren, dass Licht je nach Erwartung des Beobachters entweder als Teilchen oder als Welle gemessen wird ;-) )

Ein Zitat aus dem Buch sei hier noch beigefügt, das einen der Grundgedanken WWs wiedergibt, die ihn zu den Forschungen motiviert hatten:

"Unter Kollegen findet man im Nu Konsens darüber, wie verblüffend unterschiedlich dasselbe Instrument bei verschiedenen Spielern klingt. Und dennoch akzeptieren alle die Behauptungen der Akustiker, dass ebendies nicht möglich sei.. So war es mir zunächst schlichtweg ein Anliegen nachzuprüfen, inwieweit Pianisten Psychopathen sind."

Good News: Wir sind völlig normal! :-)
Oder?

LG Joachim

PS: Der Vollständigkeit und Seriosität halber sei erwähnt, dass ich mit dem Hauptautor verwandt bin. Doch das genau ist auch der Grund, weswegen ich den heutigen Beitrag bringen konnte. Also keine Schleichwerbung, denn wie ich bei Amazon feststellte, gibt es derzeit ohnehin nur noch 2 Exemplare der Ausgabe von 1997...
Ach so, wg. Urheberrechten sollte noch der Verlag erwähnt werden: Omega-Verlag Wolfgang Layer Trossingen/Berlin
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
B statt H

HiDiHo,
PS:
Klasse, noch einer für B statt H. Dann lautet die Tonleiter nämlich völlig überraschend "abcdefg".

Ist zwar nicht zum aktuellen Thema, dennoch hat mir das P.S. von Dir gut getan! Habe seit 2 Jahren begonnen, den neuen Klavierschülern das "Alphabet" (sprich ABC) richtig zu lernen. Funktioniert bestens und auch die Eltern sind ja entsprechend lernfähig. Dieses eigenmächtige Vorgehen wurde mir zwar hier im Forum auch abqualifiziert, aber wir sind ja in unserem Beruf ziemlich selbständig. Ich freue mich natürlich, wenn noch andere in die gleiche Richtung gehen. Gruss Stephan
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hallo Rolf (und alle, die's interessiert),

ein wahrhaft komplexes Thema! Um die Firma Steinway & Sons kursierten Gerüchte, dass sie über diesbezügliches Wissen verfügte und es zur Konstruktion ihrer Instrumente verwendete. Natürlich musste dieses Wissen geheim gehalten werden! ;-)

Um es kurz zu machen: es gibt seit ein paar Jahren tatsächlich wissenschaftlich durchgeführte Studien zum Thema, die über die bisher gemessenen Parameter hinausgehen.
Und die beweisen, dass die Art des Anschlags tatsächlich die Klangfarbe beeinflusst.

[...]

Alle diese Thesen wurden durch die Messergebnisse und Hochgeschwindigkeitskamera-Beobachtungen bestätigt.
(Man könnte jetzt augenzwinkernd die Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Quantenphysik zitieren, dass Licht je nach Erwartung des Beobachters entweder als Teilchen oder als Welle gemessen wird ;-) )

Ein Zitat aus dem Buch sei hier noch beigefügt, das einen der Grundgedanken WWs wiedergibt, die ihn zu den Forschungen motiviert hatten:

"Unter Kollegen findet man im Nu Konsens darüber, wie verblüffend unterschiedlich dasselbe Instrument bei verschiedenen Spielern klingt. Und dennoch akzeptieren alle die Behauptungen der Akustiker, dass ebendies nicht möglich sei.. So war es mir zunächst schlichtweg ein Anliegen nachzuprüfen, inwieweit Pianisten Psychopathen sind."

Good News: Wir sind völlig normal! :-)
Oder?
[...]

hallo,
besonders letzteres ist doch eine frohe Botschaft vor der unweigerlich morgen beginnden Adventszeit mit ihren Kaufzwängen...
Gruß, Rolf
 
Ich habe das Buch von Wagenhäuser vor langer Zeit gelesen, und ich habe mich selten in einem Buch so mühsam bis Seite 116 durchgequält, wo die eigentlichen 'Experimente' beschrieben werden. Das Buch ist weder inhaltlich noch sprachlich ein Vergnügen. Vor allem liefert es keine Beweise.

