Ich finde es wirklich schade, dass Du diesmal nicht weitergekommen bist, Jeremias.
Trotzdem, nimm's mir bitte nicht übel, finde ich, dass man solche Erlebnisse auch auf andere Weise verarbeiten kann, als hier (und zuvor schon beim Paris-Wettbewerb). Insbesondere ist es doch ein bisschen inkonsequent, jetzt auf einmal (nach zig Wettbewerben und einen Monat, bevor der nächste, Aachen, ansteht) an allen Ecken und Enden den Bartok-Pferde-Spruch anzubringen...
Es gibt immer mal den einen komischen Juror (in Paris gibt es ja auch die alte Dame, die an wirklich jeder Chopin-Interpretation etwas auszusetzen hat). Aber in einer Jury sitzt mehr als ein Juror, und die Vorstellung, dass eine ganze Jury einen Kandidaten nur deshalb nicht in die zweite Runde befördert, weil seine Musikalität so weit über der der anderen Teilnehmer steht und weil er diese Musikalität nicht mit einem ganz bestimmten Repertoire zeigt, ist, gelinde gesagt, mehr als unplausibel.
Bei Amateurwettbewerben ist das Spektrum viel breiter als bei Profiwettbewerben und man kann bei den meisten doch schon nach ein, zwei Minuten schätzen, ob sie, wenn nichts weiter schief geht, weiterkommen könnten oder nicht. Es kommt immer vor, dass man selbst eine teilweise andere Auswahl als die Jury getroffen hätte. Aber ich habe es noch nie erlebt, dass ein Kandidat in einem Halbfinale oder Finale völlig fehl am Platz gewesen ist. Wenn man also trotz guten Spiels nicht zum Zug kommt, dann kann man sich doch auch mal als guter "Verlierer" üben und sich sagen: diesmal hab' ich Pech gehabt, andere waren eben auch gut...
Für mich sind Amateurwettbewerbe die beste Möglichkeit, um von kompetenter Seite (neben dem eigenen Lehrer) ehrlichstes Feedback zu bekommen. Nicht von jedem Juror wird man dabei etwas sinnvolles zu hören bekommen, aber wenn man mit mehreren spricht, bekommt man doch ein gutes Bild, wie man gewirkt hat, was besonders aufgefallen ist, woran man um so mehr arbeiten muss. Zumindest ging es mir bisher so. Solches Feedback darf man allerdings nur erwarten, wenn die Kontaktaufnahme nicht eine halbe Beschwerde ist ("warum bin gerade
ich nicht weitergekommen?"), sondern wenn klar erkennbar ist, dass man an Kritik interessiert ist.
Wer nicht mag, kann ja solchen Wettbewerben fernbleiben, aber in aller Öffentlichkeit Andeutungen zu machen, man müsste doch bei einem Jurymitglied vorher Unterricht nehmen, wenn man weiterkommen möchte, ist m. E. nicht angebracht. Wenn jemand so etwas vorschlägt, kann das ja auch ganz ohne Hintergedanken sein, es hängt sehr vom Kontext und vom Ton der Äußerung ab; beides kann man nachträglich, und zumal schriftlich in einem Forum, kaum einfangen. Aber man sollte ohnehin nicht vergessen: Wir haben es hier nicht mit dem Chopin-Wettbewerb zu tun (wo es etwa zuletzt Kontroversen über die Arbeit von Dang Thai Son mit Y. Avdeeva gab). Außerhalb unseres überschaubaren Amateurkreises interessiert das alles keinen Menschen und auch ein Lehrer, der es nicht gerade sehr nötig hat, wird mit den Erfolgen eines Amateurschülers nicht hausieren gehen....
Wenn man an Amateurwettbewerben seine Freude haben möchte, dann sollte man, denke ich, nicht die ganzen politischen und strategischen Denkweisen, die vielleicht in Profiwettbewerben eine Rolle spielen, übernehmen. Insbesondere würde ich nicht im Traum darauf kommen, mein Repertoire nach irgendwelchen vermeintlichen Vorlieben der Jury auszuwählen, oder mir vorher Gedanken zu machen, wer in der Jury sitzt. Ich möchte die Stücke spielen, auf die ich Lust habe. Und, auch bei intensivster und konsequentester Vorbereitung würde ich mir nicht nachhaltig die Laune durch ein Ausscheiden verderben lassen. Am Ende zählt doch immer noch der eigene Eindruck: Habe ich alles geben können, was in meinen Möglichkeiten stand? Nach dem Ausscheiden würde ich unbedingt den anderen Teilnehmern zuhören wollen, aus Anteilnahme an denen, die ich kenne, und weil man auch dabei immer etwas lernen kann.
Das alles soll wirklich keine Kritik an Dir sein, Jeremias. Aber hier entsteht gerade einmal wieder ein recht einseitiges Bild von Amateurwettbewerben, das sich mit meinen eigenen Erfahrungen nicht deckt, so dass ich diese als kleinen Ausgleich doch schildern wollte, auf dass sich nicht jeder potentielle Kandidat (wie schon früher in diesem Faden geschehen) nur abgeschreckt fühlt...
Es ist ja auch menschlich, zuerst einmal sauer und frustriert zu sein und ein bisschen Dampf abzulassen. Ich hoffe aber trotzdem, dass Du diese Erfahrung bald abhaken und mit etwas Abstand betrachten kannst und vor allem, dass Ihr jetzt noch eine gute, unbeschwerte Zeit in Washington haben könnt....und, last but not least, dass wir uns bald auf ein Neues in Aachen sehen!
LG,
pianovirus