G
Gomez de Riquet
Guest
Guten Abend!
Das Gespräch in diesem Faden - und parallel dazu der Gesprächsverlauf
in --> "Bues-Einspielungen unserer Forum-Mitglieder" - hat mir viel zu denken gegeben.
Nach etlichen Malen des Versuchs, zum Beispiel Freds Blues-Einspielung so würdigen,
wie er sich das erhofft, und nach mehrmaliger Lektüre der heutigen Diskussion
über Blues oder Jazz als Musikhochschul-Unterrichtsfach, Diplome in Jazz-Pianistik etc.
ist mir endlich und blitzartig aufgegangen, was mich an dieser Musik und dem Gespräch
über die Musik so irritiert: ihre Verlogenheit, ihre Unwahrheit.
Gespräche darüber können nur dann besser sein als der Gesprächsinhalt,
wenn sie die Differenz hervorheben. Mache ich mich verständlich?
Ich habe endlich verstanden, was mich an dem, was mir ein halbes Leben lang als Blues und Jazz
verkauft worden ist, so penetrant stört. Eine große Hilfe waren dabei die Tonbeispiele,
die hier in den letzten Tagen präsentiert worden sind, Howlin' Wolf, Muddy Waters,
Spoonful Willi Dixon, Son House, Albert Ammons, Earl Hines etc., deren Musik ich
passenderweise "zusammengehört" habe mit dem mir seit Kindestagen vertrauten Mahler,
zu dessen hundertstem Todestag die Symphonien rauf- und runtergespielt wurden -,
um nun zweierlei zu verstehen: daß hinter so unterschiedlicher Musik ein- und dieselbe Erfahrung,
ein- und dasselbe Erleben steckt (und es nur aufgrund dieser Erfahrung möglich ist
zu sagen, daß die Musik ein- und dasselbe sei), und daß der größte Teil dessen,
was heute als Blues oder Jazz vermarktet wird, diese Erfahrung und dieses Erleben usurpiert.
Das ist ein in der Soziologie vertrautes Phänomen: die Aneignung von Elementen der Kultur
einer Minderheit durch die Mehrheitsgesellschaft, ferner - mit dem erstgenannten nicht völlig identisch -
der Übergang von Elementen der sogenannten Popularkultur in die (bürgerliche) Hochkultur.
Etwas drittes kommt hinzu, was die Sache so widerwärtig macht: In diesem räuberischen Akt
der Vereinnahmung des Blues und seiner Umverwandlung in Unterhaltungsmusik
wurde der Musik alles genommen, was an ihr ergreift: Klage, Witz, Anmut und Würde.
Hier in Deutschland haben wir dasselbe Phänomen in statu nascendi mitverfolgen können
bei der Adaption der Klezmer-Musik in den letzten zwanzig Jahren - einem gleichfalls usurpatorischen Akt,
bei sich dem die Enkel der Tätergeneration in Schtetl-Romantik gefallen oder politisch korrekt
mit weitaufgerissenen Augen und entsetztem Gesichtsausdruck Mordechai Gebirtigs "S' brent" singen -,
und wir erleben, wie der usurpierte Nachvollzug realen Leidens zur Unterhaltungsgeste erstarrt.
Da kann Fred noch soviele Biere in sich reinkippen und mantra-artig vom Blues
schwadronieren, den man in sich haben und fühlen und in allen Lebenslagen parat haben muß,
seiner Musik ist anzuhören, daß sie von einem saturierten Wohlstandsbürger stammt.
Umgekehrt erklärt es sich, warum pppetc's Musik so gut ist - weil pppetc sich realer Not
stellen mußte und die Erinnerung daran nicht vergißt.
Gruß, Gomez
.
Das Gespräch in diesem Faden - und parallel dazu der Gesprächsverlauf
in --> "Bues-Einspielungen unserer Forum
Nach etlichen Malen des Versuchs, zum Beispiel Freds Blues-Einspielung so würdigen,
wie er sich das erhofft, und nach mehrmaliger Lektüre der heutigen Diskussion
über Blues oder Jazz als Musikhochschul-Unterrichtsfach, Diplome in Jazz-Pianistik etc.
ist mir endlich und blitzartig aufgegangen, was mich an dieser Musik und dem Gespräch
über die Musik so irritiert: ihre Verlogenheit, ihre Unwahrheit.
Gespräche darüber können nur dann besser sein als der Gesprächsinhalt,
wenn sie die Differenz hervorheben. Mache ich mich verständlich?
Ich habe endlich verstanden, was mich an dem, was mir ein halbes Leben lang als Blues und Jazz
verkauft worden ist, so penetrant stört. Eine große Hilfe waren dabei die Tonbeispiele,
die hier in den letzten Tagen präsentiert worden sind, Howlin' Wolf, Muddy Waters,
Spoonful Willi Dixon, Son House, Albert Ammons, Earl Hines etc., deren Musik ich
passenderweise "zusammengehört" habe mit dem mir seit Kindestagen vertrauten Mahler,
zu dessen hundertstem Todestag die Symphonien rauf- und runtergespielt wurden -,
um nun zweierlei zu verstehen: daß hinter so unterschiedlicher Musik ein- und dieselbe Erfahrung,
ein- und dasselbe Erleben steckt (und es nur aufgrund dieser Erfahrung möglich ist
zu sagen, daß die Musik ein- und dasselbe sei), und daß der größte Teil dessen,
was heute als Blues oder Jazz vermarktet wird, diese Erfahrung und dieses Erleben usurpiert.
Das ist ein in der Soziologie vertrautes Phänomen: die Aneignung von Elementen der Kultur
einer Minderheit durch die Mehrheitsgesellschaft, ferner - mit dem erstgenannten nicht völlig identisch -
der Übergang von Elementen der sogenannten Popularkultur in die (bürgerliche) Hochkultur.
Etwas drittes kommt hinzu, was die Sache so widerwärtig macht: In diesem räuberischen Akt
der Vereinnahmung des Blues und seiner Umverwandlung in Unterhaltungsmusik
wurde der Musik alles genommen, was an ihr ergreift: Klage, Witz, Anmut und Würde.
Hier in Deutschland haben wir dasselbe Phänomen in statu nascendi mitverfolgen können
bei der Adaption der Klezmer-Musik in den letzten zwanzig Jahren - einem gleichfalls usurpatorischen Akt,
bei sich dem die Enkel der Tätergeneration in Schtetl-Romantik gefallen oder politisch korrekt
mit weitaufgerissenen Augen und entsetztem Gesichtsausdruck Mordechai Gebirtigs "S' brent" singen -,
und wir erleben, wie der usurpierte Nachvollzug realen Leidens zur Unterhaltungsgeste erstarrt.
Da kann Fred noch soviele Biere in sich reinkippen und mantra-artig vom Blues
schwadronieren, den man in sich haben und fühlen und in allen Lebenslagen parat haben muß,
seiner Musik ist anzuhören, daß sie von einem saturierten Wohlstandsbürger stammt.
Umgekehrt erklärt es sich, warum pppetc's Musik so gut ist - weil pppetc sich realer Not
stellen mußte und die Erinnerung daran nicht vergißt.
Gruß, Gomez
.
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