-- Daß mit Hochgeschwindigkeits-Kameras gearbeitet worden wäre, ist falsch, es wurden lediglich Video-Aufnahmen der beteiligten Spieler gemacht und nicht mechanische Vorgänge mit Hochgeschwindigkeit analysiert.
-- Daß zwei genau identisch laute Töne verglichen worden wären, ist falsch, die Beispiele von Einzeltönen auf der beiliegenden CD belegen etwas anderes, jedenfalls mit dem Wave-Editor, mit dem ich sie betrachtet habe. Aber da ist vielleicht die Frage, wie man Lautstärken mißt. Peaks? Energieverteilung über einen bestimmten Zeitraum? Gemessen wurden sie mit einem Pegelmesser. Wie genau und was damit gemessen wird, weiß ich nicht.
-- Daß die Einzelton-Beispiele, die man auf der CD findet, einen frappanten Unterschied im Klangcharakter feststellen lassen, ist falsch.
-- Daß, wie Klaviercoachings schrieb, 'Hochfrequenzmessgeräte' benutzt worden wären, ist natürlich ein Mißverständnis. Die Akustik befaßt sich nicht mit Hochfrequenz (Lichtwellen, Radiowellen). Benutzt wurden ganz normale digitale Aufnahmetechniken und eine zeitlich aufgefächerte Spektral-Analyse.
-- Daß in dem Buch auch nur ansatzweise eine technische Erklärung für evtl. Klangänderungen gegeben wird, ist falsch. Irgendwelche Erkenntnisse über "Veränderung des Winkels Hammerkopf-Hammerstil ... Fliehkraft des Hammers ... unterschiedliche Filzverformung ..." etc. finden sich darin nicht.

Meiner Einschätzung nach sind die Experimente der Autoren nicht brauchbar. Worum es geht, ist zu beweisen, daß bei gleicher Hammergeschwindigkeit verschiedene Klangfarben möglich sind. Um einen Parameter, hier die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit der Klangfarbe von der Hammergeschwindigkeit, zuverlässig zu untersuchen, müßte man alle anderen Parameter unverändert lassen, wenn man vergleichbare Ergebnisse haben will. Das ist in diesem Experiment aber nicht sichergestellt, weil die Hammergeschwindigkeit gar nicht gemessen wurde (wahrscheinlich dürfte das auch auf einige praktische Schwierigkeiten stoßen und nur mit hohem Aufwand bezüglich Meßgenauigkeit zu bewerkstelligen sein).

Und zu einer Formulierung wie (die Pünktchen "..." sind keine Zitatauslassung, sondern stehen dort so):

"Kopf bleibt immer Kopf. Hand bleibt immer Hand ... und, weiter ins Detail verfolgt: Haar bleibt Haar, Auge Auge ... und, noch weiter ins Detail: Barthaar bleibt Barthaar, Wimpernhaar Wimpernhaar ... und alles zusammen hat mit seinen vielen Verschiedenheiten, ja Gegensätzlichkeiten dem Menschen als Gesamtheit zu dienen",

zu einer solchen Formulierung fällt mir wirklich nur noch ein: Gewäsch bleibt Gewäsch. Das Buch ist voll von solchem Gewäsch, ich habe es mit großem Mißvergnügen gelesen.
Aber natürlich muß sich jeder selber sein Urteil bilden, dieses ist lediglich meines -- mag sein, es ist zu sehr von der Unduldsamkeit getrübt, daß jemand, der so schwafelt, sich als analytischer Geist disqualifiziert.

Festzuhalten ist jedenfalls, daß das Buch unter strengen Maßstäben nichts beweist, die Streitfrage also weiterhin ungeklärt bleibt. Es darf also weiterhin spekuliert werden. Im übrigen geht es um eine eigentlich ziemlich belanglose Frage, denn mögliche Klangunterschiede bei gleicher Lautstärke können beim Klavier nur äußerst gering sein, sonst wären sie ja jedem Spieler längst bewußt. Einen Ton wirklich 'färben' kann man z.B. auf Streichinstrumenten, gegen die die Färbungsmöglichkeiten des Klaviers wahrlich armselig sind. Die wesentlichen Ausdrucksmittel des Klavierspielers bleiben nun einmal die Dynamik -- sowohl horizontal als auch vertikal, also im Nacheinander und im Zusammenklang der Töne --, die Pedalverwendung und Agogik. Und die sind wesentlich effektiver als irgendeine minimale Klangveränderung, selbst wenn es sie geben sollte. Die Frage darf also getrost unbeantwortet begraben werden.
__________
Jörg Gedan
http://www.pian-e-forte.de
 
Der Versuch, eine physikalische Erklärung für ein Phänomen abzugeben, dass man nicht mit physikalischen Methoden untersucht hat, ist in der Tat befremdlich....

Dennoch möchte ich die Leute, die diese Auffassungen vertreten, nicht vollkommen für verblödet halten :D
Es sind halt Leute, die von Physik und Mathematik eine eher distanziert schwammige Vortstellung haben, wie man es bei sensitiven Künstlern oft findet, aber weil man heutzutage ja für alles, das sich in scheinbarem Widerspruch zur anerkannten Wissenschaft befindet, schief angesehen wird, sind sie im Zugzwang und müssen eine Erklärung abliefern.
Nun, ich denke die Erklärungen (inklusive meiner eigenen ;-) )sind falsch.

Dennoch mag es Sinn machen, bei bestimmten Übungen eher auf die Klangfarben, als auf die Lautheit zu achten.

Es geht ja um Kunst, und da sollten nur die Resultate und nicht die Methoden und Theorien zählen.

Ich hab mal über Glenn Gould gelesen, dass er die Fähigkeit hatte, mit einer Hand zwei verschiedene Melodien in zwei verschiedenen Klangfarben zu spielen.....
(Das soll nun aber nun nicht heissen, ich wäre Glen Gould Fan. Auf den kann ich auch verzichten, auf Floyd Cramer aber nicht *gggg* )

BTW: Ich hab bei Youtube (aus anderen Gründen) vergeblich nach einem Video gesucht, das die Hände und Finger eines Pianisten in Zeitlupe zeigt. Gibt es so etwas?

Grüsse,

Peter
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Das erwähnte Buch sollte man wohl selbst lesen, um sich ein Urteil zu bilden. Wenn da tatsächlich kein Beweis für Filzverformung vorliegt (und die wird ja ausdrücklich mit in die Erklärung einbezogen), kann man es wohl vergessen, dann haben die beim Wasserkochen auch geheime Zutaten benutzt, wie die meisten anderen wohl auch.

Ich denke, wir haben hier schon die richtige Methodik gefunden und stolpern vor allem über die fehlenden Mittel. Auf jeden Fall braucht man keine Hochgeschwindigkeitskamera oder sauteure Meßinstrumente, um den Klang zweier Töne mit ungefähr gleicher Lautstärke zu vergleichen. Und Haydnspaß Idee, als Beweis für kontrollierte Klangbeeinflussung jenseits der Lautstärke zwei Referenztöne mit gleicher Lautstärke und unterschiedlichem Klang (auf dem selben Instrument natürlich, hat er zwar nicht gesagt aber mit Sicherheit gemeint) zu fordern, halte ich für goldrichtig. Wenn dieser Beweis erbracht ist, kann man weiter sehen, wie das zu erklären ist. Möglicherweise braucht man dafür aber tatsächlich einen ziemlich guten Pianisten. Meine eigenen Aufnahmen sind recht zweifelhaft und wenn ich z.B. meinen Klavierlehrer mit einem "schöneren" Schlußakkord zufriedenstelle, ist der eigentlich immer leiser als der "falsche".
 
eher ein Exkurs, also etwas off-topic

(1)
Der Versuch, eine physikalische Erklärung für ein Phänomen abzugeben, dass man nicht mit physikalischen Methoden untersucht hat, ist in der Tat befremdlich....
(2)
Dennoch möchte ich die Leute, die diese Auffassungen vertreten, nicht vollkommen für verblödet halten
Es sind halt Leute, die von Physik und Mathematik eine eher distanziert schwammige Vortstellung haben, wie man es bei sensitiven Künstlern oft findet, aber weil man heutzutage ja für alles, das sich in scheinbarem Widerspruch zur anerkannten Wissenschaft befindet, schief angesehen wird, sind sie im Zugzwang und müssen eine Erklärung abliefern.
Nun, ich denke die Erklärungen (inklusive meiner eigenen ;-) )sind falsch.
(...)
(3)
BTW: Ich hab bei Youtube (aus anderen Gründen) vergeblich nach einem Video gesucht, das die Hände und Finger eines Pianisten in Zeitlupe zeigt. Gibt es so etwas?

hallo,

ein sehr schön zu lesender Beitrag! Danke!

Denn Du sprichst auf vorsichtige Weise Denkhaltungen an, die zwar scheinbar ganz selbsterständlich sind, sich aber bei genauer Betrachtung als teilweise fragwürdig erweisen.

zu (1)
das ist in der Tat methodisch... sagen wir mal gar zu unkonventionell...

zu (2)
hier habe ich mich über Deine sehr sympathische Argumentation gefreut und auch auch fröhlich lachen können - ich habe daran schlichtweg nichts auszusetzen!
aber es regt natürlich zum weiterdenken an, deswegen (nur deswegen) habe ich ein paar Formulierungen markiert. Denn nicht minder schwammig sind die Vorstellungen darüber, was ernsthafte Wissenschaft ist, und was nicht :). Heutzutage neigt man dazu, gemeinhin "Naturwissenschaften" und deren Seitenzweige für ganz besonders seriös zu halten, wobei man auf Verifizierbarkeit, Berechenbarkeit und (im Fall von technischem und medizinischem Fortschritt) Erfolg sehr großen Wert legt. Physik, Mathematik, Chemie, Biologie, Informatik, Elektrotechnik, Medizien - da verneigt man sich, denn das versteht der common sense als "echt wissenschaftlich". Zu fragen wäre: ist das schon alles? woher stammen die Methoden dieser ernsten Wissenschaften? -- kurzum: allein "naturwissenschaftlich" als der Weisheit letzten Beweisort anzusehen, ist methodisch nicht weniger kritisch als das, was unter Punkt (1) zu sehen ist...
da wäre die Mathematik - sie ist keine Naturwissenschaft (wie gemein von ihr), und sie ist nicht mal allein selig machend in Sachen abstrakter Formalisierung, denn sie selbst wiederum bedarf der Logik (und diese ist eine formalisierte Denkstruktur). Mathematik und Logik durchdringen sich gegenseitig - in diesem Sinne sind Mathematik und sage und schreibe Philosophie (woher denn sonst kommt die Logik?) notwendige methodische Grundlagen von Naturwissenschaft(en).
Informatik, Elektrotechnik -- Naturwissenschaften? eher nicht, aber notwendige Seitenzweige!
bleiben die Klassiker Physik, Chemie und Biologie - alle drei bedürfen methodischer Strukturen, welche sie nicht aus sich selbst gewonnen haben: Logik, Mathematik. Und alle drei sind nicht in der Lage, ihre Grundlagen mit ihren eigenen Mitteln zu beweisen - sie setzen sie vielmehr voraus und verlassen sich auf diese. Aber das ist ok, denn sonst würde keine einzige Glühbirne brennen... :)
...betrachtet man sich allerdings ein Vorlesungsverzeichnis irgend einer Universität, wird man viel viel mehr Wissenschaften finden, als nur die genannten - das sonderbare ist aber das immense Vertrauen ausgerechnet in die drei Naturwissenschaften...
(((scherzando: eine im Leben extrem relevante Wissenschaft will ich noch erwähnen: die Juristik. Im Fall von realen Streitigkeiten reguliert diese das geschehen, gegebenenfalls von externen Wissenschaften unterstützt)))
---- in diesem Sinne fasse ich Dein Fazit über die allesamt falschen Erklärungen auf :)

zu (3)
doch, das gibt es: eine Stummfilmaufnahme von Horowitz, wie er im Tempo und in Zeitlupe die Oktavenetüde spielt

Gruß, Rolf

kurz retour zum eigentlichen Thema:
offenbar gibt es pro und contra Literatur, evtl. mit mehr oder weniger akzeptablem Grad der Wissenschaftlichkeit
 
Je mehr man sich mit der Materie beschäftigt, desto klarer wird, daß Wissenschaft keine endgültigen Antworten liefern kann. Die Aussagefähigkeit einer Theorie wird schlicht und einfach daran gemessen, wie treffsicher sie Vorhersagen machen kann. Die klassische Physik von Newton wurde durch die Relativitätstheorie und Quantenmechanik widerlegt, ist aber dennoch ein hervorragendes Instrument, um alltägliche Dinge zu erklären und zu berechnen. Wichtig ist aber, daß man die Grenzen kennt. Aus solchen Gründen gibt es klare Vorstellungen davon, was eine Theorie brauchbar macht und eine davon ist, daß man etwas präzise voraussagen kann. In unserem Fall wäre das also etwas wie "wenn man so anschlägt, wird der Ton immer so mit der und der Abweichung". "präzise" bedeutet in diesem Zusammenhang nicht "eindeutig" sondern eher "klar definiert". Wenn ein Busunternehmer wissen will, wieviele Busse er für den Transport der gebuchten Touristen benötigt er kein Ergebnis mit zwanzig Nachkommastellen, denn ob das Ergebnis nun 1.1231231231 oder 1.9000000009 lautet, braucht er auf jeden Fall zwei Busse. Aber wenn ein Kaufmann den Mindestverkaufspreis für einen Artikel berechnen will, zu dem er ohne Verlust verkauft, muß er eine andere Präzision wählen, denn eine Ungenauigkeit von 1 Ct pro Stück wäre bei 1 Mio. verkaufter Artikel schon eine Menge Geld.

Im Prinzip müssen wir Haydnspaß recht geben, denn bislang gibt es keinen Beweis dafür, daß durch unterschiedlichen Anschlag kontrolliert unterschiedliche Klangfarben mit gleicher Lautstärke erzeugt werden können. Daß es so wahrgenommen wird, ist eine ganz andere Angelegenheit und selbst, wenn Haydnspaß nicht widerlegt werden kann, müssen Schüler weiterhin den "schönen Anschlag" und ähnliches lernen. Genau genommen bringt ene Antwort für den Klavieralltag keinen Gewinn. Allerdings glaube ich schon, daß sich die Beschäftigung mit diesem Thema positiv auswirkt :).
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hi,

sorry Pianocoachings, zu deinem beworbenen Buch gab es hier schon mal ein paar Kommentare:

https://www.clavio.de/forum/klavier...iteraturtip-fuer-die-techniker-unter-uns.html

Ich hatte auch später noch woanderst dazu sehr kritische Kommentare gelesen (ich weiss, es ist schlecht, dass ich mich im Moment nicht an die Quellen erinnere).

Man müsste prüfen, ob das Buch wirklich wissenschaftlich ist. Die Bewerbung erinnert mich an so "Sach"-Bücher wie über UFOs oder Erdstrahlen.

Es hat den typischen Titel von einem Buch, wo jemand eine Methode beschreibt, mit der man eigentlich unrealsierbare Wünsche (wie verdiene ich meine erste Million), die jeder hat, erfüllt.

Und bevor das jetzt jemand schreibt:
Ja, ich gestehe, ich müsste das Buch erstmal selber lesen.
Aber davor muss ich es kaufen. Das ist das Problem.

Gruß
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Das Buch ist wohl in keinster Weise wissenschaftlich. Es ist sowas ähnliches, wie "Sach"-Bücher über UFOs oder Erdstrahlen.

Es ist, sag ich mal, das typische Buch, wo jemand seine Methode beschreibt, mit der man eigentlich unrealsierbare Wünsche (wie verdiene ich meine erste Million), die jeder hat, erfüllt.

Hallo Bachopin,

ich weiß zufällig, wie du zu diesen etwas abseitigen Aussagen kommst ;)
Ich hab auch mal neugierigerweise nach omega-verlag gegoogelt :D

Das ist aber ein anderer Verlag!

Ansonsten sag ich mal nichts zu dem Buch "Spielen wie Horowitz", weil ich es nicht kenne. Wolfgang Wagenhäuser scheint jedenfalls kein schlechter Pianist zu sein, nach dem, was man bei youtube von ihm sehen und hören kann.

Daß der Abstand der Dämpfer von den Saiten (nach dem Anschlag) den Klang beeinflußt, halte ich jedoch für eine ziemlich kuriose Idee ^_^
 
Vielleicht erscheint das Buch ja demnächst bei Google :D

http://www.mpiwg-berlin.mpg.de/Preprints/P366.PDF

habe ich gefunden, als ich versucht haben, eine Rezension des Buches zu finden. Der alte Thread ist ja leider nie weitergeführt worden.

Irgendwo in dem Dokument müßte auch ein Bezug auf das Buch zu finden sein, es gibt aber ein paar interessante Vorträge dort abgedruckt, die mich noch aufhalten. Ein Vortrag des Autors ist dort nicht.

Wir sollten uns übrigens hier weiter Mühe mit dem Thema geben, denn wir stehen bei Google mit unserer Untersuchung an erster Stelle ;)

Hier noch ein PDF-Dokument, das sich direkt auf Wagenhäuser bezieht. http://www.orgel-information.de/Kirchenmusiker/media/Art2.pdf

So, da steht mehr: http://www.soloists-diploma.de/wowa/1775413.htm
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

"Das Buch ist wohl ... sowas ähnliches, wie 'Sach'-Bücher über UFOs oder Erdstrahlen ... wo jemand seine Methode beschreibt ... wie verdiene ich meine erste Million ..." (Bachopin)
Bachopin, gegen so viel undifferenzierte (und da du das Buch nicht kennst, unbegründete) Abkanzelei, muß ich Wagenhäuser und Reuter denn doch in Schutz nehmen. Der Titel "Spielen wie Horowitz" mag vermuten lassen, daß dort irgendein Geheimrezept verkündet wird, wie man ein virtuoser Pianist wird. Darum geht es in dem Buch aber nicht, sondern es geht tatsächlich ausschließlich um den Zusammenhang zwischen Anschlagsbewegungen und Klangcharakter. Beide Autoren sind sehr gute Pianisten und keine Scharlatane, sie für unseriös zu halten, dafür gibt es keinen Anlaß.

Pianocoachings jedoch hatte geschrieben, daß "alle diese Thesen", nämlich Verformung des Hammerstils, des Winkels Hammerkopf-Hammerstil, etc., "... durch die Messergebnisse und Hochgeschwindigkeitskamera-Beobachtungen bestätigt" seien. Und das ist schlicht falsch, das Buch bestätigt das nicht, sondern behauptet nur, daß bei gleicher Lautstärke verschiedene Klänge möglich sind und belegt das mit dreidimensional (Teiltonfrequenz, Zeitverlauf, dB) dargestellten Klangspektren, erstellt mit einem Analyse-Programm namens SpectraPlus, über das die Autoren ausdrücklich sagen (S. 114): "mit einer Qualität, die nicht der allerletzten Genauigkeit gerecht wird". Außerdem weisen sie ausdrücklich daraufhin, daß es ihnen nicht möglich war, die Hammergeschwindigkeit zu messen.
Ich halte das nicht für einen ausreichenden Beweis, aus verschiedenen Gründen, und ich halte die Versuchsanordnungen für ungeeignet, und ich halte das Buch für kein literarisches Vergnügen (mit penetranten Hintergrundgrafiken, die das Lesen erschweren, auch für kein typografisches).

Aber ich teile das nicht deswegen mit, damit andere fremde Urteile nachplappern oder gar eigene noch vernichtendere 'erfinden' und kolportieren, obwohl sie das Buch nicht gelesen haben. Ich teile es nur mit, weil Pianocoachings etwas behauptet hat, das man nicht unwidersprochen stehen lassen kann: Die Streitfrage ist durch das Buch keineswegs eindeutig geklärt, und das Buch liefert auch keine physikalische Erklärung, wie die Klangunterschiede zustande kommen sollen. Es heißt dort wörtlich:
"Wir vermuten" [!] "hingegen, daß die Art der Beschleunigung Teile der Mechanik ... beeinflußt ...
Zu unseren Vermutungen" [!] "(unser Theorie):"
Darauf folgt die Liste möglicher Erklärungen wie Filzverformung und anderes, die Pianocoachings zitiert hat. Nichts aus dieser Liste ist tatsächlich untersucht worden.
__________
Jörg Gedan
http://www.pian-e-forte.de
 
@
Ich will doch einfach nur ein einziges Beispiel, wo der härtere Ton leiser ist als der weichere - mehr nicht. So bescheiden bin ich.

Ein einziges Beispiel würde mir als Beweis völlig ausreichen. Und natürlich muß es von einem Menschen gespielt sein. Maschinell erzeugte Töne sind nicht von interesse. (Haydnspaß in # 161)

Zum ersten Absatz: Wenn es keine Beeinflussung des Klanges durch den Anschlag gibt, müßte derselbe Ton bei getretenem rechten Pedal unabhängig vom Anschlag gleich klingen und insbesondere dürfte es dann, bei getretenem rechten Pedal, bei einer Tonfolge keinen Unterschied zwischen legato und stakkato geben.

Zum zweiten Absatz: Wenn man, wie hier teilweise versucht, die physikalische Komponente des Problems diskutiert, also die Frage, ob es die mechanisch-physikalische Konstruktion der Klavier- oder Flügelmechanik grundsätzlich zuläßt, daß verschiedene Anschläge (=mit verschiedenem Beschleunigungsverlauf der Tastenbewegung) bei gleicher Lautstärke (= gleicher Endgeschwindigkeit des Hammers) verschiedene Töne (Frequenzspektrum) erzeugen, dann sollte man dieses Problem auch wirklich isoliert betrachten. Und eine Versuchsanordnung, die diese Frage beantworten könnte, müßte eben als ganzes kontrollierbar und reproduzierbar sein - und der Anschlag eines Menschen ist das mit Sicherheit nicht. Vorher ist alles Spekulation.

LG

Pennacken
 
müßte derselbe Ton bei getretenem rechten Pedal unabhängig vom Anschlag gleich klingen und insbesondere dürfte es dann, bei getretenem rechten Pedal, bei einer Tonfolge keinen Unterschied zwischen legato und stakkato geben.

Interessanter Gedanke! Ich höre sofort den Unterschied, wenn ich bei getretenem Pedal stakkato oder legato anschlage. Aber zwei Fragen müssen geklärt werden:

1. Hört das außer mir noch jemand? (Ich vermute schon, vielleicht nicht immer, aber ich bin ja auch nicht Horowitz)

2. Wenn es andere auch hören, wo genau ist der Unterschied

3. Warum hat das alles nichts mit Klang zu tun? Weil es um die Hüllkurve der Töne geht. Dafür brauchen wir also ein separates Thema, vielleicht "Hüllkurvenmanipulation ohne Diät".
 
Hi Jörg,

"Das Buch ist wohl ... sowas ähnliches, wie 'Sach'-Bücher über UFOs oder Erdstrahlen ... wo jemand seine Methode beschreibt ... wie verdiene ich meine erste Million ..." (Bachopin)
Bachopin, gegen so viel undifferenzierte (und da du das Buch nicht kennst, unbegründete) Abkanzelei, muß ich Wagenhäuser und Reuter denn doch in Schutz nehmen.

ok, ok, du hast ja Recht. Über ein Buch das man nicht gelesen hat, sollte man nichts sagen. Ich entschuldige mich also für meine Kritik und ziehe sie zurück.

Aber hier hab ich 2 konkrete Zitate aus dieser Rezension:
http://www.orgel-information.de/Kirchenmusiker/media/Art2.pdf

1.)
"... und dazu die Energieschwingkreise, bestehend aus gefühlter und gehörter Mechanik, gefühlten und gehörten Saiten ..."

Dieser Satz geht für mich bedenklich in Richtung UFO- oder Erdstrahlen-"Sachbuch".

2.)
"... In konservativen Schulen hat man gelehrt, den Arm ruhig zu halten, das Handgelenk zu fixieren und nur die Finger
zu bewegen. Andere, die diese Steife erkannt haben, entwickelten manchmal ein Chaos an irritierenden Bewegungsabläufen,
bei denen man den Eindruck gewinnt, daß der „Showeffekt“ vor dem Musikalischen Arbeiten steht. ..."

Das ist aber uralter Tobak. Ich schätze 18. oder 19. Jahrhundert. ;-)


Übrigens hab ich die Einleitung zum Buch auf der Wagenhäuser Seite gelesen. Das hört sich defintiv ganz ok an.

Gruß
PS: Mist, wahrscheinlich muss ich das Buch doch mal kaufen.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Interessanter Gedanke! Ich höre sofort den Unterschied, wenn ich bei getretenem Pedal stakkato oder legato anschlage. Aber zwei Fragen müssen geklärt werden:

1. Hört das außer mir noch jemand? (Ich vermute schon, vielleicht nicht immer, aber ich bin ja auch nicht Horowitz)
[...]

Busoni meinte, dass da kein Unterschied sei - vorausgesetzt man spielt melodisch (allerdings bezieht sich Busoni da auf reales legato-spielen bei dichtem Pedaleinsatz, z.B. die erste Melodie im Des-Dur Nocturne von Chopin - ich finde freilich, man hört da, ob legato oder staccato/nonlegato gespielt wird)

aber was das Hören betrifft (also dass man sowohl "hart" als auch "weich" oder sonor anschlagen kann), ist der gewaltige fortissimo Choral der versunkenen Kathedrale von Debussy auffallend: er schreibt vor, dass die Akkorde sonor ohne Härte gespielt werden sollen (siehe Anhang)

Gruß, Rolf

(Debussy hätte vermutlich Kratzerts Statement bei einer Umfrage unterschrieben) :)
 

Anhänge

  • sans durete .jpg
    sans durete .jpg
    49,8 KB · Aufrufe: 13
@


Zum zweiten Absatz: Wenn man, wie hier teilweise versucht, die physikalische Komponente des Problems diskutiert, also die Frage, ob es die mechanisch-physikalische Konstruktion der Klavier- oder Flügelmechanik grundsätzlich zuläßt, daß verschiedene Anschläge (=mit verschiedenem Beschleunigungsverlauf der Tastenbewegung) bei gleicher Lautstärke (= gleicher Endgeschwindigkeit des Hammers) verschiedene Töne (Frequenzspektrum) erzeugen, dann sollte man dieses Problem auch wirklich isoliert betrachten. Und eine Versuchsanordnung, die diese Frage beantworten könnte, müßte eben als ganzes kontrollierbar und reproduzierbar sein - und der Anschlag eines Menschen ist das mit Sicherheit nicht. Vorher ist alles Spekulation.

LG

Pennacken

Ich denke, dass es wohl nie zu solchen Versuchsanordnungen kommt, die alle Parameter, die an der Tonerzeugung beteiligt sind, isoliert und dann wieder im Zusammenspiel untersuchen. Das bezahlt niemand und wirklich interessiert das höchstens Physiker, die sich dann lohnenderen Projekten widmen.

Wir können weder unseren Augen und noch weniger unseren Ohren trauen, denn wir werden permanent sinngetäuscht.

Schon der musikalische Hörer wird kaum in einer Symphonie von Brahms falsche Töne raushören, wenn sie der Dirigent als quasi Experiment drin verstecken lässt. Das Gleiche gilt natürlich für komplexe Pianostücke.

Und selbst wenn jemand ziemlich sicher ist, wie die Tonerzeugung funktioniert wird ihm das nicht helfen im Zusammenspiel der vielen Töne, die ja den Gesamtklang produzieren.
Nach meiner Meinung liegt das Geheimnis des adäquaten Klangs in einer innigen Verschmelzung mit dem Klavier. Genauso wie der Cellist seine Cello als teil seines Körpers empfindet, so geht es auch dem Geiger und den Bläsern und beim Sänger ist es ja evident.

Vielleicht hilft es, mal ein paar Nächte auf dem Klavier zu schlafen.;)
 
off-topic und molto scherzando!!!

[...]Schon der musikalische Hörer wird kaum in einer Symphonie von Brahms falsche Töne raushören, wenn sie der Dirigent als quasi Experiment drin verstecken lässt. Das Gleiche gilt natürlich für komplexe Pianostücke. [...]

...unter dem Gesichtspunkt experimenteller Spielweise könnte man auch unabsichtlich produzierte falsche Töne in ein ganz neues Licht rücken, egal ob sie nun schön oder weniger schön angeschlagen (oder gepatzt) worden sind... :D

es ist immer eine Frage der Perspektive :)

Gruß, Rolf

ja, das hatte nichts mit dem Thema zu tun -- nein, ich werde sowas nicht immer machen
 

Zurück
Top Bottom